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"Wir gegen uns!" - Qualifikation zur Europameisterschaft 1992

15. November 2021, 17:25 Uhr

Als im Februar 1990 die Qualifikationsgruppen für die EM-Endrunde ausgelost wurden, gab es einen Paukenschlag: In Gruppe 5 würden die DDR und die Bundesrepublik aufeinandertreffen. Und nur der Gruppensieger wäre für die Europameisterschaftsendrunde qualifiziert …

"Hoffentlich nicht zu uns", bat Franz Beckenbauer, der die Auslosung der Qualifikationsgruppen für die EM-Endrunde 1992 in Schweden am 2. Februar 1990 im Fernsehen kommentierte, inständig, als der einstige schwedische Nationalspieler Gunnar Nordahl das Los mit der Aufschrift "DDR" in der Hand hielt. Doch nur wenige Augenblicke später war es geschehen - die DDR war der Qualifikationsgruppe 5 zugelost und spielte mit der Bundesrepublik, Wales, Belgien und Luxemburg um den Einzug in die EM-Endrunde, für die sich nur der Gruppensieger qualifizieren konnte. Zum ersten Mal seit der deutsch-deutschen Begegnung bei der Weltmeisterschaft 1974, die die DDR durch ein Tor von Jürgen Sparwasser für sich entscheiden konnte, würden nun die beiden deutschen Teams wieder aufeinandertreffen. "Wir gegen uns!", titelte die "BILD"- Zeitung am nächsten Tag und fügte in einer Unterzeile hinzu: "Was für ein Quatsch!"

Die Lose nehmen, wie sie fallen

Der bundesdeutsche Teamchef Franz Beckenbauer gab sich nach der Auslosung zuversichtlich: "Nachdem sich Belgien, die DDR und Wales gegenseitig die Punkte abnehmen, wird sich unsere Mannschaft für Schweden qualifizieren." Das war der allgemeine Tenor im Westen.

In der DDR, in der in diesen Monaten des Umbruchs Fußball tatsächlich nur eine Randerscheinung war, gab man sich betont gelassen. Günter Schneider, Vize-Präsident des Fußballverbandes der DDR (DFV), bemerkte scheinbar ungerührt: "Wir sind beide Mitglieder der UEFA, da muss man die Lose nehmen, wie sie fallen." Nationaltrainer Eduard Geyer meinte allerdings: "Die BRD-Auswahl war nicht gerade der Wunschgegner für uns."

Insgeheim rechnete man sich im Osten aber doch eine Chance in der Qualifikation aus, galt die DDR-Auswahl doch als die spielstärkste seit vielen Jahren und besaß mit Matthias Sammer, Jörg Stübner, Ulf Kirsten, Thomas Doll, Rico Steinmann, Darius Wosz und Andreas Thom Akteure von internationalem Format in ihren Reihen, die zum Teil bereits bei bundesdeutschen Spitzenclubs unter Vertrag standen. Erschwerend wirkte sich hingegen aus, dass niemand wusste, wie es in der DDR weitergehen würde und zudem viele Spieler keine große Lust mehr verspürten, für die unzweifelhaft dem Untergang entgegen treibende Republik aufzulaufen.   

Keine deutschen-deutschen Spiele

Ungeachtet der politischen Koordinaten vereinbarten DFB und DFV die Termine für die beiden deutsch-deutschen Begegnungen. Das Hinspiel sollte im November 1990 in Leipzig stattfinden, das Rückspiel ein Jahr darauf, 1991, in München. Die TV- und Werberechte wurden zügig und höchst lukrativ verkauft.

Auch aus diesem Grund hatte DFB-Chef Hermann Neuberger kein gesteigertes Interesse an einem schnellen Zusammenschluss der beiden deutschen Fußballverbände. "Vereinigung ja. Aber nichts überstürzen", lautete seine Devise. Eine Vereinigung plante er für 1992, nach der Euromeisterschaft.

