Interview Frauenärztin über Abtreibungspraxis in der DDR

16. September 2004, 17:32 Uhr

Gespräch mit Frauenärztin Dr. B. über Schwangerschaftsverhütung und
Abtreibungspraxis in der DDR. Frau B. war Frauenärztin im Kreiskrankenhaus Borna.

MDR: Ab welchem Alter konnten sich Frauen in der DDR die Pille verschreiben lassen?

Dr. B.: Eigentlich unabhängig vom Alter, allerdings haben wir Ärzte das so gehandhabt, dass Mädchen ab 18 Jahren die Pille auf Wunsch verschrieben bekamen und bei jüngeren eine schriftliche Einwilligung wenigstens eines Elternteils vorgelegt werden musste, die wir dann in unsere Unterlagen abgeheftet haben. Jedoch sollte bei den Patientinnen der Regelzyklus schon stabil gewesen sein.

Was kostete die Pille?

Für die Patientinnen war sie kostenlos, zumindest seit 1972, vorher musste meiner Erinnerung nach noch ein Teil bezahlt werden.

Welche anderen Verhütungsmittel wurden genutzt?

Natürlich das Kondom. Dann noch die Spirale, die für die Patientinnen ebenfalls kostenfrei war. Eine Sterilisation war zwar ebenfalls kostenfrei, aber in der Praxis nicht so einfach durchzuführen wie heute. Wenn beispielsweise eine Frau vor allem aus medizinischer Sicht keine anderen Verhütungsmittel nutzen konnte, so konnte sie einen Antrag auf Sterilisation stellen, der dann teils bis zum Bezirksarzt ging und oftmals mehr oder weniger ohne Begründung und ohne, dass die betreffende Patientin außer von der Papierform her bekannt war, abgelehnt wurde.

Wie wurde in der DDR mit Abtreibungen verfahren?

Auch der Schwangerschaftsabbruch war für die Patientinnen kostenfrei. Eine formale Beratung, wie sie heute vorgeschrieben ist, hat es nicht gegeben. Wir als behandelnde Ärzte haben die jungen Frauen darüber beraten, dann in eine Klinik überwiesen, wo die Patientinnen vor dem Eingriff über die Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs aufgeklärt wurden, was sie auch unterschreiben mussten. Bei unter 18-Jährigen mussten die Eltern bzw. die Erziehungsberechtigten auf dem entsprechenden Vordruck ihre Einwilligung geben, allerdings wurde keine Entscheidung gegen die Schwangere getroffen. Letztlich entschied der behandelnde Arzt gemeinsam mit der Schwangeren und den Eltern. Der eigentliche Eingriff ging recht schnell, aber die Patientinnen wurden mindestens drei Tage stationär aufgenommen und eine Woche krank geschrieben. Das wurde auch in das SV-Buch mit der Schlüsselnummer 635 eingetragen, so dass eigentlich jeder Arbeitgeber wusste, warum die Frau krank geschrieben war. So konnte auch überprüft werden, dass zwischen eventuell wiederholten Abbrüchen mindestens sechs Monate lagen. War dies nicht der Fall, so entschied eine Ärztekommission, ob ein erneuter Eingriff vertretbar ist. Prinzipiell war ein Schwangerschaftsabbruch bis zur zwölften Schwangerschaftswoche problemlos möglich, aber es gab auch die Möglichkeit darüber hinaus, einen Antrag auf einen so genannten kleinen Kaiserschnitt zu stellen, auch dieser Antrag wurde von den "Verwaltungsärzten" entschieden. Allerdings haben wir oftmals in der Beratung versucht, den Patientinnen die Möglichkeit nahe zu legen, das Kind auszutragen und dann zur Adoption freizugeben.

Geschah ein Schwangerschaftsabbruch nach der zwölften Woche aufgrund von Missbildungen bzw. anderen medizinischen Gründen?

Ja, aber nicht jede dieser Schwangerschaften konnte vor der Geburt erkannt werden, die technischen Möglichkeiten hierzu, wie Ultraschallgeräte für Routineuntersuchungen, waren ja sehr begrenzt, nur bestimmte Einrichtungen hatten Ultraschallgeräte. An diese konnte man die Patientinnen bei Problemen überweisen, aber eine Routineuntersuchung mit Ultraschall gab es nicht, so konnte man derartiges auch nicht immer diagnostizieren, erst ab Anfang der 80er Jahre war dies möglich.

Ist im Kollegenkreis unter den Ärzten über Schwangerschaftsabbrüche diskutiert worden? Ist Ihnen bekannt, ob es seitens der Ärzteschaft Protest dagegen gab?

Natürlich haben wir darüber diskutiert, vor allem unmittelbar nach dem Gesetz 1972, als wir mitunter in der Woche 20 bis 30 Schwangerschaftsabbrüche hatten. Während die konfessionellen Krankenhäuser prinzipiell keine Abtreibungen vornahmen, waren die Ärzte in den staatlichen Häusern dazu verpflichtet, andere konnten es sicher eher ablehnen. Es hätte sicherlich auch die Möglichkeit gegeben, bei Gewissenskonflikten sich derartigen "Behandlungen" zu entziehen. Angenehm war es jedenfalls nicht, wenn man im Krankenhaus, wie mitunter vorgekommen, zehn bis 15 Abtreibungen nacheinander vornehmen musste, deshalb mache ich das auch heute nicht mehr, sondern überweise meine Patientinnen.

(Erstveröffentlichung 1999)