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Grenzbegegnungen: Skat unterm Stacheldraht

18. August 2010, 08:30 Uhr

Die Dienstvorschrift der NVA-Grenztruppen war unmissverständlich: Kontaktverbot zum "Klassenfeind" auf der anderen Seite der Grenze. Und doch kam es hin und wieder zu Begegnungen von Grenzern Ost und Grenzern West.

Eine unerhörte Geschichte spielte sich 1981 an der Staatsgrenze zwischen Plauen und Hof ab. Den Hintergrund bildete die damals laufende Aktion zur landwirtschaftlichen Nutzung des Grenzstreifens. Eine für DDR-Verhältnisse riesige Landfläche lag ungenutzt im Sperrstreifen. Auch bei Plauen wurden Arbeiter herangezogen, um unter Bewachung das Land urbar zu machen. Eine langweilige Arbeit, unterbrochen nur von Skatspielen in den Pausen.

Grenzschützer Ost mit Zollmütze West

Über das Skatspiel kamen eines Tages Bauarbeiter und Grenzsoldaten Ost mit den Grenzschützern West ins Gespräch. Bald wurde gemeinsam und regelmäßig auf dem Grenzstein Skat gedroschen. Die Bayern brachten Zigaretten, Leberwurst und Zeitschriften mit. Besonders begehrt waren die mit den Bildern von nackten Frauen. Es entstanden sogar Fotos: Grenzschützer Ost mit Zollmütze West, Grenzschützer West mit Kalaschnikow.

Bauarbeiter ergreifen die Flucht

Dienstbeflissen meldeten die Westgrenzer ihre Kontakte an die Vorgesetzten - und wurden vom amerikanischen Geheimdienst gebeten, die Skatkontakte zum Aushorchen der Ostdeutschen zu benutzen. Ein Jahr lang gab es diese gemeinsamen Skatspiele, bis eines Tages die vier Bauarbeiter die Gelegenheit zur Flucht nutzten. Unter den Augen der verdutzten Grenzsoldaten rannten sie in das auf westlicher Seite gelegene Waldstück. Die Soldaten schossen nicht - sie machten Meldung und kamen sofort in Stasi-Untersuchungshaft.

Für kurze Zeit im Westen, für lange Zeit im Knast

Auch für die Grenzschützer West kam die Flucht überraschend. Sie halfen ihren Skatbrüdern mit Kleidung und Quartier und waren behilflich bei der Arbeitssuche. Die Stasi setzte inzwischen alle Hebel in Bewegung, um einerseits den "Tathergang" zu rekonstruieren und andererseits die Bauarbeiter zur Rückkehr zu bewegen. Bei Hausdurchsuchungen der Angehörigen wurden Fotos vom Skat unterm Grenzzaun gefunden - sie belasteten die inhaftierten Soldaten. Die Degradierung zum einfachen Soldaten war noch die geringste Strafe, viel schwerer wog eine Gefängnisstrafe nach § 262 - "Verletzung militärischer Dienstvorschriften und Dienstpflichten im Grenzdienst". Die beiden Grenzposten wurden zu zwei Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt.

Amnestie für die Grenzsoldaten

Zu den Bauarbeitern im bayerischen Hof nahm Rechtsanwalt Vogel, Honeckers Unterhändler für humanitäre Fragen, Kontakt auf. Er machte Angebote, zugleich wurde Druck auf die "Republikflüchtigen" ausgeübt. Den vier Männern wurde klargemacht, dass ihre Frauen und Kinder nicht auf dem Weg der Familienzusammenführung nachreisen durften. Und tatsächlich gelang es nach einigen Wochen, alle vier Bauarbeiter wieder in die DDR zu holen. Sie durften ihr im Westen verdientes Geld mitnehmen und bekamen im Osten Vorzugsbehandlungen, zum Beispiel Geldgeschenke oder einen Telefonanschluss. Zwei der vier verließen später dennoch auf offiziellem Weg die DDR. Im Zuge einer Amnestie wurden die inhaftierten Grenzsoldaten nach reichlich einem Jahr Haft entlassen.

Über dieses Thema berichtete der MDR im TV auch in "25 Jahre Mauerfall"09.11.2014 | 17.00 Uhr