Griechische Kinder 1948 in der Tschechoslowakei
Flüchtlinge eines Bürgerkriegs: Ende der 1940er-Jahre mussten einige Tausend griechische Kinder und Jugendliche auf die Flucht ins Exil. Bildrechte: IMAGO / CTK Photo

Bürgerkrieg Kinder auf der Flucht: Wie die DDR zu "ihren" Griechen kam

06. April 2022, 05:00 Uhr

Zwischen 1949 und 1950 kamen insgesamt etwa 1.100 griechische Kinder und Jugendliche von Mitgliedern der Kommunistischen Partei Griechenlands in den Osten Deutschlands. Sie sollten Zuflucht vor den Wirren des griechischen Bürgerkriegs finden und zu "Partisanen des Sozialismus" ausgebildet werden. Man nannte sie Markos-Kinder.

Im August 1949 erreichte eine erste Gruppe von 342 griechischen Kindern im Alter zwischen acht und siebzehn Jahren samt zwei Dutzend Begleitern die Sowjetische Besatzungszone (SBZ). Sie sollten im Osten Deutschlands für einige Jahre Schutz finden und zu "Partisanen des Sozialismus" erzogen werden. Ein knappes Jahr später, im Juli 1950, folgten ihnen weitere 720 junge Griechen. Insgesamt lebten nun etwa 1.100 griechische Immigranten in der gerade erst gegründeten DDR.

Griechische Kinder 1948 in der CSSR
Markos-Kinder in einem Lager in der ČSSR: Griechische Kinder wurden während des Bürgerkrieges in den 1940ern in mehrere sozialisitische Länder geschickt. Bildrechte: imago/CTK Photo

Die Aufnahme der griechischen Kinder und Jugendlichen wurde in der SBZ als wohltätiger Akt gegenüber einem Land bezeichnet, das vom nationalsozialistischen Deutschland im Zweiten Weltkrieg überfallen worden war. "Die Aufnahme von Kindern griechischer Freiheitskämpfer ist für die Bevölkerung der Ostzone nicht nur ein Akt der Solidarität, sondern vor allem ein Teil von Wiedergutmachung, die das deutsche Volk an den vom Hitlerfaschismus heimgesuchten Völkern zu leisten habe", sagte der sächsische Innenminister Artur Hofmann im August 1949 der "Sächsischen Zeitung". Die DDR nutzte später die Aufnahme der jungen Griechen, um sich international als ein Staat zu präsentieren, der die Menschenrechte achtet und politisch Verfolgten Zuflucht gewährt.

Erziehung zu "Partisanen des Sozialismus"

In Griechenland tobte in den Jahren 1946-1949 ein Bürgerkrieg zwischen der unter Führung der Kommunistischen Partei stehenden Demokratischen Armee Griechenlands und den von den USA und Großbritannien unterstützten Truppen des griechischen Königs Paul. Als sich die Niederlage der Kommunisten abzeichnete, beschloss die Führung der Demokratischen Armee Griechenlands mit Markos Vafiadis an der Spitze, Tausende Kinder von Mitgliedern der Kommunistischen Partei Griechenlands in die sozialistischen Länder zu verschicken, um sie dort zu "Partisanen" ausbilden zu lassen, die das Land später einmal erobern sollten.

Insgesamt 28.000 griechische Kinder und Jugendliche samt Betreuern wurden daraufhin zunächst nach Bulgarien, Albanien und Jugoslawien gebracht. Viele Markos-Kinder (wie man sie später nach Markos Vafiadis nannte) fanden dann auch in der UdSSR, in Ungarn und der ČSSR Zuflucht. Die Führung in der Sowjetischen Besatzungszone erklärte sich bereit, etwa 1.100 von ihnen aufzunehmen.

Der Alltag der griechischen Kinder in der DDR

Die griechischen Kinder und Jugendlichen wurden in verlassenen Villen und Schlössern untergebracht, überwiegend in Sachsen. Zunächst wurden sie an verschiedenen Standorten in Radebeul untergebracht und danach auf andere Städte wie Dresden, Leipzig, Karl-Marx-Stadt, Zwickau und Bautzen verteilt. Mit der Zeit kamen sie auch in weiter entfernte Orte: nach Erfurt, Bernburg, Dölkau bei Leuna und Neuruppin.

Betreut wurden sie von griechischen und deutschen Betreuern des Anfang der 1950er Jahre gegründeten "Komitees Freies Griechenland". Der Alltag der Zöglinge war durchgeplant, die Erziehung streng und von Ideologie geprägt, denn schließlich sollten die jungen Griechen zu Kämpfern für eine große Idee erzogen werden.

Einige der Markos-Kinder erinnerten sich später, dass das Leben überwiegend in der Gemeinschaft stattfand, Ausflüge unternommen wurden und man schließlich auch die Schulen der DDR besuchen durfte. Als schwerste Bürde bezeichneten sie den Verlust der Heimat und die fast vollständige Trennung von Eltern und Geschwistern, die entweder noch in Griechenland lebten oder aber im Exil auf der ganzen Welt: in den USA, in Westeuropa oder Australien. Die meisten griechischen Kinder sahen ihre Eltern jahrelang nicht.

