TdJW: Maroder Theatersaal, Gastspiele und Familiengefühl

MDR: Der Weiße Saal im Zoo-Gebäude, in dem Sie gespielt haben, war in einem schlechten Zustand, hygienisch und baulich ... Was gab es denn materiell gesehen noch für Schwierigkeiten, Engpässe und Mangelwaren?

Hanns Gallert: Es fehlte an allem, an Arbeitskräften und an Geld. Das Zoogebäude war teilweise zerstört, und es verfiel immer mehr. Unter dem Theater im Zoo waren die Kücheneinrichtungen für die Gastronomie. Es gab ja eine Riesengastronomie da drin, die die ganzen Freisitze und alle Zoobesucher versorgte, von dort bekamen wir auch unser Betriebsessen. Diese Küche war in einem sagenhaft desolaten Zustand. Da krochen die Viecher hin und her. Im Zoo nahen Gebiet, das ist sowieso gefährlich. Und dann war auch das Haus selber baufällig.

Nun hatte der Zoo eine Besonderheit. Das Gebäude war ja nicht nur der Ersatz für den Konzertsaal des Gewandhauses, bis das neue Gewandhaus entstand, Anfang der 80er Jahre, da wurden auch viele andere Veranstaltungen abgehalten. Und Günter Mittag, der Wirtschaftsminister, der instruierte dort alle halben Jahre, jeweils zur Frühjahrs- und Herbstmesse, seine Kombinatsdirektoren. Deswegen musste das Gebäude notdürftig erhalten werden. Und der Prüfer bekam den Parteiauftrag, das Haus nicht zu sperren und noch einmal eine Sondergenehmigung herauszulassen. Bis 1987 ging das so - dann wurde der größte Teil des Hauses doch noch geschlossen.

Hanns Gallert und das Theater der Jungen Welt in Leipzig

Hanns Gallert, geboren 1941 in Dresden, kam 1967 an das Theater der Jungen Welt in Leipzig. Er war Schauspieler, Regisseur, Oberspielleiter und schließlich kommissarischer Direktor des bekannten Kinder- und Jugendtheaters. Nach dem Ende der DDR wurde Hanns Gallert Intendant des Theaters und führte es bis in die 2000er-Jahre.

Was war denn Ihr schönstes Erlebnis mit dem Theater der Jungen Welt, und was ist ein Erlebnis, an das Sie sich nur sehr ungern erinnern?

Es gibt ja jeden Tag Höhepunkte und Tiefpunkte. Sehr schöne Erlebnisse waren die Reisen in die Volksdemokratien. Berlin, die Hauptstadt, hatte Kontakt mit der Hauptstadt, also zum Beispiel mit Moskau. Wir aus Leipzig hatten dahin zwar auch Kontakte, haben die auch besucht und schöne Erlebnisse gehabt, aber das war im Grunde fast inoffiziell und kam nur zustande, weil unser Direktor gute Kontakte hatte. Wir waren die zweitgrößte Stadt, also fuhren wir nach Kiew.

Mit diesen Kiewern, diese Gastspiele, diese Atmosphäre dort, das Besondere, die Sprache, die Gastlichkeit, die enorme Gastlichkeit gerade der Russen, die ist ja atemberaubend, wunderschön, auch ganz privat. Da trifft man einen auf der Straße, da nimmt er dich mit, manchmal nach Hause, und ehe man sich's versieht, wächst da ein Tisch heran, mit allem, was sie hatten, und das war damals natürlich ein bisschen mehr, als sie jetzt haben. Solche Reisen oder Begegnungen - ein bisschen Russisch lernen, ein paar russische Worte sagen - das prägte auch das Kollektiv. Man reiste zusammen, mit der Bahn ... Das waren Höhepunkte, auch das Gefühl der Anerkennung, obwohl es eine ganz routinierte, ganz klare Sache war. Das waren schöne Erlebnisse.

Es gab auch immer unangenehme Dinge, wenn in Leipzig Messe war zum Beispiel und Günter Mittag im Zoo-Gebäude seine Betriebsleiter instruierte, da mussten wir den Ausweis zeigen beim Betreten des Theaters. Wir wurden kontrolliert, wenn wir zur Arbeit gingen! Da haben wir gesagt: "Ja, dürfen wir nicht mal an unsere Arbeitsstelle?!" Das hat uns natürlich nichts geholfen, wir mussten doch den Ausweis zeigen.

Es gab auch zwei, drei Mal die Notwendigkeit, unsere Kinder nicht zu dem Eingang reinzuführen, durch den sie sonst immer gingen. Weil Günther Mittag da war ... Da sollte es leise zugehen, weil die Kinder ja laut sind. Da wollte man uns hintenrum leiten, wo es einen Zugang über den Bachsaal in den Weißen Saal gab. Da haben wir uns geweigert.

Das war in der DDR natürlich einfach, da gingen wir einfach zu den Genossen und haben gesagt: "Genossen, so geht das doch wohl nicht, sie können doch hier die Kinder nicht ausschalten, bloß weil hier ..." Und da kriegte man Recht. Ja, also im schlimmsten Fall, wenn gar nichts mehr ging, wenn ich ratlos war, dann ging ich zur Partei. Obwohl ich damit gar nichts zu tun hatte und nicht in der Partei war. Aber da ging ich dorthin. Selbstverständlich. Und ich hab gesagt: "Das kann doch wohl nicht sein!" Da zog man sofort den Schwanz ein. Aber so etwas ärgert einen, wenn man plötzlich behandelt wird wie ein Halbkrimineller, bloß weil Günter Mittag da ist. So eine lässige Diskriminierung, die ärgert.

