Günter Gaus, 1974
Günter Gaus, 1974 Bildrechte: imago images / Sven Simon

Günter Gaus: Erster West-Vertreter in der DDR

02. Mai 2019, 12:17 Uhr

Am 2. Mai 1974 nahmen die "Ständigen Vertretungen" in Bonn und Ostberlin ihre Arbeit auf. Der erste Vertreter der Bundesrepublik in der DDR war Günter Gaus. Sieben Jahre blieb er auf diesem Posten und entwickelte eine große Sympathie für dieses Land und seine Menschen.

"Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein sagte einmal zu Günter Gaus: "Du hast drei Karrieren gemacht: Du warst Fernsehinterviewer, als es noch keine Talkshows gab, du warst Chefredakteur des "Spiegel" und du warst der erste Vertreter der Bundesrepublik beim anderen deutschen Staat. Alles drei Karrieren, von denen jede einzelne doch ganz schön ist." Gaus fügte hinzu: "Aber die Zeit in der DDR war dabei die wichtigste in meinem Leben."

Die DDR – ein fernes, unbekanntes Land

Es war 1973, als Bundeskanzler Willy Brandt seinen Staatssekretär Günter Gaus fragte, ob er als Leiter der "Ständigen Vertretung" nach Ostberlin gehen würde. Gaus zögerte seine Zusage hinaus, denn die DDR war für ihn ein fernes, unbekanntes Land. "Er interessierte sich für die DDR genauso wenig wie die meisten Westdeutschen", so Egon Bahr, unter Brandt Bundesminister für besondere Aufgaben. "Und er hatte auch keine Ahnung. Aber er hatte drei Eigenschaften: seinen blendenden Intellekt, seine Neugierde und sein enormes Selbstbewusstsein. Die Kombination dieser drei Eigenschaften prädestinierte ihn zum Erfolg."

"Ich habe den interessantesten Posten…"

Am Tag der offiziellen Akkreditierung durch den Staatsrat der DDR, den 20. Juni 1974, übergab Günter Gaus in Ostberlin sein Beglaubigungsschreiben. In einem Interview bekannte er euphorisch: "Ich habe den interessantesten Posten, den die Bundesrepublik im Ausland zu vergeben hat." Aber er wusste, dass es auch einer der kompliziertesten ist. Von nun an stand er im Fokus der Öffentlichkeit in Ost und West. "Schon die Übergabe des Beglaubigungsschreibens war für viele in der Bundesrepublik eine Provokation", sagt Bahr. "Viele glaubten noch, die DDR gäbe es gar nicht. Und wir hatten das Tabu gebrochen und sagten: Jawohl, es gibt sie!"

Andererseits musste Gaus, aus der Unverbindlichkeit des Journalismus kommend, lernen, mit einem "schwierigen Partner" umzugehen: "Wenn der 'Spiegel' keine gute Nummer gemacht hatte, konnte ich sagen: Machen wir's nächste Woche besser. Zu einem schlechten Verhandlungsergebnis mit der DDR konnte ich nicht sagen: Nächste Woche mache ich einen besseren Vertrag."

Erleichterungen für die Deutschen in Ost und West

Günter Gaus, der gleichzeitig Leiter der "Ständigen Vertretung" und Chefunterhändler der Bundesrepublik war, hatte ein klares Ziel: Er wollte Erleichterungen für die Deutschen in Ost und West erreichen. Insgesamt handelte er 17 Verträge mit der DDR aus: Vereinbarungen über den Ausbau von Verkehrswegen, über Erleichterungen im Besucher- und Reiseverkehr und auch ein Kulturabkommen. "Die Hoffnung vieler Menschen in der DDR hatte sich seinerzeit an die pragmatischen kleinen Schritte gebunden. Und ich war für sie der Vollstrecker dieser kleinen Schritte von westdeutscher Seite aus. Und das hat dazu geführt, dass ich in der DDR sehr viel Zuspruch gefunden habe", beschrieb Günter Gaus später sein Wirken in der DDR.