Zweifel am Sozialismus

Der Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953, Chrustschows Abrechnung mit Stalin auf dem 20. Parteitag der KPdSU in Moskau sowie der niedergeschlagene Volksaufstand 1956 in Ungarn verunsicherten die jungen Griechen. Erste Zweifel an der Überlegenheit des Sozialismus kamen auf: Dieses System sollten sie später einmal in Griechenland errichten? Das "Komitee Freies Griechenland" registrierte damals, dass viele der Markos-Kinder vermehrt kritische Fragen stellten, sich aufmüpfig zeigten und es vereinzelt sogar zu kleineren Protestaktionen kam.

Griechische Flüchtlinge: in der DDR integriert und privilegiert

1967 rollten in Griechenland erneut die Panzer. Das Militär etablierte eine blutige Diktatur, das sogenannte "Regime der Obristen". Die SED-Führung in Ost-Berlin ging nun davon aus, dass die griechischen Mitbürger wohl länger in der DDR leben werden müssen als einst geplant. Auch die Griechen selbst mussten sich im Sozialismus der DDR nun wohl oder übel einrichten. Alle Hoffnung auf eine baldige Rückkehr in die Heimat war verflogen. Sie besuchten die Schulen, absolvierten eine Ausbildung, studierten an den Hochschulen der DDR und planten hier ihre Zukunft.

Ein Junge und ein Mädchen blicken in die Kamera. Der Junge zeigt mit dem Finger auf die Kamera und lacht. 29 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Die inzwischen erwachsenen Markos-Kinder besaßen eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung als politisch Verfolgte, die ihnen die Verfassung der DDR garantierte, und hatten, anders als etwa die Vertragsarbeiter in der DDR, keine wesentlichen Nachteile im Alltagsleben zu befürchten. Im Gegenteil: Nach dem Sturz der Junta in Griechenland 1974 bekamen nach und nach alle Emigranten die griechische Staatsbürgerschaft zurück und durften fortan problemlos in ihre Heimat reisen. Einige der in der DDR lebenden Griechen avancierten mit den Jahren sogar zu namhaften Künstlern, wie etwa der Ost-Berliner Maler Fotis Zaprasis. Andere wieder arbeiteten als Übersetzer oder in der Nachdichtung griechischer Literatur. So kamen etwa die Werke von Jannis Ritsos oder Odysseas Elytis in die Buchläden der DDR.

Stasi überwacht auch die Griechen in der DDR

Dass die in der DDR lebenden Griechen relativ frei zwischen den Welten hin- und herreisen durften, passte der Staatssicherheit freilich überhaupt nicht. Sie befürchtete in den späten 1960er-Jahren, dass die in der DDR lebenden Griechen Kontakte zu ihren Landsleuten in West-Berlin oder in der Bundesrepublik aufnehmen oder sogar den Schwung der Studentenrevolte 1968 in die DDR tragen könnten. Auch Reisen zu ihren Familien fürchtete das MfS. Mielkes Ministerium beschloss daher, die griechischen Mitbürger vorsichtshalber unter dauerhafte Beobachtung zu stellen.

Heimkehr nach Griechenland?

1974 kam es zum Sturz des "Regimes der Obristen" in Athen. Die ersten freien Wahlen gewannen die Sozialisten. Den im Ausland lebenden Griechen wurde nun angeboten, wieder in die Heimat zurückzukehren. Noch aber folgten nur wenige von ihnen dem Ruf der neuen Regierung. Sie hatten sich inzwischen in der DDR eingerichtet, Familien gegründet und Freunde gefunden. Die sozialistische Republik war ihnen Heimat geworden. Und reisen konnten sie sowieso – und zum ersten Mal seit 25 Jahren nun auch nach Griechenland.

Erst in den späten 1980er-Jahren, in den Zeiten der Stagnation, verließen viele Griechen die DDR. Sie zogen in ihr Heimatland, in die Bundesrepublik oder nach Amerika. Die DDR-Führung hatte damals auch bereits das Interesse an ihren griechischen Mitbürgern verloren. Man konnte international keine Reputation mehr mit ihnen erzielen und ließ sie ziehen. 3.000 DDR-Mark durften bei der Ausreise in Devisen umgetauscht werden.

Ende 1989 lebten in der DDR nur noch knapp 500 Griechen, nicht einmal halb so viele wie 1950. In ihrem Dokumentarfilm über die Markos-Kinder, den die griechische Regisseurin Sophia Kambaki, die selbst in der DDR aufwuchs, 2015 drehte, sagen zwei ihrer Protagonisten: "Alles in allem aber war die DDR gut zu uns." - "Ja, das war sie."

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 26. November 2019 | 17:45 Uhr

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