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24. April 1974Warum Günter Guillaume Bundeskanzler Willy Brandt zu Fall brachte

17. November 2022, 12:51 Uhr

Günter Guillaume war jahrelang persönlicher Referent von Bundeskanzler Willy Brandt, vor allem aber Agent der Staatssicherheit der DDR. Am 24. April 1974 wurde Günter Guillaume enttarnt und festgenommen. Zwei Wochen später trat Willy Brandt zurück. Es war der größte Spionageskandal in der Geschichte der Bundesrepublik. Und für die DDR eine peinliche "Panne".

Am frühen Morgen des 24. April 1974 stürmten Beamte des Bundeskriminalamts eine Wohnung im Bonner Nobelbezirk Bad Godesberg. Besitzer der Wohnung war Günter Guillaume, persönlicher Referent des Bundeskanzlers Willy Brandt. "Ich bin Offizier der Nationalen Volksarmee der DDR und Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Ich bitte, meine Offiziersehre zu respektieren", sagte Guillaume bei seiner Festnahme. Die Beamten waren verblüfft, hatten sie Guillaume bislang doch nur im Verdacht gehabt, für den DDR-Geheimdienst tätig zu sein. Beweise hatten sie jedenfalls keine.

Um die Mittagszeit kehrte Willy Brandt von einem Staatsbesuch in Ägypten zurück. Am Flughafen wurde er bereits von seinem Innenminister Hans-Dietrich Genscher erwartet, der dem Kanzler die sensationelle Nachricht überbrachte. Sein Referent sei heute als DDR-Spion enttarnt worden. Es war der Beginn eines Skandals, der die Bonner Republik nachhaltig erschütterte.

Die Guillaumes wurden von der Stasi in die Bundesrepublik geschickt

Bereits 1956 reiste Günter Guillaume, Redakteur im DDR-Schulbuchverlag "Volk und Wissen", gemeinsam mit seiner Frau Christel in die Bundesrepublik ein. Das Ehepaar gab an, aus der DDR geflohen zu sein. Tatasächlich war Guillaume aber von der "Hauptverwaltung Aufklärung" (HVA) der Staatssicherheit in den Westen geschickt worden. Sein Auftrag lautete: "Integration und Aufklärung der SPD". Guillaume ließ sich in Frankfurt nieder und eröffnete einen Kaffee- und Tabakladen unter dem Mädchennamen seiner Frau: "Boom am Dom".

Hochzeitsfoto von Christel und Günter Guillaume Bildrechte: MDR/ARD Degeto/BBC/Steffan Hill

Günter Guillaume machte Karriere in der SPD

1957 trat Günter Guillaume in die SPD ein und machte schnell eine kleine Parteikarriere. 1968 hatte er es immerhin bis zum Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Frankfurter Stadtrat gebracht. Im gleichen Jahr ernannte ihn ein Parteifreund, Bundesverkehrsminister Georg Leber, zu seinem Wahlkampfmanager. Nach der Wahl Willy Brandts zum Bundeskanzler 1969 wurde Guillaume Referent in der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik im Bundeskanzleramt. Die Sicherheitsüberprüfung verlief ohne Schwierigkeiten. Guillaume galt als vertrauenswürdig. Die Staatssicherheit hatte nun einen großen Coup gelandet - einer ihrer Genossen war fest im westdeutschen Machtzentrum installiert. Und Guillaume schickte fleißig Berichte an die Genossen in Ost-Berlin. Seine Frau, die als Sekretärin für die SPD arbeitete, unterstützte ihren Mann dabei nach Kräften.

Günter Guillaume, persönlicher Referent von Willy Brandt

Im Januar 1972 schaffte es Günter Guillaume schließlich bis nach ganz oben - er wurde persönlicher Referent des Bundeskanzlers. Die Sicherheitsüberprüfungen durch den Verfassungsschutz überstand der "Kundschafter des Friedens" erneut ohne Mühe. Man attestierte ihm sogar, dass auch nichts gegen einen Umgang mit geheimen Akten spräche. Guillaume war jetzt fast ständig an der Seite des Bundeskanzlers. Er begleitete ihn auf Reisen, war bei Gesprächen im SPD-Parteivorstand und im Bundeskanzleramt dabei und erhielt auch Einblicke in Brandts Privatleben. 1973 begleitete der Stasi-Spion die Brandts sogar in den Urlaub nach Norwegen. Guillaume war unter anderem dafür zuständig, dem Kanzler entschlüsselte Meldungen aus der Fernsprechabteilung, die der BND betreibt, auszuhändigen. Guillaume fertigte sich Kopien an und schickte sie an die HVA. Darunter auch einen Brief Richard Nixons an Willy Brandt - das bedeutendste Dokument, dass Guillaume jemals in die Hände bekam.

Bundeskanzler Willy Brandt, Günter Guillaume und Helmut Schmidt auf dem SPD-Parteitag 1973 in Hannover Bildrechte: IMAGO / Sven Simon

Bundeskanzler Willy Brandt tritt zurück

Gewisse Indizien für eine Agententätigkeit Günter Guillaumes lagen dem Bundesnachrichtendienst allerdings seit Mitte 1973 vor. Ausgangspunkt waren verschlüsselte Geburtstagstelegramme, die das MfS seinem Kundschafter in der Bundesrepublik Jahr für Jahr schickte. Nach Kombination der Geburtsdaten fiel ein schwacher Verdacht auf Brandts Referenten, der schließlich zur Haussuchung am 24. April 1974 führte.

Vierzehn Tage nach der Enttarnung Guillaumes, am 6. Mai 1974, trat Willy Brandt als Bundeskanzler zurück. Wegen "Fahrlässigkeiten im Zusammenhang mit der Agentenaffäre Guillaume", schrieb er dem Bundespräsidenten. Brandts guter Freund und langjähriger Weggefährte Egon Bahr hatte ihm zu diesem Schritt geraten.

Anderthalb Jahre später, im Dezember 1975, wurden Günter Guillaume zu 13 Jahren und seine Frau Christel zu acht Jahren Freiheitsstrafe wegen schweren Landesverrats verurteilt.

Günter Guillaume wird bei seiner Rückkehr in die DDR als Held gefeiert

Guillaumes Informationen waren für das MfS tatsächlich nur von geringem Wert. Insgesamt 24 Berichte sandte Guillaume zwischen 1969 und 1974 an seine Dienststelle in Ost-Berlin. Nur sechs davon befassten sich mit der Politik der Bundesregierung, die anderen betrafen eher belangslose SPD-Parteiinterna oder Gewerkschaftsfragen. Die HVA bewertete die Qualität ihres Kanzleramtsspions überwiegend mit der Note "3". Als Guillaume gemeinsam mit seiner Frau auf Grund eines Agentenaustausches 1981 in die DDR zurückkehrte, wurde er dennoch als großer Held gefeiert und mit Orden und Auszeichnungen überhäuft.

Markus Wolf, Chef der Auslandsaufklärung der Staatssicherheit, 1997 Bildrechte: imago images / teutopress

Markus Wolf: Sturz von Willy Brandt war "eine Panne"

Günter Guillaume behauptete nach dem Ende der DDR, Willy Brandts Rücktritt wegen seiner Agententätigkeit im Bundeskanzleramt nie "im Auge" gehabt zu haben. Auch Markus Wolf, Chef der HVA, betonte stets, dass der Sturz Willy Brandts zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt gewesen sei. Es habe sich, so Wolf, lediglich um "eine Panne" gehandelt.

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Dieses Thema im Programm:artour | 10. April 2014 | 22:00 Uhr