Gesundheitswesen der DDRMedizinische Versorgung | Sozialversicherung | SV-Ausweis
Auch der Wiederaufbau bzw. die Neuordnung des Gesundheitswesens erfolgte in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) auf der Grundlage des Besatzungsrechts der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) und des parteipolitischen Führungsanspruchs der SED. Im September 1945 begann die Kommunalisierung der Gesundheitsämter, die ihre Konzentration vor allem durch die Einrichtung von Hygienestationen zunächst auf die Bekämpfung von Seuchen, die Verbesserung der Hygiene und auf die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit richteten.
Bereits 1946 begann die landesweite Einrichtung von Polikliniken, die durch den SMAD-Befehl Nr. 272 vom 11.12.1947 noch beschleunigt wurde, so dass Ende 1948 bereits 269 Polikliniken und öffentliche Behandlungsstellen existierten, die vorwiegend aufgrund nebenamtlicher Tätigkeit von niedergelassenen Ärzten betrieben werden konnten. Parallel dazu betrieb man den Ausbau des Betriebsgesundheitswesens mit dem Erfolg, dass Ende 1949 30 Betriebspolikliniken und 738 betriebsärztliche Sanitätsstellen bestanden.
Mangel an Ärzten…
Dennoch dauerte es durch die ständige massenhafte Republikflucht von Ärzten, bedingt auch durch das Zurückdrängen von Privatpraxen zugunsten staatlicher Arztpraxen, noch recht lange, bis eine halbwegs ausreichende breitenmedizinische Versorgung erreicht wurde. Erst 1974, als von insgesamt 30.800 Ärzten 15.890 ambulant tätig waren, existierte erstmals ein einigermaßen vertretbares Verhältnis zwischen ambulanter und stationärer Versorgung, wobei die Bezirke Karl-Marx-Stadt, Halle, Cottbus, Neubrandenburg weiterhin unterversorgt waren. Auch die langen Wartezeiten in der Zahnmedizin konnten erst Mitte der 70er Jahre spürbar verringert werden.
…mittlerem medizinischen Personal…
Im Bereich des mittleren und niederen medizinischen Personals traten ebenfalls Defizite auf, viele Schwestern und Pfleger gingen aufgrund der teils katastrophalen Arbeitsbedingungen und der schlechten Bezahlung in andere Berufe. Ein weiteres Problem bestand in den Gebäuden, die vielfach nicht mehr den Anforderungen genügten, über 60 Prozent von ihnen wurden um 1900 erbaut und in der Folgezeit wenig gepflegt.
und medizintechnischer Ausrüstung
Außerdem lag die Versorgung mit Verbrauchsmaterial aufgrund der zentralistischen Wirtschaftspolitik ebenfalls im Argen. Auch Technologien (z.B. Herzschrittmacher, Dialyse) fehlten, was jedoch zumindest teilweise durch Importe oder mitunter auch durch staatliche Sonderprogramme versucht wurde auszugleichen, auch wenn der Bedarf dadurch zumeist trotzdem nicht gedeckt werden konnte. Bei spezialisierter und hochspezialisierter stationärer Behandlung, z.B. in der Herz- und Gefäßchirurgie und bei der Implantation künstlicher Gelenke mussten Wartezeiten von zwei und mehr Jahren in Kauf genommen werden.
In den 80er Jahren wurde dann versucht, die negativen Auswirkungen der ökonomischen Misere auf das Gesundheitswesen zu mildern, indem man sich wieder auf das Hausarztprinzip besann. Auch die in kirchlicher Trägerschaft erbrachten Heil- und Pflegedienste wurden mehr oder weniger anerkennend angenommen, wenngleich der Staat alleiniger Träger einer institutionalisierten Medizin sein wollte.
Fortschrittlich: Medizinische Vorsorge und Fristenregelung
Allerdings sind auch gute Leistungen festzuhalten: in der medizinischer Forschung und vor allem in der theoretischen und praktischen Entwicklung der Poliklinik, mit der man der Gefahr der mit zunehmender Spezialisierung einhergehenden Zersplitterung begegnete. Außerdem existierten ein nahezu lückenloser Infektionsschutz der Bevölkerung und eine Vielzahl an Vorsorgeprogrammen für Kinder und Jugendliche (regelmäßige Schul- bzw. Schulzahnarztuntersuchungen) oder für Schwangere und Mütter.
Die Schwangerschaftsunterbrechung wurde versicherungsrechtlich seit 1972 dem Erkrankungsfall gleichgestellt und schwangerschaftsverhütende Mittel auf ärztliche Anordnung unentgeltlich abgegeben. Die Sozialversicherung (Kranken- und Rentenversicherung) lag für Arbeiter und Angestellte ab 1951 alleine beim FDGB, während diejenigen, die nicht dem FDGB angehörten (Mitglieder von PGH; Inhaber von Handwerks- und Gewerbebetrieben, Freiberufler und ständig mitarbeitende Ehegatten), bei der "Deutschen Versicherungsanstalt (DVA)" versichert waren.
Medizinische Leistungen für alle
Die Leistungen der Sozialversicherung umfassten ambulante und stationäre ärztliche und zahnärztliche Behandlungen, Arzneien, Heil- und Hilfsmittel, Zahnersatz, prophylaktische und Heil- bzw. Genesungskuren, Rehabilitationsmaßnahmen, Zahlung von Kranken- oder Ausfallgeldern im Falle von Krankheit, unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit, beruflich bedingter Gesundheitsschädigung oder Quarantäne; Müttern stand Schwangerschaftsgeld und Wochengeld zu; für die Pflege erkrankter Kinder oder nichtberufstätiger Ehegatten wurde Unterstützung gewährt; bei vorzeitiger Arbeitsunfähigkeit oder mit Erreichen der Ruhestandsgrenzen wurden Unfall-, Invaliden-, Alters-, oder Hinterbliebenenrenten gezahlt, außerdem für Betroffene Blindengeld, Alterspflegegeld und Bestattungsbeihilfe.
Der "SV-Ausweis" war wichtiger als der Personalausweis
Dokumentiert wurde das meiste in dem legendären "SV-Ausweis". Bei Eintritt in das Berufsleben bzw. bei Aufnahme eines Studiums nach Abschluss der EOS erhielt jeder einen "Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung", grün, in Postkartenformat, 64 Seiten umfassend. Neben persönlichen Daten wurden darin fortlaufend folgende Angaben eingetragen: Schul-, Berufs-, Fach-, Hochschulbildung; Spezialkenntnisse, Qualifizierungsmaßnahmen, soweit sie durch Abschluss belegt waren; staatliche und betriebliche Auszeichnungen; Urlaubs- und Lohnausgleichsansprüche sowie anspruchsberechtigte Familienangehörige; sämtliche Arbeitsrechts- und SV-Verhältnisse; alle Heilbehandlungen und Krankschreibungen mit Diagnoseschlüssel; genehmigungspflichtige Heil- und Hilfsmittel (Brillen, Hörgeräte); Schutzimpfungen, Serumgaben, Reihenuntersuchungen, Tauglichkeitsuntersuchungen für bestimmte Berufe, Blutgruppenbestimmung.
Damit wurden zwar einerseits nützliche Informationen für die gesundheitspolitische und seuchenhygienische Prophylaxe gesammelt, andererseits aber in Verbindung mit der Personenkennzahl (PKZ) auch unmittelbar zugängliche Personenstandsangaben gegebenenfalls den Sicherheitsorganen, vor allem dem MfS, als ein weiteres Reservoir personenbezogener Daten zugänglich gemacht.