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Interview mit dem Filmemacher Thomas Grimm"Das Politbüro hat Arbeitsverweigerung betrieben"

07. Juli 2022, 11:28 Uhr

Der Filmemacher Thomas Grimm hat für den MDR die Dokumentation über "Das Ende des Politbüros" produziert. Der Film bietet Einblicke in den innersten Zirkel der Macht während des Zusammenbruchs der DDR im Herbst 1989.

Thomas Grimm kennt sie alle: Krenz, Schabowski, Schürer... Der 1955 in Aue geborene Filmautor beschäftigt sich seit einigen Jahren mit der Führungselite der DDR. In seinem neuesten Film berichten hochrangige Funktionäre erstmals über eine Verschwörung gegen Honecker und den Zusammenbruch der SED.

Wie haben Sie es geschafft, das Vertrauen der einst mächtigsten Männer der DDR zu gewinnen?

Günter Schabowski mit Thomas Grimm Bildrechte: Zeitzeugen TV

Das ist ein langer Prozess. Und das bedeutet geduldiges Zuhören. Seit Jahren schon führe ich Interviews mit Personen der Zeitgeschichte, darunter auch mit führenden Persönlichkeiten der DDR. Viele von ihnen kennen das inzwischen auf Hunderte Namen angewachsene Zeitzeugen-Archiv und zeigten sich daher gesprächsbereit. Aus diesen Kontakten sind bereits einige Filme für den MDR entstanden. Es gelang, die private Seite des Ehepaars Honecker zu beleuchten und auch in den Alltag der einstigen Politbürosiedlung Wandlitz zu blicken. Nach den Erfolgen dieser Produktionen entstand die Idee, das Ende der DDR aus der Innensicht ihrer Führungselite zu erzählen.

Wie erklärt sich denn die seltsame Inaktivität des SED-Politbüros im Sommer und Herbst 1989? Wo waren die mächtigsten Männer der DDR?

Die meisten machten einfach Sommerurlaub. Und Erich Honecker hatte sich nach seiner Gallenoperation ins Gästehaus der Regierung nach Groß Dölln zurückgezogen. Im Prinzip war niemand auf der Kommandobrücke. Das ist heute schwer nachvollziehbar. Denn es ist ja auch eine Frage des Arbeitsethos - in einer Krisensituation mache ich nicht Urlaub. Ich frage mich, wieso sich diese Leute, wo Polizisten und Zöllner Überstunden machen mussten, das Recht herausgenommen haben, wochenlang abzutauchen.

Waren sich die Männer des Politbüros über den Ernst der Lage tatsächlich nicht bewusst?

"Der Dampfer lief schon seit 40 Jahren", wie Schabowski im Film sagt, "und wieso soll er mit einem Mal nicht mehr laufen?" Da macht man halt erstmal Urlaub in der Hoffnung, wenn man zurückkommt, hat sich vielleicht schon was geklärt. Oder ein Anderer hat etwas geklärt. Wenn man so will, haben die Politbüromitglieder schlicht Arbeitsverweigerung betrieben. Und das in einem der kritischsten Momente ihrer Parteigeschichte.

Die Ausreisewilligen Menschen in den Botschaften in Prag und Budapest waren doch nicht mehr zu übersehen …

Schabowski erzählte mir, wie er jeden Morgen mit dem Volvo von Wandlitz nach Berlin gefahren wurde. Und jeden Morgen hörte er den RIAS mit den neuesten Zahlen: Wie viele DDR-Bürger wieder in den Westen gegangen sind. "Na ja, mit der Zeit hat man sich halt daran gewöhnt", sagt er heute.

Hat die Staatssicherheit nicht genaue Berichte über die Lage im Land geliefert?

Erich Honecker sagte einmal: "Da stand ja nur drin, was ich auch in den Westzeitungen schon gelesen habe. Das habe ich gleich weggeschmissen."
Die Stasi hat nur aufgeschrieben, wie viele wieder abgehauen waren, keine Analyse, warum. Ausreisewillige waren für Erich Honecker sowieso nur Leute, denen er keine Träne nachweinte. Für ihn waren Proteste nur von Störenfrieden initiiert, auf die man aus seiner Sicht verzichten konnte.

Ahnten das die Männer im SED-Politbüro, dass die UdSSR im Herbst 1989 längst mit der Aufgabe der DDR spielte?

Nein, ganz sicher nicht. Als Egon Krenz am 1. November in Moskau war, gab es Bruderküsse. Er glaubte, was man ihm da erzählte. Und zur gleichen Zeit verhandelte Gorbatschow bereits mit Bonn… Insofern steckt in der Geschichte vom Ende des Politbüros auch eine gewisse Tragik. 40 Jahre lang wurden eine Partei und quasi ein ganzes Volk auf die "unverbrüchliche Freundschaft" zur UdSSR eingeschworen - und dann dieser Verrat Moskaus. Das war für das Politbüro nicht absehbar.

Ist die SED am Ende einfach in sich selbst zusammengefallen?

Während das Politbüro apathisch abwartet, ist das Volk längst auf der Straße. Die SED konnte der revolutionären Umgestaltung nichts entgegensetzen. Egon Krenz sagt im Film: "Dass die SED wie ein Kartenhaus zusammenfällt, das habe ich mir so nicht vorstellen können."
Die Hauptschuld daran dürfte wohl auf das Konto des Politbüros gehen. Über Jahrzehnte hinweg wurde die Basis der Partei nicht eingebunden, haben Honecker und Co. von oben regiert. Und als die Parteiführung dann die Basis brauchte, hatten sich die Genossen bereits verabschiedet. Zu Tausenden gaben sie ihre Parteibücher zurück. Die Partei war nur noch eine leere Hülle. Es gibt ja solche Pilze, wenn man auf die draufhaut, macht’s puff und es kommt so ein bisschen grauer Staub hoch. Und so ähnlich war das auch mit dem Ende der SED.

Dieses Interview wurde erstmals 2009 veröffentlicht.