Haben Sie sich hier am Theater während der DDR-Zeit auch als Familie gefühlt?

Ja. Aber das lag natürlich auch mit daran, dass wir ein sehr kleines Ensemble waren und uns auch immer benachteiligt vorkamen gegen das große Haus. Nun machte die großen Inszenierungen auch der Generalintendant Karl Kaiser selber, und wenn der Mal einen Vorhang bestellte für 20.000 Mark, und der wurde nicht verwendet, dann wurde der ins Magazin gelegt. Das hätten wir uns nicht erlauben dürfen. So dicke hatten wir es nicht. Aber wir hatten immer so eine Art Kollektiv, so nannte man das, jetzt nennen wir das mal vorsichtshalber "Team", aber das gab es immer. Dieser Geist ist immer weitergereicht worden, und das ist die einzige Chance gewesen, überhaupt zu überleben, auch nach der Wende.

An den Feiertagen, am 1. Mai, da kamen eigentlich alle, auch die, die sich einen Dreck um diesen ganzen Ramsch scherten, auch die kamen, selbst bei schlechtem Wetter. Man traf sich dann gleich hinterher, gleich hinter der Tribüne, das war am Georgi-Ring, Richtung Bahnhof. Da gingen wir dann aus dem Zug heraus, an den Schwanenteich, und dann gingen wir irgendwo hin und feierten den Tag weiter. Frauentag wurde gefeiert und all solches Zeug, und da waren sie eigentlich auch alle da. Und da gab es ein Fläschchen Parfüm oder ein Blümchen oder für fünfzehn Mark Essenbons oder so etwas, wir waren ja sehr bescheiden.

Die tägliche Zusammenarbeit hat uns natürlich zusammengeschweißt. Viele Mitarbeiter sind durch das Theater der Jungen Welt hindurchgegangen, obwohl wir einen recht festen Stamm hatten. Die Liste der ehemaligen Mitarbeiter ist jedenfalls voller berühmter Leute. Viele Stars der DDR waren hier.

Herr Gallert, auch das Theater der Jungen Welt hat Gastspiele im Westen gehabt. Wie haben Sie diese "Westreisen" erlebt?

Wir Kinder- und Jugendtheaterleute, wir hatten ja nur fünf Theater, wir waren natürlich innerhalb von etwa achtzig Theatern in der ganzen DDR immer noch eine kleine Besonderheit und hatten viele Kontakte. Und wir in Leipzig, so ein kleines unbedeutendes Theater, fuhren seit 1974 Jahr für Jahr zu etwa zehntägigen Tourneen auch ins so genannte "feindliche Ausland", auch nach Westdeutschland. Und der eine durfte mitfahren, der andere nicht, es gab immer irgendwelche Schwierigkeiten.

Trotzdem war viel möglich. Auch die Klischees - Unverheiratete durften nicht mitfahren - wurden mal gebrochen, wenn es nötig war. Je nach Laune. Wir waren 1974 in Westdeutschland, und ab 1974 eigentlich bis 1982/83 regelmäßig. 1983 starb das dann allmählich aus, dann gab es auch neue Reisegesetze, ab 1982. Ich weiß noch, ich habe die Reisegenehmigung dann wieder beantragt, weil wir Einladungen kriegten - auf die Genehmigung warte ich heute noch.

Die Westreisen waren nicht einmal so besonders angenehm, weil sie durch sehr viel Bewachung gekennzeichnet waren. Da wurde zum Beispiel nach der Vorstellung in einer westdeutschen Stadt der Bus so platziert, dass nur noch ein Meter Platz zum Ausgang blieb, und da stand dann unser technischer Direktor, ein strammer Genosse, und der passte auf. Vor allem bei der letzten Vorstellung. Ganz am Anfang, als man reisen durfte, hauten die Darsteller gern sofort ab. Nun waren das aber zum Teil durch westdeutsche Künstleragenturen organisierte Gastspiele, die fielen also aus, weil der Künstler verschwand. Also griff man sich den Künstler drüben und machte ihn verantwortlich für den Ausfall. Es war ja eine westdeutsche Agentur. Das sprach sich schnell herum, so einen Fehler macht man nicht oft. Und die nächsten, die flohen nach der letzten Vorstellung. Das war also der kritische Tag.

Da gab es hier zum Beispiel im Schauspielhaus einen bekannten Mann, dessen Klamotten wurden nach der letzten Vorstellung im Westen in den Bus geknallt, und ihm wurde gesagt: "Komm, wir wollen in den Bus, zieh dich hier um!" Ein Mann, der den Humanismus verbreitete, den Sozialismus verbreitete, der alle die schönen hehren Dichterworte verbreitete, wurde behandelt wie ein Sträfling und musste sich im Bus umziehen. Damit er nicht abhaut! Kein einziger ist von uns hier am Theater der Jungen Welt abgehauen, weil unsere Chancen als Künstler im Westen, das wussten wir schon längst, gering waren.

Das Interview wurde erstmals 1999 veröffentlicht.