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Interview"Stalin war ein Meister der Show"

Stand: 24. Februar 2021, 20:31 Uhr

Nikita Chruschtschow wurde Jahre nach Stalins Tod Generalsekretär der KPdSU und Vorsitzender des Ministerrates. Ein Interview mit seinem Sohn Sergei Nikititsch Chruschtschow, der seinen Vater zu allen Details seiner Amtszeit interviewt hat.

Was war Stalin für Sie?

Stalin war eine Art Gott. Er bezeichnete sich selbst als "Vater des sowjetischen Volkes" und auch wir nannten ihn so. 99,9 Prozent der russischen Bevölkerung glaubten an Stalin und glaubten, dass er der wirkliche Gott ist. Man konnte darüber keine Witze machen. Dann war man schnell sehr weit weg von Zuhause.

Warum behandelte man Stalin wie Gott?

Dazu braucht man einen Showmaster und  Stalin war der Meister der Show. Er hat diesen Kult erschaffen, indem er einfach die Geschichte neu geschrieben hat. Er schrieb seine eigene Biografie und baute sich ein Leben als der Held, der er gerne gewesen wäre. Und er entfernte jeden, der die Wahrheit von seiner Vergangenheit kannte. Ich meine, Menschen, die wussten, dass er während der Revolution oder des Bürgerkriegs keine wichtige Rolle gespielt hatte. Sie wurden hingerichtet. Er ließ jeden entfernen, der von seiner Angst zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wusste.

Josef Stalin: Ein Leben in Bildern

Stalin, als politischer Kommissar an mehreren Fronten des Bürgerkriegs im Einsatz, mit Revolutionsführer Lenin und dem formellen sowjetischen Staatsoberhaupt Michail Kalinin auf dem 8. Parteitag der Kommunistischen Partei 1919. Lenin, der Stalin als "glänzenden Organisator" schätzt, hatte den georgischen Bankräuber 1912 ins ZK der Bolschewiki berufen. In seinem Testament hatte er allerdings die Genossen vor Stalin gewarnt – er sei sich nicht sicher, ob Stalin mit der Macht, die er besitze, stets sorgfältig umgehen werde. Bildrechte: imago/Russian Look
Josef Stalin mit den Familien einiger ZK-Mitglieder im April 1936. Bildrechte: imago/Russian Look
17.02.1938: Stalin auf einem Landwirtschaftskongress in Moskau. Bildrechte: imago/Russian Look
Stalin mit seiner 1926 geborenen Tochter Swetlana Allilijewa im Jahr 1939. Swetlana wuchs abgeschottet auf und wusste nichts von dem Terror, mit dem ihr treusorgender Vater das ganze Land überzogen hatte. Swetlana Allijewa, die 1967 über Indien in die USA geflohen war und dort als Lana Peters lebte, starb 2011. Bildrechte: imago/Russian Look
Stalin 1941 mit einer seiner Staatskarossen. Bildrechte: imago/Russian Look
17.04.1943: Josef Stalin auf einem Fliegerhorst in Moskau. Bildrechte: imago/Russian Look
Josef Stalin und Klement Gottwald, Vorsitzender der kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, im Februar 1953. Bildrechte: imago/Russian Look
Sämtliche Führer der kommunistischen Parteien waren zur Beisetzung am 9. März 1953 nach Moskau gereist, um vom "Führer der fortschrittlichen Menschheit" Abschied zu nehmen. Jedoch: "Nur zwei Trauergäste weinten – sein Sohn Wassili und seine Tochter Swetlana", schrieb der Moskauer "Zeit"-Korrespondent in seiner Reportage von den Trauerfeierlichkeiten. "Die anderen hohen Würdenträger hatten es sehr eilig, vom toten Stalin Abschied zu nehmen." Bildrechte: imago/Russian Look
Stalins Sarg auf einer Lafette auf dem Roten Platz. Bildrechte: IMAGO / Russian Look
Das Gemälde zeigt Stalins Tochter Swetlana vor dem aufgebahrten Vater. Der Maler setzte Swetlana als Kind in Szene, dabei war sie 1953 bereits 27 Jahre alt. (Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: 11.08.2017 | 17:45 Uhr) Bildrechte: imago/Russian Look

Wie haben Sie von Stalins Tod erfahren?

Wir wussten, dass es ihm schlecht ging und warteten. Wenn Gott stirbt, weiß man nicht, was kommt. Wird es das Ende der Welt sein oder wird es nur ein neuer Anfang sein oder etwas anderes?

Mein Vater kam gegen Mitternacht nach Hause, setzte sich auf die Couch und sagte, Stalin ist tot. Und blieb ein wenig sitzen. Es war Nacht geworden. Daher war er sehr müde. Er blieb also fünf, zehn Minuten sitzen und sagte dann: "Ich bin so müde, ich werde schlafen gehen." Und ich war wütend, dass er einfach so schlafen gehen konnte, obwohl Stalin gestorben war. Ich ging in einen anderen Raum und versuchte zu weinen. Ich konnte nicht wirklich weinen, aber ich dachte, ich müsste und sollte aus tiefstem Inneren weinen.

Wie kann so etwas passieren, dass Menschen ihren Gefühlen nicht mehr trauen und an die verlogene Propaganda glauben?

Wenn man viele Jahre in einem solchen Terror lebt, ändert man seine Persönlichkeit. Man glaubt  Dinge, die man normalerweise niemals glauben würde. Von denen man nicht einmal denken würde, dass es möglich sei, sie zu glauben. Man glaubt, dass Stalin alles weiß und immer Recht hat. Man muss das glauben. Manche Menschen glauben ehrlich. Andere müssen sich dazu zwingen. Das führt zu einer gespaltenen Persönlichkeit. Die meisten Menschen glaubten wirklich an all diese Lügen.

Sergei Nikititsch Chruschtschow Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Zur PersonSergei Nikititsch Chruschtschow, geboren 1935, ist der Sohn des einstigen KPdSU-Chefs Nikita Chruschtschow. Als Stalin 1953 starb, studierte Sergei Nikititsch Chruschtschow in Moskau Ingenieurswissenschaft.

Er interviewte seinen Vater zu allen Details des Kalten Krieges, zu dessen Tätigkeit als sowjetischer Staatschef und zur Stalinzeit ausführlich. Daraus entstanden mehrere Bücher und Vorlesungen, die er an amerikanischen Universitäten hielt. 1991 siedelte er in die USA über und lehrte Geschichte am Institut für internationale Studien der Brown University in Providence.

(zuerst veröffentlicht am 05.03.2018)

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Über dieses Thema berichtet der MDR auch im TV:The Red Soul - Stalins Russland, Russlands Stalin | 24.02.2019 | 23:30 Uhr