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Hepatitis CSabine Schley: "Die Krankheit zermürbt mich"Sabine Schley: "Die Krankheit zermürbt mich"

04. Januar 2016, 18:05 Uhr

Nach zwei Fehlgeburten bekommt die damals 21 Jahre alte Sabine Schley eine Anti-D-Prophylaxe-Impfung. Im Interview erzählt sie, wie sich danach ihr Leben grundlegend verändert hat.

Sabine Schley heute Bildrechte: Hoferichter & Jacobs

Frau Schley, wie geht es Ihnen heute?

Es ist so, dass meine Beschwerden immer da sind. Ich habe Muskel- und Gelenkschmerzen. Es fühlt sich an wie bei einer schweren Grippe. Außerdem habe ich ein hohes Rauschen im Kopf. Ärzte haben einen beidseitigen Tinitus diagnostiziert. Ich bin oft müde, abgespannt und nicht mehr so leistungsfähig und belastbar, wie ich es mal war. Außerdem habe ich leichte Herz-Rhythmus-Störungen. Wenn ich tief atme, bekomme ich einen Hustenreiz. Meine Schleimhäute sind immer trocken und die Augen entzündet. Seit einer erfolglosen antiviralen Therapie im Jahr 1995 werde ich wegen Depressionen behandelt.

Ihr Leben hat sich also einschneidend verändert. Wie kam es dazu?

Im März 1978 habe ich in der Frauenklinik im damaligen Karl-Marx-Stadt mein erstes Kind verloren. Kurz danach hatte ich eine zweite Fehlgeburt, weil die Ärzte vergessen hatten, mir eine Anti-D-Prophylaxe-Impfung zu geben. Mit dieser Spritze sollte die Ursache der Fehlgeburten - eine Unverträglichkeit meines Blutes mit dem des Kindes - bekämpft werden. Nach der zweiten gescheiterten Schwangerschaft bekam ich dann die Impfung in der Frauenklinik. Das war im November 1978.

Wie ging es Ihnen unmittelbar danach?

Am gleichen Tag bekam ich Juckreiz, Bauchschmerzen und hohes Fieber. Also bin ich wieder zurück ins Krankenhaus gefahren. Ich hatte mir aber über Krankheiten nie Sorgen gemacht und dachte: Das wird schon wieder.

Was geschah danach?

Mein Blut wurde untersucht. Schon am Tag der Blutabnahme sagte mir das Labor, ich müsse mich im Krankenhaus melden – und dort wurde ich nicht mehr rausgelassen. Alle Kleidungsstücke musste ich abgeben. Ich sollte drei Wochen im Bezirkskrankenhaus Karl-Marx-Stadt bleiben. Es wurden 15 Wochen daraus. Dort wurden ständig Blutuntersuchungen vorgenommen und eine Leber-Biopsie durchgeführt. Die Werte waren zu schlecht und ich konnte zunächst nicht entlassen werden.

Konnten Sie besucht werden?

Wenn wir mit Angehörigen sprechen wollten, ging das nur über ein Fenster im ersten Stock. Die Angehörigen standen im Hof und riefen uns dann zu. So lief die Kommunikation.

Haben Sie nach Ihrer Entlassung noch mal an eine Schwangerschaft gedacht?

Die Ärzte und Schwestern sagten den anderen Müttern im Krankenhaus: 'Seien Sie froh, dass Sie ein Kind haben, denn nach der Erkrankung wird man besser nicht schwanger.' In diesem Zwiespalt haben mein Mann und ich die erste Zeit gelebt. Ich hatte Angst vor der Antwort auf die Frage an die Ärzte, ob ich das Risiko einer Schwangerschaft noch mal eingehen sollte. Dann sagte mir ein Frauenarzt in der Stadt nach einer Untersuchung, die Zeit sei sehr günstig für eine Schwangerschaft, weil ich keinen Mumps oder Röteln hatte, die sich auf das Kind übertragen könnten. Mit dem guten Gefühl bin ich dann nach Hause.

Sind Sie heute Mutter?

1980 wurde unser erster Sohn geboren. Es war eine sehr schwere Schwangerschaft. Ab dem vierten Monat wurde meine Lebererkrankung akut. Im achten Monat drohte mir ein Leberversagen und die Geburt musste eingeleitet werden. Unser Kind musste anfangs lange untersucht werden. Das wurde aufgrund meiner Erkrankung angeordnet, weil ich eine der ersten Frauen war, die nach der Prophylaxe-Impfung wieder schwanger wurde. Sieben Wochen blieb mein Sohn im Krankenhaus. Dass er wirklich gesund war, wurde mir erst klar, als wir ihn zu Hause aufgepäppelt hatten. Erst da habe auch ich mich wieder besser gefühlt. Unser Sohn ist heute gesund. 1985 haben wir noch ein zweites Kind bekommen, das zum Glück auch gesund ist.

Aber Ihnen geht es nicht gut. Wann haben Sie sich darüber informiert, wie es um Ihre Gesundheit bestellt ist?

Erst nach dem zweiten Kind konnte ich die Zeit wieder genießen. Da bin ich zur Ruhe gekommen. Seit 1973 arbeite ich als Chemielaborantin und untersuche Trinkwässer. Im Stress kam ich erstmal nicht zum Nachdenken. Aber nach der zweiten Schwangerschaft bemerkte ich beim Arbeiten: Ich krieg's nicht mehr auf die Reihe. Heute gehe ich nur noch vier Stunden am Tag arbeiten und habe seit 1979 einen "Schonarbeitsplatz".

Und wo haben Sie Antworten gefunden?

Der Tenor der Ärzte war allgemein: 'Die hat gar nichts, die tut nur so.' 1989 aber war ich in Karlovy Vary zur Kur. Dort hat ein Arzt durchblicken lassen, dass ich was Ernsteres hätte. Das war der Punkt, an dem ich damit konfrontiert wurde, dass es ein Leben lang Probleme geben würde. Ich habe mich natürlich erst darüber empört, aber ich hatte auch das Gefühl der Hilflosigkeit. Bis dahin wurde ich über meine Krankheit belogen. 1992, bei einer weiteren Kur, sagten mir die Ärzte, dass meine Befunde nicht so gut seien. Ein Jahr später wurde mir gesagt, meine Krankheit sei hochgradig infektiös. Ich hätte eine tödliche Erkrankung, die mich und meine Familie betreffen könne.

Bekommen Sie eine Rente?

Alle Betroffenen ringen um eine Anerkennung ihrer Krankheit und letztlich auch um eine Rente. Bei mir stehen Gutachten zu Befunden aus dem Jahr 2001 noch immer aus. Die Verantwortlichen des kommunalen Sozialverbandes gehen bis zum Äußersten, nur um nicht Verantwortung übernehmen zu müssen. Wir müssen uns permanent für alles rechtfertigen. Dabei ist das Leben für mich sowieso schon recht schwierig. Ich habe jahrelang beim Sozialgericht prozessiert: Dort wurde mir gesagt, meine psychischen Probleme gingen nicht über ein Maß hinaus, das nicht mit einem höheren Behinderungsgrad anerkannt zu bekommen. Das zermürbt mich.

Wer gibt Ihnen heute Rückhalt?

Meine Familie. Ich könnte ein ziemlich stabiles Leben haben - mit Kindern, Mann und Beruf. Wenn da nicht meine Krankheit wäre. Bei Untersuchungen und Begutachtungen wird mir immer wieder gesagt, dass ich ohne diese Straftat von 1978 kerngesund sein könnte.