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Das Grüne Band: Todesstreifen und Biotop

07. September 2010, 09:23 Uhr

Die innerdeutsche Grenze stand für Trennung und Tod. In ihrem Schatten fanden aber viele bedrohte Tiere und Pflanzen ein Zuhause. Heute gehört das "Grüne Band" zum "Nationalen Naturerbe". Doch um das Grüne Band gibt es Streit.

von Josefa Kny

"Wenn im Sommer alles schön grünte und blühte, sah auch die Grenze gar nicht so schlimm aus", erinnert sich der Fotograf Jürgen Ritter. "Als ich die Strecke im November lief, war die Tristesse ganz offensichtlich und beißend." In den 1980er-Jahren wanderte der Niedersachse entlang der deutsch-deutschen Grenze. Seine Fotos zeigen unberührte Landschaften hinter endlosen Stacheldrahtzäunen und Überreste gesprengter Brücken, die ins Nichts zu ragen scheinen. Auf anderen Bildern verschwinden Einfamilienhäuser fast komplett hinter Betonmauern und Wachtürme stören den Blick auf saftige Wiesen.

Fast unberührte Grenze

Durch Auwälder und Moore, Streuobstwiesen und Buschlandschaften zog sich die 1.393 Kilometer lange Grenze von der Ostsee bis an die tschechische Grenze quer durch Deutschland. Der schwer bewachte Grenzstreifen erstreckte sich über eine Breite von bis zu 200 Metern. Schon fünf Kilometer vor den Grenzanlagen begann auf der Ostseite das Sperrgebiet, das nur Grenzsoldaten betreten durften. Fast unberührt vom menschlichen Einfluss entstand so ein Streifen grüner Landschaften. Zahlreiche Biotope konnten sich natürlich entwickeln: Seltene Orchideen blühten auf verlassenen Feuchtwiesen, im dichten Unterholz nisteten Braunkehlchen und Neuntöter und anderswo längst ausgestorbene Schmetterlinge flatterten durch die Luft.

Der ökologische Wert der Grenze

In den 1980er-Jahren erkannten Umweltschützer den immensen ökologischen Wert des Grenzstreifens. Der Landesverband Bayern des BUND (Bund für Umwelt und Natur Deutschland) formulierte damals ein zynisches Paradoxon: Einige bedrohte Tierarten könnten nur deshalb überleben, weil es den Todesstreifen gebe. Ähnlich sah das auch der Biologe und Tierfilmer Heinz Sielmann. 1988 zeigte er in seinem Aufsehen erregenden Dokumentarfilm "Tiere im Schatten der Grenze" den ökologischen Reichtum im Grenzgebiet. Sollte die Mauer einmal fallen, so Sielmann, müsse der Todesstreifen unter allen Umständen in einen Nationalpark umgewandelt werden.

Das Grüne Band entsteht

Im Dezember 1989, einen Monat nach dem Fall der Mauer, trafen sich 400 Naturschützer aus Ost- und Westdeutschland im bayrischen Hof. Eine freie Entfaltung der Natur entlang der deutsch-deutschen Grenze lag ihnen am Herzen. Sie gründeten das Projekt "Grünes Band" und verabschiedeten eine Resolution: "Der Grenzstreifen zwischen der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik ist als grünes Band und als ökologisches Rückgrat Mitteleuropas vorrangig zu sichern." Der BUND übernahm die Koordination des Projektes. Den grünen Grenzstreifen zum Naturschutzgebiet zu erklären, stellte sich jedoch schnell als schwieriges Unterfangen heraus.

Wem gehört das Grüne Band?

Die quasi rechtsfreien Wendejahre nutzten viele für ihre eigenen Interessen. Landwirte erweiterten nach dem Abbau der Grenzanlagen ihre Anbauflächen, Gemeinden vergaben Genehmigungen an gut bietende Gewerbe und neue Straßen wurden quer durch die Natur gezogen. Das größte Problem stellen bis heute aber die Eigentumsrechte im Grenzgebiet dar. Ein Großteil der Flächen fiel nach der Wiedervereinigung dem Bund zu. Dieser verwaltete die Flächen, konnte sie jedoch nicht als Naturschutzgebiet ausweisen - Naturschutz ist in Deutschland Ländersache. 2003 bot die Bundesregierung den ostdeutschen Ländern die Übertragung der Flächen an, doch diese sträubten sich. Sie fürchteten die Folgekosten, die für die Unterhaltung der Flächen auf sie zu kämen. Mittlerweile haben die meisten aber einen Großteil des "Grünen Bandes" übernommen.

Gleiche Motive, andere Bilder

Für den Naturschutz gesichert ist, mehr als 20 Jahre nach dem Fall der Mauer, gerade einmal die Hälfte des einstigen Grenzstreifens. 15 Prozent des "Grünen Bandes" sind bereits durch Landwirtschaft, Gewerbegebiete und Straßen unwiederbringlich zerstört. Der Fotograf Jürgen Ritter hat sich 2010 erneut auf eine Wanderung entlang der ehemaligen Grenze begeben. Die Motive von damals fotografierte er noch einmal. Die Perspektiven sind fast dieselben, die Eindrücke ganz andere: "Ich bin immer noch der glücklichste Mensch, wenn ich sehe, wie sich der Grenzstreifen verändert hat. Als wäre es immer so gewesen."