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"Kommt die D-Mark sterben wir" Das große Sterben der volkseigenen Betriebe

16. November 2020, 15:59 Uhr

Der 1. Juli 1990 bringt der DDR die DM – und damit beginnt auch eine Zeit des wirtschaftlichen Umbruchs. Im September 1990 sind über 2,17 Millionen Menschen entweder ohne Arbeit oder in Kurzarbeit. Der Grund: Überdimensionierte Betriebe, personell aufgeblasen, veralteter Maschinenpark, niedrige Produktivität und schwer verkäufliche Erzeugnisse. Niemand möchte mehr Ostprodukte kaufen, wenn die Alternative das Westerzeugnis ist.

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Die Särge werden aus Abfallholz hergestellt ... Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

So trifft es zum Beispiel das volkseigene Beerdigungswesen. Im "VEB Kombinat Schnittholz" in Haldensleben werden Särge hergestellt. Sparsam ist man, fertigt die Kisten aus Abfallholz und "veredelt" sie mit Tapete. Entsprechend ist das Resultat: Das Produkt erfüllt die Ansprüche der noch lebenden Konsumenten zunehmend weniger. Speziell die Außengestaltung entspricht nicht mehr den Käuferwünschen.

"Das hat doch mit Qualität nichts mehr zu tun."

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... und mit Tapete "veredelt." Das Ergebnis ist dementsprechend. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

In Halberstadt wird das Rohprodukt "Erdmöbel" vom Stadtwirtschaftskombinat zum Endprodukt veredelt. Der Betriebsdirektor Peter Pawlus ist die ständigen Schwierigkeiten mit dem Endverbrauchern und den Angehörigen Leid. Verzierungen aus Pappe können nicht über Grundmängel hinwegtäuschen: "Wenn die Trauergäste zum Sarg schauen, wo ihr Angehöriger liegt, und dann da einen Fetzen Tapete hängen sehen - das hat doch mit Qualität nichts mehr zu tun", konstantiert er.

Begräbnisse mit Hindernissen

Problematisch wird auch der Gang zum Grab. "Wenn hier ein Verstorbener zum Grab getragen wird, biegt sich der Griff aufgrund der schlechten Qualität nach oben, so dass die Kollegen den Sarg mit großen Schmerzen tragen müssen." Doch damit nicht genug. Dieter Freese ist Abteilungsleiter bei "Friedhof und Bestattung" und erklärt:

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Dieter Freese, Abteilungsleiter "Friedhof und Bestattung" Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Wir haben ein unwahrscheinlich schweren Boden. Wenn meine Kollegen die Gruften zumachen, kann es passieren, dass gleich zu Anfang der Deckel zusammenbricht. Ist der Mensch ein bisschen schwerer, kann es passieren, dass das Unterteil sich durchbiegt und wir mit irgendwelchen Mitteln versuchen müssen im Nachhinein den Sarg wieder so zurechtzumachen, dass es im geringsten Sinne ansprechend für die Bevölkerung ist.

Dieter Freese Abteilungsleiter "Friedhof und Bestattung"

Unterschiede zwischen West- und Ost-Sarg

Es sind schwarze Zeiten für DDR-Särge. Direktor Pawlus hat den Trend "Weg-vom-Ost-Sarg" rechtzeitig erkannt und ein Probemodell aus kapitalistischer Produktion neben den heimischen Erdmöbeln ausgestellt. "Die Bürger kommen und fassen die Särge an. Die wollen Kontakt mit dem Sarg, wo ihr Angehöriger drin ist. Und wenn sie hier über das Westprodukt fassen oder über das Ostprodukt: dann merken sie den Unterschied schon." Das VEB Kombinat Schnittholz gibt es Ende der 90er Jahre dann auch nicht mehr. Es wurde, wie viele volkseigene Betriebe, beerdigt.

Betriebsdirektor Paul Pawlus erklärt: Der West-Sarg und der Ost-Sarg haben erkennbare Unterschiede.
Betriebsdirektor Paul Pawlus erklärt: "Die Kunden wollen Kontakt mit dem Sarg, wo ihr Angehöriger drin ist. Und wenn sie hier über das Westprodukt fassen oder über das Ostprodukt: dann merken sie den Unterschied schon." Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Wie weiter mit dem Trabi?

Apropos Beerdigung: Der Trabant gehört eigentlich auch in die Kategorie "Totgesagt". Denn beim VEB Sachsenring ist Februar 1990 alles im Umbruch. Die Unsicherheit bei den Mitarbeitern ist groß: Was wird aus ihren Arbeitsplätzen? Hat der Trabbi eine Zukunft im neuen Kapitalismus?

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Bernd Cyliax arbeitete 30 Jahre lang im VEB Sachsenring. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Bernd Cyliax ist heute 75 Jahre alt und hat über dreißig Jahre am Band des VEB Sachsenring unter schwierigsten Bedingungen gearbeitet. "Die Weiterentwicklung hat gefehlt. Man hat im Prinzip über 30 Jahre den Trabant in der alten Form gebaut. Sei es motorenmässig, sei es karosseriemässig. Es gab zwar in diesem Zeitraum an die 600, 700 Änderungen - aber die brachten nicht den Effekt." Fakt ist: die hier produzierten Trabbis will am Ende niemand mehr kaufen. Die D-Mark eröffnet neue Möglichkeiten.

"...die haben sich den Ast abgesägt, auf dem sie saßen."

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Renate Lang, ehemalige Leiterin in der Lohnbuchhaltung beim VEB Sachsenring. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

"Es war eine große Umbruchstimmung. Auf der anderen Seite waren die Läden voll mit Westartikeln. Die Leute haben nur noch die Westartikel gekauft, die eigenen Produkte eben nicht mehr. Da haben sie sich selbst den Ast abgesägt, wo sie drauf saßen. Dadurch wurde die Arbeitslosigkeit noch mehr gefördert", erinnert sich auch Renate Lang, die ehemalige Leiterin in der Lohnbuchhaltung beim VEB Sachsenring.

