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Das ehemalige Stasi-Untersuchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen Bildrechte: imago/Seeliger

Auch Mielke kam hinter GitterStasi-Knast: Die Mauer fiel, die Häftlinge blieben

02. März 2010, 10:29 Uhr

Hunderttausende Menschen demonstrierten 1989 friedlich für Freiheit. Als im November die Mauer fiel, saßen vielen politischen Häftlinge in DDR-Gefängnissen - und blieben auch inhaftiert. Einer der letzten Stasi-Häftlinge war MfS-Chef Mielke höchstpersönlich.

17 Haftanstalten für Regimekritiker und Staatsfeinde gab es in der DDR. Verteilt über das ganze Land. Mehr als die Hälfte der insgesamt 200.000 Häftlinge saß noch im Gefängnis, nachdem am 9. November die Mauer gefallen war und DDR-Bürger frei in den Westen reisen konnten. Einer der letzten Insassen der Zentralen Haftanstalt Berlin-Hohenschönhausen war im Dezember 1989 der ehemalige Stasi-Chef Erich Mielke. Er, der jahrzehntelang Menschen unter teils unwürdigen Zuständen in kleinen Gefängniszellen sitzen ließ, beschwerte sich nach seiner Einlieferung sofort über die schlechten Haftbedingungen - und wurde in ein Gefängnis in West-Berlin verlegt.

Stasihäftlinge: Unklarheiten von Anfang an

Dabei war es einst Erich Mielke der sagte: "Wenn wir hier nicht in der DDR wären, wenn der Westen nicht wäre, würde ich einige erschießen lassen. Dann wäre es mit jeder Gesetzlichkeit am Ende. Da würde ich nicht etwa einen Prozess machen, sondern kurzen Prozess." Als Minister für Staatssicherheit (MfS) wusste er genau, dass viele politische Gefangene über längere Zeit sogar ganz ohne Prozess hinter Gittern saßen. Sie wurden lange im Unklaren gelassen, welcher Vergehen man sie konkret anklagen wollte und wie hoch ihre Strafen sein würden.

Das Ministerium für Staatssicherheit drohte ihnen mit mehreren Straftatbeständen und mit Höchststrafen, um sie für Aussagen gefügig zu machen. Mit ausgeklügelten psychischen Repressalien sollten sie während der Untersuchungshaft psychisch zermürbt werden und wurden im Ungewissen gelassen, wie lange die "Ermittlungen" der Stasi dauern würden. Das wurde jeweils "operativ" entschieden.

Politische Häftlinge gab es offiziell nicht

Auch Uta Franke wusste lange nicht, wie ihr geschah. Nach ihrer plötzlichen Festnahme auf offener Straße am 5. September 1979, mit der typischen Aufforderung "Zur Klärung eines Sachverhalts", saß sie neun Monate in Stasi-Untersuchungshaft in der Leipziger Beethovenstraße - eine lange Zeit der Ungewissheit, Einschüchterung und Trennung von ihrer kleinen Tochter. Die damals 24-jährige gelernte Schriftsetzerin hatte politische Gesprächsrunden mitorganisiert und beim Druck von Flugblättern geholfen. Mitglieder ihrer Gruppe brachten Losungen am Völkerschlachtdenkmal an, auf denen die Freilassung des Autors Rudolf Bahro gefordert wurde. Er saß wegen seines in der BRD erschienenen systemkritisches Buchs "Die Alternative" im Gefängnis.

Rund 200.000 Menschen waren in der DDR aus politischen Gründen inhaftiert - eine Tatsache, die die Staatsführung nach außen stets leugnete. Politische Häftlinge gab es offiziell nicht. Wer einmal in die Mühlen der Staatssicherheit geriet, kam nur schwer wieder heraus. Die häufigsten Vorwürfe: staatsfeindliche Hetze, Republikflucht, Landesverrat, Spionage. Der Begriff der Spionage war allerdings weit gefasst: Ein landesfeindlicher Agent konnte schon sein, wer kurz mit Westjournalisten sprach. Um der Militärspionage verdächtigt zu werden, genügte es, in einem Brief an Westverwandte über Erlebnisse beim Wehrdienst zu berichten. Und auch wer mehrfach einen Ausreiseantrag stellte, machte sich strafbar.