Zu den mit Spannung erwarteten Spielen "Wir gegen uns" kam es aber schließlich doch nicht mehr. Am 19. Juli 1990, in Erwartung der nahe bevorstehenden Vereinigung der beiden deutschen Staaten, erging in Frankfurt/Main der gemeinsame Beschluss des DFB und des DFV, die Mannschaft der DDR aus der EM-Qualifikation zurückzuziehen. Stattdessen sollte am 19. November 1990 statt des EM-Qualifikationsspiels ein Freundschaftsspiel zwischen der DDR und der BRD in Leipzig ausgetragen werden. Ein Spiel gegen Belgien sollte es im Herbst allerdings noch geben. Ursprünglich ein wichtiges Qualifikationsspiel für die EM-Endrunde, jetzt nur noch ein allerletztes Länderspiel.   

Abgesang der letzten Aufrechten

Als Eduard Geyer zum letzten Auftritt der DDR-Nationalmannschaft am 14. September 1990 in Brüssel lud, sagten ihm 24 Spieler ab, darunter die Stars Andreas Thom, Ulf Kirsten, Thomas Doll und Rico Steinmann, die Angst davor hatten, sich in einem bedeutungslosen Spiel für ein ohnehin bald von der Landkarte verschwindendes Land zu verletzen. Als einziger namhafter Spieler stieß Matthias Sammer, damals bereits beim VfB Stuttgart angestellt, zur Mannschaft. Als er in die Runde seiner Kollegen, allesamt jung und unerfahren, blickte, wollte er sogleich wieder heimfahren, doch es ging kein Flugzeug mehr und Geyer konnte ihn überreden, mitzuspielen.

Am Ende gewannen die "14 letzten Aufrechten", wie Geyer seine Nottruppe bezeichnete, mit 2:0, beide Tore schoss Matthias Sammer. Das Ergebnis war eine kleine Sensation und das "Neue Deutschland" resümierte einen Tag später: "Wenn in der DDR-Sportära oft von Teamgeist gesprochen wurde, hier wurde er von den Fußballern in der allerletzten Minute der internationalen Ära noch einmal anschaulich gemacht. Die 14 Spieler im DDR-Dress trotzten mannhaft dem großen Favoriten. Und auch wenn es um nichts mehr ging, dieses Resultat wird haften und festgeschrieben bleiben."       

"Auf Jahre hinaus nicht mehr zu besiegen"

Einen Monat zuvor war die bundesdeutsche Nationalmannschaft in Rom Weltmeister geworden. Bundestrainer Franz Beckenbauer verstieg sich nach dem Triumph zu einer Prophezeiung. Es täte ihm zwar leid für die Nationalmannschaften dieser Welt, verkündete "der Kaiser", doch die künftig mit den Spielern aus dem Osten verstärkte deutsche Nationalmannschaft werde "auf Jahre hinaus nicht mehr zu besiegen sein".

Die Euromeisterschaftsqualifikation gewann die bundesdeutsche Mannschaft tatsächlich souverän und erreichte bei der Endrunde 1992 in Schweden sogar das Finale. Dort unterlag die mit den einstigen DDR-Auswahlspielern Doll, Sammer und Thom verstärkte DFB-Auswahl dem krassen Außenseiter Dänemark allerdings mit 0:2.

Das Freundschaftsspiel zwischen der BRD und einer DDR-Auswahl im November 1990 hatte ausfallen müssen, nachdem ostdeutsche Hooligans damit gedroht hatten, das Spiel mit Randalen zu begleiten. Die wollten die Fußballfunktionäre lieber nicht erleben. Erst zwanzig Jahre später fand die Begegnung statt - im sogenannten "Spiel der Legenden" schlugen die DDR-Altstars die Weltmeistertruppe von 1990 in Leipzig mit 2:1.

(Quellen: Neues Deutschland, 18.09.2010; www.zeit.de "Eine Nationalmannschaft wird abgewickelt", Zeit Online 13.09.2010; dpa, 2.2.1990