DDR-Frauengefängnis Hoheneck: Verschwundene Dokumente erschweren Forschungsarbeit

19. Februar 2022, 05:00 Uhr

Das Frauengefängnis Hoheneck war in der DDR berüchtigt. Nun entsteht da eine Gedenkstätte und eine erste, umfangreiche Dauerausstellung. Doch die Forschungen dafür sind kompliziert - denn es fehlen grundlegende Unterlagen. Sie verschwanden im Auflösungsprozess der DDR, wurden teilweise wohl schlichtweg verheizt. Stefan Appelius versucht, die Geschichte von Hoheneck zusammenzutragen.

Genaue Zahlen über die zu DDR-Zeiten und in der Zeit von 1945 bis 1949 in Hoheneck inhaftierten Frauen fehlen bis heute. Erste Schätzungen von Appelius belaufen sich auf rund 20.000 Frauen. Doch um diese Zahl zu erhärten, braucht es eine Auswertung der für den Zeitraum ab 1950 noch vorhandenen Häftlingskarteien. Immer wieder gibt es für einzelne Frauen mehrere Karten, ein einfaches "Durchzählen" reicht also nicht. Nach bisheriger Durchsicht scheinen die Karteien ab 1950 weitgehend vollständig überliefert worden zu seien. Dafür ist der Verbleib der Häftlingskartei für die Jahre von 1945 bis 1949 bisher unbekannt. Dazu kommt, dass zahlreiche Gefangenen-Personalakten aus jenen Jahren vom Sächsischen Staatsarchiv aussortiert und vernichtet wurden. Aufgehoben wurden nur Stichproben. "Die Überlieferung für diese wichtigen Jahre ist leider eine Katastrophe", sagt Prof. Stefan Appelius.

Der Politikwissenschaftler ist Projektleiter der künftigen Ausstellung und erforscht seit Juni 2021 im Auftrag der Stadt Stollberg die Geschichte des Haftortes Hoheneck. Und diese Forschungen sind nicht einfach, denn viele Dokumente wie Haftbücher oder Unterlagen über die Leiter der Haftanstalt sind aus dem "Schloss" verschwunden. "Sie wurden wahrscheinlich einfach verheizt im Winter 1989/90", sagt Appelius. Doch auch vermeintlich neutrale Unterlagen wie Bauakten sind schwer aufzutreiben, es ist oft eine Odyssee von Archiv zu Archiv.

Hoheneck war menschenunwürdig

Weitgehend vergessen ist heute, dass auf Hoheneck jahrzehntelang ausschließlich Männer inhaftiert waren. Erst ab Ende 1947 wurden dann auch wieder Frauen hierher gebracht – ab Anfang 1948 u.a. aus den Haftanstalten Zwickau und Dresden oder dem Frauengefängnis Leipzig-Meusdorf. Für die gesamte Zeit von Hoheneck als Gefängnis, seit 1864 also, sind bis heute mehr als 500 Tote urkundlich belegt. Für den Zeitraum von 1945 bis 1989 hat Appelius rund 170 Todesfälle namentlich nachweisen können, darunter auch Suizide. Die Haftbedingungen galten vor allem in der Nachkriegszeit als unmenschlich.

Doch auch später änderte sich das kaum. "Hoheneck hatte unter ostdeutschen Strafgefangenen den Ruf, einer der miesesten Haftorte zu sein", sagt Appelius. Das lag auch an der zum Teil noch fast mittelalterlichen Bausubstanz. Besonders in den ersten zehn Nachkriegsjahren verzeichnete Hoheneck eine "exorbitant" hohe Zahl an Todesopfern. Und zwar sowohl unter der Regie der Dresdener Justizverwaltung als auch ab 1950 unter der Leitung des DDR-Innenministeriums.

Mit der Übernahme der Haftanstalt durch die Volkspolizei Anfang 1950 wurden mehr als eintausend Frauen aus dem sowjetischen Speziallager in Sachsenhausen und der Strafanstalt Bautzen nach Hoheneck verlegt.

Viele Hoheneck-Gefangene saßen unschuldig ein

Diese Häftlinge waren Frauen, verurteilt von sowjetischen Militärtribunalen. "Das waren Frauen aller Altersgruppen, die häufig aus ganz minimalen Ursachen heraus zu drakonischen Strafen zwischen zehn und 25 Jahren Strafarbeitslager verurteilt gewesen sind und deren Delikte nach unseren heutigen Maßstäben kaum in irgendeiner Weise justiziabel gewesen sind. Also viele Unschuldige, um es mal ganz klar auszudrücken."