"Zersetzung" als Druckmittel

Formal war die Untersuchungshaft des MfS eingebettet in die Strafprozessordnung der DDR. Die "Beschuldigten" landeten nach ihrer Festnahme in einer der 17 Stasi-Untersuchungshaftanstalten. Die zentrale Einrichtung befand sich in Berlin-Hohenschönhausen und war auf keinem Stadtplan zu finden. Das Areal war militärischer Sperrbezirk, von der Außenwelt hermetisch abgeriegelt. Es gab 120 Vernehmungsräume für 120 Inhaftierte - alle konnten zur selben Zeit vernommen werden.

Auch die Haftanstalt "Bautzen II" war berüchtigt. Die Einrichtung wurde ab Mitte der fünfziger Jahre vom Ministerium für Staatssicherheit als Sonderhaftanstalt für politische Gefangene genutzt. Hier waren, wie in anderen Einrichtungen auch, psychischer Terror und Isolation der Häftlinge an der Tagesordnung. "Zersetzung" hieß das in der Fachsprache der Staatssicherheit. Das Leben der "Gegner" sollte durch Verleumdung, Erpressung und Einschüchterung zerstört werden. Unter den Bautzener Insassen waren auch der Schriftsteller Erich Loest (Vorwurf: konterrevolutionäre Gruppenbildung) und der Publizist Karl Wilhelm Fricke (Vorwurf: Kriegs- und Boykotthetze).

Selbst auf der Toilette unter Aufsicht

Die gebürtige Leipzigerin Uta Franke erinnert sich noch heute an die Ungewissheit in der Stasi-Untersuchungshaft, an die Repressalien und Befehle - und daran, dass ihr niemand sagte, wie es weitergeht: Die Staatssicherheit wollte die Inhaftierten an die Grenze der psychischen Belastbarkeit führen. "Vernehmungstaktisches Einwirken" wurde das intern genannt. Auch ihre Identität verloren die Gefangenen in der Stasi-Untersuchungshaft: Laut Vorschrift waren sie nur mit Nummern anzusprechen, nicht mit ihrem Namen. Außerdem wurden sie Tag und Nacht überwacht, selbst auf der Toilette und beim Duschen. Mitgefangene leiteten Informationen weiter, die Zellen waren häufig verwanzt

Mit dem Gesicht zur Wand

Vor allem die Isolation der Gefangenen hatte Methode. Für viele war der Vernehmer die einzige Bezugsperson, Besuchserlaubnisse waren selten. Das Ziel der Stasi: Der Vernehmer sollte das Vertrauen der Häftlinge gewinnen. Nicht wenige Insassen waren irgendwann sogar froh, zum Verhör geholt zu werden - weil sie dann ein paar Worte reden durften. Im Zellentrakt und auf dem Weg zum Verhör begegneten sich die Inhaftierten nie. Dafür sorgten weitreichende Ampelsysteme. Bei rot hieß es: "Stehenbleiben und mit dem Gesicht zur Wand!" Frische Luft gab es maximal eine halbe Stunde am Tag - in hoch gemauerten Freizellen. Manchmal war sogar dort der Blick zum Himmel versperrt. Und selbst hier: permanente Beobachtung. Auch die Familie "draußen" wurde in der Regel weiter überwacht. Überwachungsprotokolle und Fotos der Familienmitglieder sollten Gefangene zusätzlich zermürben.

Das taten auch die vielen offenen Fragen: Warum bin ich hier? Was wird mir zur Last gelegt? Wie geht es weiter? Wie hoch wird meine Strafe? Uta Franke erfuhr den genauen Wortlaut ihrer Anklage erst ein Dreivierteljahr nach ihrer Festnahme, als sie die Anklageschrift ein einziges Mal lesen durfte: Ihr wurde unter anderem vorgeworfen, "mit Dritten den Boden für einen imperialistischen Aggressionskrieg" vorbereitet zu haben. Das spätere Urteil: zwei Jahre und vier Monate Haft. Bis dahin hatte sie jedoch bereits neun Monate der Verunsicherung, Einschüchterung und Angst hinter sich.