"You can't always get what you want" Die Rolling Stones und eine Jugend in Leipzig

Von Kathrin Aehnlich

19. November 2021, 10:41 Uhr

Die Rolling Stones galten den Machthabern in der DDR als Inkarnation des Bösen. Und so wurde ihre Musik 1965 verboten. Doch die Stones-Fans in der DDR focht das nicht an - sie schnitten die Musik ihrer Idole im Westradio mit und spielten sie sogar auf halblegalen "Tanzveranstaltungen". Erst Jahrzehnte später traten die Stones dann in Leipzig auf.

Zu Beginn des sechsten Schuljahres fragte mich mein neuer Banknachbar: "Beatles oder Stones?" Ich musste mich bekennen. Für mich gab es nur eine Antwort: Die "Stones". Es war wie eine Religion, der man beitrat und von der man nur in den seltensten Fällen abließ. Getauft war getauft.

Wir ritzten die Namen unserer Helden in die Schulbänke und mit Tinte in unsere Haut. Wir schrieben sie in das Innere unserer Federmappen und wurden zum Direktor bestellt und belehrt, dass wir der Musik unserer Feinde nicht huldigen dürften. Auch zu Hause hatten wir keinen Rückenhalt. Dort durften wir unsere "Hottentotten-Musik" nur laut hören, wenn die Eltern nicht zu Hause waren. Wenn ich allein war, surfte ich auf den lustigen Wellen von "Radio Luxemburg", das ich nur empfangen konnte, wenn ich mein Kofferradio an das Abflussrohr in der Küche presste.

"Stones" statt "Puhdys"

Meine Schule lag direkt neben dem Leipziger Zentralstadion und zum Mittag gingen wir über die Straße in das Hauptgebäude und bekamen dort unsere "Schulspeisung".

Kathrin Aehnlich als Jugendliche mit Kofferradio
Kathrin Aehnlich 1972 in ihrem "Jugendzimmer", im Arm das zur Jugendweihe geschenkte Kofferradio "Stern Hobby" - fotografiert mit einer "Pouva Start" Bildrechte: Kathrin Aehnlich

Nach langem Bitten wurde uns gestattet, einmal im Monat in dem großen Saal des Stadionhauptgebäudes eine Diskothek zu "veranstalten". Das Geld für die Anlage sammelten wir uns nach Fußballspielen, im wahrsten Sinne des Wortes, durch das Auflesen leerer Bierflaschen zusammen und gründeten den "Jugendclub Sportforum". Ich saß auf der Bühne an der Lichtorgel, was bedeutete, dass ich abwechselnd vier Schalter im Takt der Musik hin und her schob. Wir nahmen die "Stones" im Radio auf und spielten die Titel vom Band. Wir scherten uns nicht um die Gesetze, die uns vorschrieben, mindestens 60 Prozent DDR-Musik im Laufe jeder Diskothek zu spielen. In die "AWA Listen", die wir abgeben mussten, schrieben wir Titel der "Puhdys" und spielten stattdessen die "Stones".

"Strenge Verwarnung" wegen "Stones"-Hörens

Wir wurden mit der Zeit so übermütig, dass ein Freund mit seiner russischen Superacht-Kamera einen Auftritt der "Stones" im Westfernsehen von seinem Fernseher abfilmte und wir die unscharfen, flackernden Bilder auf einer Leinwand zeigten. Der Ton kam asynchron vom Band, was niemand hörte, da das Rattern des russischen Projektors alles übertönte. "You can't always get what you want". Es dauerte nur wenige Minuten, bis die Männer in den Trenchcoats erschienen, alle Geräte beschlagnahmten und "den Übeltäter" verhörten. Wir kamen mit einer "strengen Verwarnung" und 200 Mark Geldstrafe davon, spürten aber die Beobachtung, unter der wir fortan standen. Von nun an mussten wir uns an die Regeln halten.