Günter Gaus und der stellvertretende Außenminister Nier unterzeichnen 1974 das Protokoll
Günter Gaus und der stellvertretende Außenminister Nier unterzeichnen 1974 das Protokoll über die Einrichtung der "Ständigen Vertretung" in Bonn. Bildrechte: imago images / Sven Simon

Doch er vermittelte auch in etlichen schwierigen Einzelfällen. Der Wittenberger Theologe Friedrich Schorlemmer: "Wie viele Menschen durch seine Vermittlung aus der DDR ausreisen konnten und wie viele Botschaftsflüchtlinge er lautlos in den Westen bringen konnte. Er unterließ es nie einzugreifen, wenn er es für geboten hielt und fragte nicht, ob es ihm nützt, sondern ob es richtig so ist."

Abschied aus der DDR

Im Frühjahr 1981 wurde Günter Gaus von Bundeskanzler Helmut Schmidt von seinem Ostberliner Posten abberufen. Das Arbeitsverhältnis der beiden äußerst selbstbewussten Männer war, wie Egon Bahr sagte, "nicht gerade hinreißend und reibungslos". Schmidt, der für den Sommer 1981 einen Besuch in der DDR plante, wollte diesen keineswegs mit Gaus an seiner Seite absolvieren und schickte ihm kurzerhand die Entlassung. Gaus war davon so überrascht wie getroffen. "Die Monate des Abschieds waren die wahrscheinlich traurigsten und bedrückendsten seines Lebens", erinnert sich die Tochter Bettina Gaus.

Alles so wie in der Bundesrepublik

Nach dem Ausflug in die Politik arbeitete Günter Gaus fortan wieder als Journalist und Publizist. Als 1989 die Mauer fiel, war Gaus' Freude darüber "unverfälscht und groß", wie sich seine Tochter erinnert. Aber die politischen Fehler, die seiner Meinung nach im Zuge der Vereinigung gemacht worden sind, bedrückten ihn. Er hätte sich ein langsameres Zusammenwachsen, eine Art Konföderation der beiden deutschen Staaten gewünscht. "Ich kann nicht erkennen, dass wir aus dem Zusammenschluss etwas Drittes, etwas Neues gemacht hätten, sondern es soll im Osten nur alles so sein wie in der Bundesrepublik."

Auf verlorenem Posten

In seinen letzten Lebensjahren sah sich Günter Gaus zunehmend auf einsamem, auf verlorenem Posten. Er wandte sich gegen die Militarisierung der Außenpolitik, gegen die Kriege in Jugoslawien, Afghanistan und im Irak und warnte vor dem "angeblichen Naturgesetz der globalisierten Marktwirtschaft" und der "Zügellosigkeit des Finanzkapitals". "Ich bin an den linken Rand gerutscht", konstatierte er, "was nicht daran liegt, dass ich mich verändert habe, sondern dass die Gesellschaft mit atemberaubender Geschwindigkeit rechts an mir vorbeigezogen ist."

Günter Gaus starb, 75-jährig, am 14. Mai 2004. Begraben ist er auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin, nur wenige Schritte von der einstigen "Ständigen Vertretung" entfernt.

Günter Gaus, 2003
Günter Gaus, 2003 Bildrechte: imago images / DRAMA-Berlin.de

Zur Person Günter Gaus (1929 - 2004): deutscher Journalist ("Spiegel", die "Süddeutsche Zeitung"), Publizist, Diplomat und Politiker. Bekannt ist er durch seine TV-Senderreihe "Zur Person", ab 1963 im ZDF.
Seine Porträts von Politikern, Wissenschaftlern und Künstlern gelten heute als Klassiker. 1965 bis 1968 war er Programmdirektor für Hörfunk und Fernsehen beim Südwestfunk, 1969 "Spiegel"-Chefredakteur, 1973 -81 wechselte er in die Politik: Staatssekretär im Bundeskanzleramt und erster Leiter der "Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der DDR", anschließend war er wieder journalistisch tätig.

Über dieses Thema berichtete der MDR in "Der Osten - Entdecke wo Du lebst" im: TV | 29.04.2014 | 20.45 Uhr