Die spezifischen Produktionsmethoden von Zwickau mit ihrem hohem persollen Einsatz werden irgendwann der Vergangenheit angehören. Entpersönlichte Automatenfertigung ersetzt das Fingerspitzengefühl.

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Aller drei Minuten lief im VEb Sachsenring ein Trabant vom Band. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Der Ost-Knaller "Powercracker" bekommt Probleme

Und noch ein anderes Ost-Produkt bekommt durch die Währungsunion Probleme. Auf der Erprobungsstrecke des ehemals volkseigenen Betriebes "Pyrotechnik Silberhütte" in Harzgerode kämpft ein Knaller um sein Überleben. 200 Jahre alt ist die Böller- und Bombenfabrik geworden. Überlebt hat sie zwei Weltkriege und 39 sozialistische Sylvester. Mit der bevorstehenden Wiedervereinigung tauchen Probleme auf, die hier zuvor niemand erwartet hätte. So droht das Unternehmen an seiner hohen Qualität zu scheitern.

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200 Jahre alt ist die Böller- und Bombenfabrik "Pyrotechnik Silberhütte" im Harz. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Aus der zukünftigen deutschen Einheit ergibt sich für unser beliebtes Erzeugnis Powercracker das Problem: wird er zugelassen oder wird er nicht zugelassen. Die Lautstärke unseres Knallers ist größer als 115 Dezibel. Zugelassen sind nur nach bundesdeutschem Recht genau 115 Dezibel.

Betriebsdirektor VEB Pyrotechnik Silberhütte

DDR-Spezialmischung aus Metallnitrat und Schwarzpulver

Der DDR-Knall ist für bundesdeutsche Industrienorm viel zu laut. Das ist ein Resultat der Spezialmischung aus Metallnitrat und Schwarzpulver. Seinerzeit wurde mit der Bundesanstalt für Materialforschung um eine Ausnahmegenehmigung für die Modelle Blitzschlag, Powercracker und Blizzard verhandelt. Doch die Aussichten für den Stolz der Plaste- und Elasteprodukten sind düster.

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Eine Angestellte im VEB Silberhütte erklärt, dass bislang die Devise galt: So laut wir möglich. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Eine Angestellte des VEB erklärt: "Bei uns war bisher die Forderung immer nach Möglichkeit so laut wie möglich. Und es konnte nicht laut genug sein. Wir waren ganz stolz, dass wir mit dem Powercracker jegliche  Schallgrenzen durchbrochen hatten. Wir erreichen mit dem Powercracker 120 bis 130 Dezibel und in der BRD gelten also Vorschriften, dass die Knaller nicht lauter sein dürfen."

So entscheiden 15 Dezibel über das Schicksal eines deutschen Traditionsunternehmens, das in Krieg und Frieden seinen Beitrag zur Geschichte geleistet hat.

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Falk Schilling war Betriebsdirektor des VEB. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Wer Knaller kauft, möchte einen Knall hören. Er möchte keinen Verpuffer hören. Das ist unsere Position dazu. Und wer keinen Knall hören möchte, oder in Bereichen, wo es nicht erwünscht, ist zu knallen, der darf keinen Knaller kaufen bzw. man darf in solchen Bereichen eh keinen Knaller anwenden.

VEB Pyrotechnik hat durchaus potential. Maschinen sind modern - zum Teil aus dem nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet beschafft. Das Problem auch hier im Ost-Harz zur Wende ist aber nicht das fehlende Interesse an der Knaller-Branche. Sondern die Größe des Unternehmens, wie viele DDR- Werke, war auch das in Harzgerode personell überdimensioniert.

BRD kannte so ein großes pyrotechnisches Unternehmen nicht

Falk Schilling, 74 Jahre alt, war Direktor in der VEB Pyrotechnik Silberhütte und später Prokurist der Treuhand. Schnell wird ihm 1990 klar, wo die neuen Probleme des Unternehmens´ liegen. "Für die meisten waren wir zu groß. Das Gelände hatte vier Hektar, ein paar hundert Gebäude drauf, ein großer Schiessplatz und sehr viele Mitarbeiter - so ein großes pyrotechnisches Unternehmen gab es in den alten Bundesländern nicht."

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Knaller-Produktion im Harz: Der VEB Pyrotechnik stellt den Kassenschlager Powercracker her. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Im Klartext bedeutet das für Falk Schilling: Leute rausschmeißen. Und zwar nicht zu knapp. Von ursprünglich 900 Mitarbeitern geht es runter auf 500. Eine schwere Zeit. "Das ist ja nicht so wie heute gewesen, wo man noch eine Abfindung oder eine Betriebsrente bekommt. Das war ja  alles nicht. Es gab auch einige, die haben dich hinterher gehasst. Aber wir hatten ja gar keine Alternative."

Rüstungskonzern Rheinmetall übernimmt VEB Pyrotechnik

Nachdem Schilling den VEB Pyrotechnik schlanker gemacht hatte, startet es durch. Falk Schilling wird Prokurist für die Treuhandgesellschaft, die den Auftrag hat, Unternehmen zu privatisieren. Und er macht sich auf in den Westen, um Partner zu finden. Fündig wird er zunächst bei einem traditionsreichen Pyrotechnik-Spezialisten. Die Silberhütte hat überlebt. Der nordrhein-westfälische Rüstungskonzern Rheinmetall hat sie aufgekauft und heute wird dort Munition hergestellt.

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