Berlin, 10.11.1989 Mit Wunderkerzen in den Händen freuen sich die Menschen auf der Berliner Mauer über die Öffnung der deutsch-deutschen Grenzen.
Bildrechte: picture alliance / dpa | DB dpa

10. November '89 | Teil 1/3 Die Grenzen sind offen

10. September 2010, 13:20 Uhr

In der Nacht vom 9. auf den 10. November ist das passiert, wass sich die Leute über Jahre nicht vorstellen konnten: Die Grenzen der DDR waren offen. Tausende Menschen tanzen in dieser Nacht auf der Mauer und feiern auf dem Kurfürstendamm die neue Freiheit. Auch noch am 10. November...

Der 10. November 1989 ist ein Freitag. In der Nacht zuvor sind in Berlin die Grenzübergangsstellen geöffnet worden und Tausende DDR-Bürger in den Westteil der Stadt geströmt. Seit den frühen Morgenstunden berichten bundesdeutsche Radio- und Fernsehstationen ununterbrochen von den unerhörten Begebenheiten in der vorigen Nacht: von der Öffnung der Mauer in der Bornholmer Straße und später auch an anderen Grenzübergangsstellen und von den nächtlichen und bis zum Morgen andauernden Parties auf dem Kurfürstendamm.

"Jetzt, sofort"

Am Abend zuvor, am 9. November 1989, hatte Politbüromitglied Günter Schabowski auf einer internationalen Pressekonferenz in Ost-Berlin die vom Ministerrat beschlossenen neuen Reisebestimmungen für DDR-Bürger vorgestellt, die besagen, dass "Privatreisen ohne Vorliegen von Voraussetzungen bei den zuständigen Abteilungen Pass- und Meldewesen der Volkspolizeikreisämter beantragt werden" können und "die Genehmigungen" dafür "kurzfristig erteilt" werden. Auf die Frage eines italienischen Journalisten, wann diese Reisebestimmungen in Kraft treten, antwortete der sichtlich zerstreut wirkende Schabowski: "Nach meiner Kenntnis jetzt, sofort."

Die Grenzen sind offen

Tatsächlich war Schabowski ein Lapsus unterlaufen – die Reisebestimmungen sollten erst am kommenden Tag in Kraft treten. Aber nun gab es kein Halten mehr. In den bundesdeutschen Nachrichtensendungen wurde vermeldet: Die Grenze ist offen. Tausende Ost-Berliner machten sich nun auf den Weg zu den Grenzübergangsstellen. Unter dem Andrang der Massen entschlossen sich die Grenzoffiziere schließlich, die Tore in den Westen zu öffnen. Der Schießbefehl ist übrigens seit dem 4. November, seit der von "Theaterschaffenden" initiierten Großkundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz, immer noch außer Kraft gesetzt. Damals fürchtete man, Demonstranten könnten auf die Grenzanlagen losmarschieren. Es sollte aber auf keinen Fall geschossen werden.

Fassungslosigkeit

"Wir haben den Fernseher angemacht, und da sahen wir Reporter, die im Westen hinter den Grenzübergängen standen und warteten, dass die Leute aus dem Osten rüberkommen", schildert eine Ost-Berlinerin. "Und ich dachte: Worauf warten die denn? Wer soll denn da kommen? Und dann kamen die Bilder von der Bornholmer Straße, wo die Schlagbäume hochgingen. Ich kann nicht mal sagen, dass ich mich gefreut hätte. Ich war fassungslos!" In den anderen Städten der DDR setzte nach dem Bekanntwerden der Reiseregelung ein Ansturm auf die "Pass- und Meldeämter" ein und die Volkspolizei war mancherorts, wie etwa in Leipzig, gezwungen, bereits um 2:00 Uhr nachts ihre Ämter für die Bürger zu öffnen.

Ein "kontrollierter Reiseverkehr" ist nicht mehr möglich

Der Andrang an den Grenzübergangsstellen reißt aber auch am Morgen nicht ab. Viele haben erst jetzt in den Nachrichten von den Begebenheiten in der Nacht erfahren. Wer es sich leisten kann, nimmt einen freien Tag. "Wir haben heute Morgen im Fernsehen gehört, dass gestern Abend alle Leute mit dem Personalausweis rübergegangen sind", sagt ein Ost-Berliner. "Und jetzt werden wir sehen, ob es klappt. Aber wir sind guter Hoffnung, dass es klappt."

Die Grenzoffiziere haben Anweisung erhalten, ab 8:00 Uhr zu einem "kontrollierten Reiseverkehr" zurückzukehren. Aber aufgrund des Massenansturms sind sie damit hoffnungslos überfordert. Für einen Grenzübertritt ist nur noch der Personalausweis nötig. Und in den "Pass- und Meldeämtern" der Republik werden jetzt, entgegen der ursprünglichen Absicht, nur noch Visa in den Personalausweis gestempelt. Reisepässe sind nicht mehr notwendig für einen Ausflug in den Westen. Jetzt rollen auch Tausende knatternde Trabant und Wartburg nach Westberlin und vor den Sparkassen und Bankfilialen bilden sich lange Schlangen von DDR-Bürgern, die sich ihr Begrüßungsgeld abholen wollen. Im Berliner Umland werden jedoch einige Regimenter der NVA in "erhöhte Gefechtsbereitschaft" versetzt. Unter den Soldaten kursiert das Gerücht, dass sie die Grenze mit Panzern wieder schließen sollen.