Operation "Wüstensand": Isolierungslager für unliebsame Bürger

09. Dezember 2010, 15:51 Uhr

84.500 DDR-Bürger sollten an einem "Tag X" von der Stasi interniert werden. Einer von ihnen war der Wittenberger Pfarrer Friedrich Schorlemmer. Er sollte ins idyllisch gelegene Schloss Reinharz gebracht werden.

Schloss Reinharz liegt inmitten der Dübener Heide, unweit von Bad Schmiedeberg. Erbaut wurde es zwischen 1691 und 1701 vom Erbgrafen Heinrich Löser, einem Günstling August des Starken. Zu DDR-Zeiten befand sich in dem barocken Wasserschloss eine Kurklinik, in der sich krebskranke Frauen erholten. Hätte Stasi-Chef Erich Mielke die streng geheime Operation "Wüstensand" ausgelöst, wären sie allerdings Hals über Kopf weggeschafft worden, denn die Staatssicherheit hatte das Schloss 1989 als Isolierungslager für renitente Bürger im Bezirk Halle vorgesehen. "Es ist gut zu sichern", befand die Bezirksbehörde des Ministeriums für Staatssicherheit.

An die 200 Gefangene wollte man in den Kellern und Verließen von Schloss Reinharz verschwinden lassen, "schlagartig und konspirativ". Zur Bewachung waren mehrere Doppelposten vorgesehen, ausgerüstet mit 22 Maschinenpistolen und drei Maschinengewehren. "Und in den Verließen hätte die Stasi auch foltern können", sagt Werner Josef Baum, der damals in der Kurklinik beschäftigt war, "da hätte man draußen kein Schreien gehört."

"Die hätten uns in den Westen verkauft"

Einer derjenigen, die die Staatssicherheit für eine "Isolierung" auf Schloss Reinharz am sogenannten "Tag X" vorgesehen hatte, war Friedrich Schorlemmer, Pfarrer und Dozent am Wittenberger Predigerseminar. Schorlemmer war in den Achtzigerjahren einer der prominentesten Bürgerrechtler und Friedensaktivisten in der DDR. Im September 1983 initiierte er die spektakulärste Aktion der DDR-Friedensbewegung – das Umschmieden eines Schwertes zu einer Pflugschar auf dem Wittenberger Lutherhof. Die Bilder dieser Aktion gingen um die Welt und Schorlemmer wurde von nun an rund um die Uhr von der Staatssicherheit observiert. Sie führte ihn unter dem Namen "Johannes". Dass Schorlemmer auf den Listen des MfS ganz oben stand, verwundert ihn kaum. Was man mit den "Isolierten" angestellt hätte, darüber kann auch Schorlemmer nur spekulieren: "Die DDR war ja ziemlich klamm. Sie hätte sicher versucht, die 'Isolierten' so zu demütigen und ihnen das Rückgrat zu brechen - was sie bei einigen auch geschafft hätte -, und dann hätte sie sie in den Westen verkauft."

Personenlisten - aktuell sogar bis zum Herbst 1989

Insgesamt waren von der Staatssicherheit republikweit 84.500 Menschen für die Unterbringung in den Isolierungslagern vorgesehen - Ausreisewillige, Friedens- und Ökoaktivisten, Bürgerrechtler, regimekritische Schriftsteller, politisch unsichere Betriebsdirektoren. Sogar für auffällig gewordene Ausländer, die in der DDR lebten, waren spezielle Lager eingerichtet worden. Die Personenlisten wurden vom MfS ständig aktualisiert, zuletzt noch im Herbst 1989. "Die Menschen sollten abgeholt werden, ohne dass jemand wusste, wohin, wie lange, warum. Alles das, was ein rechtsstaatliches Verfahren ausmacht, war völlig außer Kraft gesetzt", sagt Friedrich Schorlemmer.

"Es ist verboten, auf Diensthunde einzuwirken"

Für das geplante Isolierungslager auf Schloss Reinharz hatte die Staatssicherheit bereits alles bis ins kleinste Detail geplant. Es existieren Bekleidungslisten für Männer und Frauen, Listen über benötigte Hygieneartikel und über die Tätowierung der Inhaftierten. Ein Offizier der Staatssicherheit fügte handschriftlich hinzu: "Vorwiegend müssen Verbandsmaterialien und Beruhigungsmittel bereitgestellt werden." Sogar an eine "Hausordnung" hatte die Staatssicherheit gedacht. Friedrich Schorlemmer: "Uns war es danach untersagt, auf Diensthunde einzuwirken, unerlaubte Verbindungen aufzunehmen oder andere Inhaftierte physisch oder psychisch zu misshandeln. Da frage ich mich: Was haben die für ein Bild von uns gehabt ...?"