Prominente über 30 Jahre Mauerfall Friedrich Schorlemmer und sein Familientreffen

22. September 2020, 16:13 Uhr

Friedrich Schorlemmer kennt man als Theologen, Publizisten und als einen der prominentesten Bürgerrechtler der DDR. Auch heute mischt er sich ein, beispielsweise wenn es um die islamkritische Pegida-Bewegung geht. Doch was hat sich für ihn in den vergangenen 25 Jahren verändert? Und wie hat sein Leben das seiner Kinder und Enkel beeinflusst?

On Tour: Mit Schorlemmers in Wittenberg

Friedrich Schorlemmer ist mit Tochter und Enkelin unterwegs an seiner alten Wirkungsstätte in Wittenberg. In dieser Konstellation ist das eine Premiere. Zum einen, weil Tochter Uta und Enkelin Hannah erst seit 2010 wieder in Deutschland leben. Zum anderen, weil Friedrich Schorlemmer viel unterwegs ist - 25 Jahre nach dem Mauerfalll wollen ihn viele sehen und hören. Am Rand des berühmten Wittenberger Lutherhofs hat die Familie Schorlemmer zwei Jahrzehnte gelebt. In Wittenberg hat Schorlemmer, der ehemalige Pfarrer und Theologe am Priesterseminar, DDR-Widerstandsgeschichte geschrieben – mit einer außergewöhnlichen Aktion.

Hier haben wir gewohnt, das war für mich, aus Merseburg, aus der ökologischen Giftküche kommend, wunderbar – guckst aus dem Küchenfenster und schaust auf die blühende Magnolie.

Friedrich Schorlemmer, 1978-1992 Prediger am der Schlosskirche in Wittenberg

Blick zurück: die Friedensbewegung

Tag der Aktion ist der 24. September 1983, evangelischer Kirchentag in der Lutherstadt. Im Lutherhof schmiedet der Kunstschmied Stefan Nau vor tausenden Zuschauern ein Schwert zu einer Pflugschar um. Initiator Pfarrer Friedrich Schorlemmer ruft in die Menge: "Ein jeder braucht sein Brot, seinen Wein und Frieden ohne Furcht soll sein. Pflugscharen schmelzt aus Raketen und Kanonen, dass wir in Frieden zusammen wohnen." Es wird gemeinsam gesungen, die Bilder des Westfernsehens gehen später um die Welt. Ein großer Moment, weil sich Schorlemmer und alle Anwesenden dem Staat widersetzen.

Der hatte mit der Kirche vereinbart, "Schwerter zu Pflugscharen", das Symbol der kirchlichen Friedensarbeit in der DDR, nicht mehr öffentlich zu zeigen - um Konfrontationen zu vermeiden. Die Abbildung eines Mannes, der ein Schwert umschmiedet, war als Lesezeichen ausgegeben worden, Jugendliche hatten sich es seit Beginn der 1980er Jahre auf Jacken genäht oder auf Schultaschen geklebt. Die Schmiede-Aktion - damals ein mutiges Zeichen des Widerstandes, für alle sichtbar.

Gespräch der Generationen: Hannah, Uta und Friedrich

Friedrich Schorlemmer kann sich heute an jedes Wort erinnern. Seine Tochter Uta weiß noch, dass sie dabei war - wie sie eigentlich immer bei allem dabei sein durfte - doch wie ist es für die 17-Jährige Hannah? Ihr geht es bei Geschichten aus der DDR-Zeit immer so, "dass ich merke, wie langweilig mein Leben eigentlich ist. Verglichen mit dem, was die beiden alles gemacht haben." Friedrich Schorlemmer und seine Tochter haben auch einiges durchgemacht.

Denn der Widerstand war nicht nur eine singuläre Aktion. Friedrich Schorlemer hatte schon in den 1970er Jahren viel für die Friedensbewegung in der DDR organisiert: Friedensdekade, Friedensseminare. Sowohl Friedrich Schorlemmer als auch seine Tochter Uta kennen die Kerhrseite des Mutes: Isolation in der Schule und in der Gesellschaft.

Blick nach vorn: Die Diskussion geht weiter

Schorlemmers Enkelin Hannah kann sich vieles, was Mutter und Opa erzählen, nicht so richtig vorstellen. Kein Wunder: Erst als Hannah 13 Jahre ist, entscheidet sich die Familie, fortan in Deutschland zu leben. Eine Zäsur - in ihrem Leben, aber auch in dem von Mutter Uta. Sie kehrt Deutschland nach 1990 den Rücken, geht nach Polen, in die Schweiz, nach Japan, nach Kalifornien. Fast 20 Jahre ist Deutschland nur Urlaubsland. Erst durch diesen langen Abstand sei die alte Heimat wieder näher an sie herangerückt.

Ich war ja sehr sehr gegen die Wiedervereinigung, dass war das, was ich überhaupt nicht wollte.  Und zwar aufgrund der Prägung, die ich auch von euch (Eltern, Anmerkung der Redaktion) mitgekriegt habe. Und ich wollte nach Frankreich gehen, weil ich auch mit dem großen Deutschland nichts zu tun haben wollte. Und von Frankreich aus bin ich ja dann nach Polen. Gedacht habe ich 'Europa - das ist eigentlich meine Heimat'

Uta Schorlemmer, Tochter von Friedrich Schorlemmer

Diskussionen führt die Familie heute noch gern, egal ob Mutter und Tochter über Google und Überwachung im Internet sprechen oder Friedrich Schorlemmer sich als Gesprächspartner und Buchautor einmischt. Er kämpft gegen innere Mauern und immer noch für den Frieden.

Friedrich Schorlemmer Friedrich Schorlemmer ist in Wittenberge geboren, aufgewachsen dann in Werben in der Altmark. Zu DDR-Zeiten studiert er Theologie in Halle. Das Abitur dafür muss er an der Volkshochschule nachholen, denn als Sohn eines Pfarrers ist ihm der Zugang zur Erweiterten Oberschule verwehrt worden. In den 1970er Jahren ist er Studentpfarrer in Merseburg, ab 1978 dann Dozent am Predigerseminar und Prediger an der Schlosskirche in Wittenberg. Die Aktion "Schwerter zu Pflugscharen" ist maßgeblich von ihm initiiert worden. Anfang der wurde Anfang der 1980er Jahre wurde das Bild eines Mannes, der ein Schwert zu einer Pflugschar schmiedet, zum Symbol der kirchlichen Friedensarbeit in der DDR und bald in ganz Deutschland. Die entsprechende Skulptur war ein Geschenk der Sowjetunion an die UNO. Noch heute steht sie vor dem Hauptquartier in New York.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Glaubwürdig | 11. Mai 2019 | 18:45 Uhr