Natürlich gab es unter den Verurteilten auch Frauen, die mit dem NS-Regime verflochten gewesen waren. "Es gab zum Beispiel etliche dienstverpflichtete jugendliche Aufseherinnen aus Außenlagern einzelner Konzentrationslager oder eine Krankenschwester, die in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein gearbeitet hat, also Personen, die sich in unterschiedlichem Maße durchaus schuldig gemacht hatten", sagt Appelius. Aber:

...die große Mehrzahl der weit über tausend Frauen, die dort zu dieser Zeit eingesperrt gewesen sind, muss man eben wirklich als überwiegend unschuldig nach heutigen Maßstäben bezeichnen.

Prof. Stefan Appelius über die verurteilten Frauen während der sowjetischen Militäradministration

Deutsch-sowjetische Liebe als Haftgrund

Da war zum Beispiel die junge Frau aus der Gegend um Stollberg: kurz nach Kriegsende, noch nicht einmal 18 Jahre alt, verliebte sie sich in einen jungen Soldaten der Sowjetarmee. Offiziell war das nicht erlaubt. Die junge Frau wurde schwanger. "Und die beiden wollten gerne ihr weiteres Leben miteinander verbringen", erzählt Appelius. "Der junge Mann wurde von seinen militärischen Vorgesetzten verhaftet und nach Sibirien abtransportiert. Und die Frau konnte ihr Kind noch zur Welt bringen, ist dann aber ebenfalls verurteilt worden – zu einer 25-jährigen Haftstrafe, weil sie angeblich den jungen Mann zum Desertieren verleitet habe. Und solche Geschichten hat es sehr viele gegeben auf Hoheneck, zur damaligen Zeit." Die junge Frau von damals wird eine der Protagonistinnen der ersten Dauer-Ausstellung in Hoheneck sein.

War Hoheneck ein Zuchthaus?

Die unmenschlichen Haftbedingungen in Hoheneck besserten sich nur zögerlich, fehlende Toiletten und Waschgelegenheiten für die vielen Gefangenen, militärischer Drill und ein spezielles Arrest-Regime bei Regelvertößen blieben Alltag. So wurden Frauen nicht nur mit Einzelhaft sondern auch mit Aufenthalt in einer Dunkelzelle bestraft.

Der Begriff Zuchthaus oder "Frauenzuchthaus" sei aber historisch falsch, sagt Appelius. Er könne gut verstehen, dass die hier inhaftierten Frauen den Haftort als ein Zuchthaus empfunden haben – aber in der historischen Rückschau sei es notwendig, korrekte Begriffe zu verwenden. Hoheneck war 1862 als "Weiberarresthaus" gegründet worden.

Was war ein Zuchthaus?

Das Zuchthaus war die härteste von insgesamt vier Formen der Freiheitsstrafe, die das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 vorsah. Sie umfasste verschärfte Haftbedingungen sowie eine Arbeitspflicht für die Häftlinge und galt zudem als entehrend. Weitere Formen der Freiheitsstrafe waren:

  • Gefängnis (mit weniger strengen Haftbedingungen),
  • Festungshaft (galt als ehrenhafter, wurde bei Landesverrat, Beleidigung des Landesfürsten oder auch Duell verhängt; die Strafgefangenen genossen zahlreiche Erleichterungen)
  • Haft (kürzere Strafen für weniger gewichtige Straftaten, maximal sechs Wochen)

In der DDR wurde die Zuchthausstrafe mit Inkrafttreten eines eigenen Strafgesetzbuches der DDR 1968 aufgehoben. In der Bundesrepublik erfolgte das mit Inkrafttreten der Strafrechtsreform 1970.

Nach dem Untergang des Nazi-Regimes war Hoheneck zunächst eine Strafanstalt, und ab 1950 dann eine dem DDR-Innenministerium unterstellte Strafvollzugsanstalt (StVA). Es gab in beiden Teilen Deutschlands bis Ende der 1960er Jahre Zuchthausstrafen – aber das drückte in Hoheneck letztlich nur aus, wie die Gefangene ihre Strafe zu verbüßen hatte. Eine Zuchthausstrafe bedeutete "strenger Strafvollzug".

