Portrait Herbert Häber: Von Wandlitz in die Psychiatrie

07. Juli 2022, 11:27 Uhr

Herbert Häber wurde 1984 ins SED-Politbüro gewählt. Er gehörte nun zum innersten Zirkel der Macht und musste mit seiner Familie nach Wandlitz umziehen. Aber nur ein Jahr später wurde er entlassen.

Am Montag, dem 6. Januar 1986, wurde Herbert Häber von Erich Honecker ins Regierungskrankenhaus bestellt. Häber war zwar verwundert, ahnte aber nichts Schlimmes. Doch als er im Regierungskrankenhaus ankam, wurde er sofort in einen Krankenwagen verfrachtet, ins Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie in Bernburg gefahren und als "hoffnungsloser Fall" in die geschlossene Abteilung eingewiesen. "Von Mitglied des Politbüros konnte ich da natürlich nichts sagen, die hätten alle Beifall geklatscht und gesagt: 'Du bist Walter Ulbricht, und ich bin der Papst'", erinnerte sich Häber 1999 in einem Interview.

Honeckers "Westexperte"

Im Mai 1984 hatte die "Aktuelle Kamera" gemeldet, dass der 1930 geborene Herbert Häber ins Politbüro der SED gewählt worden ist. Die Nachricht war vor allem in der Bundesrepublik mit Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen worden, galt Häber doch als ausgewiesener "Westexperte". "Vermutlich gibt es in der DDR niemanden, der die Bundesrepublik besser kennt als Häber", schrieb die "FAZ" im Juli 1984. Und es wurde gerätselt: Will Honecker mit der Berufung Häbers ein Zeichen setzen?

Honecker wollte in die Bundesrepublik reisen

Das wollte Honecker in der Tat – er forcierte im Frühsommer 1984 seine Pläne eines von Moskau allerdings schon einmal abgelehnten Staatsbesuches in der Bundesrepublik. Häber sollte den Besuch einfädeln. Um Honecker endgültig von seinen Reiseplänen abzubringen, bestellte ihn der Generalsekretär der KPdSU Tschernenko nach Moskau. Honecker wollte bei diesem Treffen Tschernenko allerdings von der Notwendigkeit eines solchen Besuches überzeugen. "Schreib mal alle Gründe auf, weshalb eine Reise nach Bonn unbedingt sein muss", sagte er zu Häber. Und Häber, der offen für eine "Koalition der Vernunft" zwischen beiden deutschen Staaten warb, verfasste ein Grundsatzpapier. Es war seine erste Arbeit als Politbüromitglied.

Moskau verbot den Staatsbesuch

Im August 1984 reiste Honecker mit Häbers Papier in der Tasche nach Moskau. Doch Tschernenko verbot Honecker den Staatsbesuch kategorisch und drohte ihm unverhohlen: "Das ZK der KPdSU hat stets das Vertrauen zwischen unseren Parteien hoch geschätzt. Das war und bleibt die Kernfrage. Das bezieht sich auch auf Sie, Genosse Honecker, persönlich." Nach Ost-Berlin zurückgekehrt, sagte Honecker den geplanten Besuch in Bonn ab: In der Bundesrepublik sei in äußerst unwürdiger Form darüber diskutiert worden.

Häber wird kaltgestellt

Nach dieser Niederlage suchte Honecker ein Bauernopfer. Und das sollte Herbert Häber abgeben, sein "Westexperte". Doch er konnte ihn nicht einfach aus dem Politbüro entfernen lassen, schließlich hatte er ihn selbst vor kaum drei Monaten als neues Mitglied vorgeschlagen. Und Häber hatte sich auch nichts zuschulden kommen lassen. Also wurde er kaltgestellt: Er durfte nicht am Messerundgang in Leipzig teilnehmen und auch keine Kontakte zu westlichen Politikern mehr pflegen. Im Politbüro schlug ihm eisige Ablehnung entgegen: "Wenn der Genosse Häber endlich mit seinen vorlauten Reden aufhören würde, könnten wir ja weitermachen", fuhr ihm Honecker einmal ins Wort. Im Herbst 1985 erlitt Häber einen Nervenzusammenbruch und wurde ins Regierungskrankenhaus eingeliefert. Dort besuchte ihn Honecker und legte ihm den Rücktritt nahe, denn er habe einen "Weltskandal" verursacht, weil er versuchte, einen Keil zwischen die UdSSR und die DDR zu treiben.

Von Wandlitz in die Psychiatrie

Am 22. November 1985 wurde Herbert Häber aus dem Politbüro ausgeschlossen. Offiziell hieß es: Genosse Häber habe aus gesundheitlichen Gründen um seine Entlassung gebeten. In Parteikreisen wurde das Gerücht gestreut, er sei an Krebs erkrankt. Die SED schickte Häber zu einer Kur nach Thüringen. Ständig stand er unter Bewachung von Personenschützern des MfS. Als er 14 Tage später nach Berlin zurückkehrte, war sein Büro beim ZK der SED verschlossen und er wurde zur "Akademie für Gesellschaftswissenschaften" geschickt. Dort hatte ihm Erich Honecker eine Stelle als "wissenschaftlicher Mitarbeiter" zugewiesen.
Am 6. Januar 1986 schließlich wurde Häber auf Anweisung Honeckers in das Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie in Bernburg eingewiesen. Zweieinhalb Monate später durfte er die Klinik überraschend und ohne jede Erklärung wieder verlassen und nach Berlin zurückkehren.

Anklage wegen "Anstiftung zum dreifachen Mord"

Das Ende der DDR erlebte Herbert Häber an der "Akademie für Gesellschaftswissenschaften". Eine Funktion hatte er freilich nie gehabt und auch keinen Arbeitsbereich. Er saß einfach seine Zeit ab. 1990 ging er in den Vorruhestand.

Im Mai 2004 wurde Herbert Häber vom Berliner Landgericht wegen "Anstiftung zum dreifachen Mord" schuldig gesprochen. Als Mitglied des Politbüros sei er mitverantwortlich für drei an der innerdeutschen Grenze erschossene Menschen. Da sich Häber während seiner Mitgliedschaft im Politbüro aber nachweislich für eine Abmilderung des Grenzregimes ausgesprochen habe und ihm daraus erhebliche persönliche Nachteile erwachsen waren, sah das Gericht von einer Bestrafung ab.

(Zitate aus: Der Fall Herbert Häber. MDR, Deutschlandfunk 1999.)