Elisabeth Graul, Gefangene der SED
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Über eine Autorin, die etliche Jahre in den Zuchthäusern der DDR verbracht hat
19. Januar 2005, 14:28 Uhr
Vor einigen Jahren ist Elisabeth Graul von Magdeburg in einen kleinen Ort gezogen. Sie wollte ins Grüne. Den Traum, jederzeit den Himmel sehen zu können, erfüllte sie sich hier. Wenn Elisabeth Graul auf ihrer Dachterrasse die Arme in die Höhe streckt, scheint es, als möchte sie die Wolken berühren. Hier oben ist sie dem Himmel ein Stück näher. Ein Himmel, den sie in ihrem Leben nicht immer sehen konnte. Elisabeth Graul saß fast elf Jahre im Zuchthaus. Alle paar Tage für zehn Minuten ein Rundgang auf dem Hof. "Ich sehe nach oben, bewundere die dahin ziehenden Wolken. Wenn du jemals nur immer den Himmel sehen kannst, dann reicht das aus, um glücklich zu sein", schreibt sie über diese Zeit in "Die Farce - Ein Stück Autobiographie", erschienen im Magdeburger "imPuls-Verlag". So gesehen ist sie heute glücklich, und doch holt die Vergangenheit sie immer wieder ein. Die Angst, tagsüber durch den Alltagstrubel erstickt, wird nachts lebendig, sie legt sich auf die Brust, nimmt die Luft zum Atmen. In diesen Stunden wird die Vergangenheit zur durchlittenen Gegenwart.
Dieser Teil ihres Lebens begann am 25. Juli 1951. Elisabeth Graul, die in Weimar und Erfurt Musik studiert hatte und nun das Studium in West-Berlin fortsetzen wollte, besuchte vor ihrem Urlaub ihr Elternhaus in Thüringen, um sich von ihrer Freundin zu verabschieden. Ein langer Abschied, denn Elisabeth Graul wurde verhaftet. Das "Verbrechen": Sie war seit 1950 Mitglied einer Widerstandsbewegung, verteilte Flugblätter und wollte nicht, dass die braune Diktatur von einer neuen abgelöst würde, wie sie sagt. In "Die Farce" schreibt sie über eines der zahllosen Verhöre: "Ich bemühe mich, ihm verständlich zu machen, dass wir uns dagegen zu wehren versucht hätten, die Ideale einer freieren Welt abermals zerstören zu lassen, dass wir nichts mit Spionage zu tun gehabt hätten ..."
An diesem 25. Juli 1951 war Elisabeth Graul 23 Jahre alt. Es war der Tag, an dem sie ihre Unbeschwertheit verlor. Was folgte, waren Verhöre, Schikane, Krankheiten - an deren Auswirkungen sie bis heute trägt, sieben Monate Einzelhaft in einer Dunkelzelle in Berlin-Hohenschönhausen. Holzbett. Kübel. Dreieinhalb Schritte hin, dreieinhalb Schritte zurück. Kein Tageslicht. Kein Buch. Kein Radio. Keine Zeitung. Kein Papier. Elisabeth Graul verlernt zu sprechen, einfache Worte fallen ihr nicht mehr ein. Dazu die Kälte, der Hunger, der Dreck.
Im Februar 1952 wird Elisabeth Graul ins Gerichts-Gefängnis in der Berliner Albrechtstraße überführt. Der Prozess gegen sie wird vorbereitet. "Ob sie es wagen werden, unseren Haufen junger Idealisten einfach umzubringen? Ich versuche, mich innerlich mit dieser Möglichkeit vertraut zu machen. Da ist keine Panik, keine Verzweiflung. Nach sieben Monaten Keller von Hohenschönhausen ist der Punkt erreicht, an dem ich nur noch das Ende der Quälerei herbeisehne", schreibt sie in "Die Farce". Was muss diese Frau durchlebt haben, wenn ihr der Tod als erlösende Möglichkeit erscheint? Was muss sie durchlitten haben, wenn sie nicht mehr gespannt ist auf die Zukunft, weil die Gegenwart ihren Wert verloren hat?
Was hält einen Menschen dann noch im Inneren zusammen? "Die Gewissheit, kein Opfer, sondern Täter gewesen zu sein", sagt Elisabeth Graul. "Täter in dem Sinn: etwas getan zu haben für die Freiheit, für die Menschenwürde, für die Demokratie. Wir haben gewusst, was uns passieren kann. Aber wir haben auch gewusst, dass wir nicht nur Beobachter sein dürfen." Sie macht eine Pause: "Und ich hatte die Gewissheit, niemanden verraten zu haben. Nicht in den Verhören, nicht bei schwerster Krankheit im Fieberwahn."
Beim Prozess ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Der Prozess - eine Farce. Den Vorsitz führt Dr. Hilde Benjamin. Drei Frauen und neun Männer werden unter anderem der Spionage und der Boykotthetze angeklagt. Drei Tage dauert der Prozess, in dem sich die Verteidiger als Marionetten erweisen, die Wahrheit vor der Gerichtstür bleiben muss. Am dritten Tag die Urteile. Sie reichen von "lebenslänglich" bis zu "zehn Jahren Zuchthaus". Elisabeth Graul wird zu 15 Jahren verurteilt. Hilde Benjamin bescheinigt ihr, bei den Vernehmungen "nicht aufgeschlossen" gewesen zu sein. "Sie war und blieb ein Feind des Arbeiter- und Bauernstaates."
Die Jahre der Haft. Elisabeth Graul schreibt. Mit jedem Gedicht, jeder Geschichte baut sie sich eine Brücke in das Leben. Das Schreiben wird zu einem Schutzschild gegen die Angst. In ihren Gedichtbänden "Ich brenne und ich werde immer brennen" sowie "Türmer sein" finden sich Gedichte aus der Haftzeit. Zeilen wie ein Hilferuf, manchmal wie ein stummer Schrei. 1962. Eine Frau geht in die Freiheit. Elisabeth Graul ist 34 Jahre alt. Die Gitterstäbe werfen keine Schatten mehr. "Ich kam in eine neue Welt. Als ich die alte verließ, gab es noch Lebensmittelkarten. Ich kannte das neue Geld nicht." Sie hatte keines. Ihr geerbtes Haus wurde ihr weggenommen.
Zwei Dinge hatte Elisabeth Graul: Berufsverbot und die aberkannten Ehrenrechte. "Trotzdem begann für mich das Leben neu. Scheinbare Kleinigkeiten: Ich wurde nicht mehr als Strafgefangene angeredet. Ich konnte, wann immer ich wollte, den Himmel ohne Gitterstäbe sehen. Vor jedem Blumenladen sah ich mich satt an den prallen Farben. Meine Füße ertasteten einen eigenen Weg neu." Es begann das "Große, Schwere, Wunderbare: frei zu sein".
Bücher und Publikationen von Elisabeth Graul:
Die Farce: Ein Stück Autobiografie
Vogellieder: Überwiegend heiter, mit Illustrationen von Astrid Weinhold
Verrückt nach Leben, von Annemarie Lenkheit u.a.
Ausgefahren die Brücken: Gedichte
Ich brenne und ich werde brennen: Gedichte, von Theo Czernik (Vorwort), Elisabeth Graul u.a.
Shalom für Magdalena, Langen/Müller 2000
Türmer sein: Gedichte, Theo Czernik (Herausgeber)
In dunkler Frühe sang die Amsel, mit Fotos von Harry Ziethen
Blaue Trichterwinde: Ein Lesebuch, von Cordula Bischoff (Vorwort), Elisabeth Graul u.a.