Vorbehalte gegen Forschungen zu Hoheneck

"Als ich meine Arbeit anfing, gab es Leute, die sehr erfreut waren." Doch er sei auch auf viel Skepsis gestoßen, beschreibt Appelius die Situation in Stollberg. Vor allem jenen Frauen, ehemaligen Gefangenen, die sich gleich nach dem Ende der DDR für das Erinnern an ihr Schicksal während der stalinistischen Gewaltherrschaft einsetzten, zollt Appelius Respekt. Ebenso wie jenen Frauen, die in den 1970er- und 1980er-Jahren in Hoheneck einsaßen. Beide Gruppen von Frauen hätten maßgeblichen Anteil daran, dass es heute überhaupt eine "Gedenkstätte Hoheneck" gebe. Denn die Sächsische Landesregierung habe sich nach Appelius‘ Ansicht nicht "mit Ruhm bekleckert", als sie das Schloss 2001 an einen privaten Investor verkaufte. Die Auflage war lediglich, drei Zellen zu erhalten.

Ausstellung zeigt verschiedene Perspektiven auf Hoheneck

Die künftige Dauerausstellung soll an das erinnern, was die Insassinnen und Insassen seit 1945 im "Schloss" erduldet und erlitten haben. Sie soll Erinnerungsort sein und gleichzeitig insbesondere jungen Menschen eine Geschichte verständlich machen, die zunächst sehr weit weg scheint, beschreibt Appelius den Ansatz für den Gedenkort. Dafür sind eigene Gruppenarbeitsräume, ein Zeitzeugenbüro und ein Jugendbildungszentrum geplant. Haftbedingungen, Haft-Alltag, das Strafregime und die Zwangsarbeit auf Hoheneck – das sind nur einige Themen der künftigen Dauerausstellung. "Es geht hier um einen multiperspektivischen Ansatz", beschreibt Appelius das Vorhaben. Keine Gedenkstätte könne funktionieren, wenn eine Opfergruppe die alleinige Deutungshoheit habe. Und da sei in Stollberg, so Appelius, in der Vergangenheit einiges schiefgelaufen.

Die Schicksale der Verurteilten der sowjetischen Militäradministration werden in der Ausstellung ebenso erzählt, wie jene der wegen "Republikflucht" oder Ausreiseanträgen verurteilten Frauen der 1970er- und 1980er-Jahre. Auch die sogenannten "Kriminellen" sollen nicht unerwähnt bleiben – die keineswegs alle Mörderinnen waren. Besonders wichtig sind Appelius die Geschichten der jungen Mädchen, die zur "Umerziehung" in die Jugendabteilung nach Hoheneck kamen und die bislang keine Beachtung fanden. Erste Kontakte zu Betroffenen gibt es inzwischen.

Und es werden auch Wärterinnen und Bedienstete zu Wort kommen, denn auch hier gibt es ganz unterschiedliche Perspektiven, beschreibt Appelius: zum einen die Härte und Gewalt von Aufseherinnen gegen Insassinnen. Und dann gibt es Beispiele, wo sich Wärterinnen mit den Gefangenen solidarisierten und am Ende selbst verurteilt wurden. Und auch die Geschichte vom Stollberger Posaunenchor, der den inhaftierten Frauen nicht erlaubte Neujahrsständchen brachte und auf seine Weise das Verhältnis zwischen den Einwohnerinnen und Einwohnern von Stollberg und "dem Schloss" mit ihren Insassinnen beleuchtet – diese Geschichte wird vielleicht auch einen Platz in der neuen Ausstellung finden.

Prof. Dr. Stefan Appelius Prof. Dr. Stefan Appelius ist Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt Zeitgeschichte. Promotion 1992 über bürgerliche Friedensbewegung, Habilitation 2000 über die Biographie des SPD-Exil- und Presse-Politikers Fritz Heine. Lehrberechtigung für Parteien und politisch-soziale Bewegungen. 2007 Ernennung zum Außerordentlichen Professor für Politikwissenschaft an der Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg. Seit 2010 Mitarbeiter beim Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin. Seit 2019 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt "Todesfälle von DDR-Bürgern bei Fluchtversuchen über Ostblockstaaten 1949 bis 1989". Seit Juni 2021 Projektkoordinator der künftigen Gedenkstätte und Ausstellung Hoheneck und Vertrauensdozent der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | exakt | 16. Februar 2022 | 20:15 Uhr