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Die Aktenberge der Transportpolizei

30. August 2018, 13:38 Uhr

Die Transportpolizei der DDR hat riesige Aktenberge hinterlassen, weil jeder "Vorgang" penibel an die Stasi weitergemeldet wurde. Dennoch waren viele Trapo-Mitarbeiter Stasi-Zuträger, die zusätzlich eigene Ermittlungen anstellten.

von Nils Werner

Noch steht die erste große wissenschaftliche Untersuchung zur Transportpolizei, der Bahnpolizei der DDR, aus, aber so lange wollten wir nicht warten. Deshalb hat "MDR Zeitreise" bereits vor Monaten bei der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) Akteneinsicht in die Hinterlassenschaften der Trapo, wie die Transportpolizei umgangssprachlich genannt wurde, beantragt und konnte in Berlin zumindest einen kleinen Teil (ca. 2.000 Blatt) dieses riesigen Aktenberges einsehen. Und das mit durchaus verblüffendem Ergebnis.

MfS ist immer informiert

Dass sich Akten des Bereichs III ZBK (Zugbegleitkommando) der Transportpolizei, zuständig für den sogenannten "Wechselverkehr" (gemeint ist der Transitzugverkehr), überhaupt in so reichem Maße in den Beständen des MfS wiederfinden, hat einen einfachen Grund: Von jedem einzelnen Bericht aus dem jeweiligen Transportpolizeiamt (TPA) der Bezirke erhält die jeweilige MfS-Bezirksverwaltung einen Durchschlag. Doch daneben gibt es auch einen großen internen Schriftverkehr zum Thema Zugbegleitkommando – abgelegt in der Zentrale, Hauptabteilung XIX, Aufgabengebiet Sicherung aller Bereiche des Verkehrswesens. Und der hat es in sich.

Lagebeurteilung

Penibel listet etwa die Dresdner Bezirksverwaltung des MfS am 25. März 1988 auf, wie viele Personen in der Diensteinheit ZBK Dresden arbeiten: elf Offiziere und 60 Wachtmeister. Und weiter unten: Wie viele davon inoffiziell mit dem MfS zusammenarbeiten: ganze 17. Acht IM im administrativen Bereich, neun IM in den Fahrgruppen – also bei denen, die täglich in die Transitzüge steigen, um als vorgebliche Reisende Personen zu beobachten oder konspirativ auszuhorchen, die ihnen verdächtig erscheinen.

Jeder Vierte beim Dresdner ZBK ist also Stasi-Zuträger. Nur warum, wenn die Staatssicherheit doch ohnehin jeden Bericht ganz offiziell bekommt? Sie will ganz offensichtlich nicht nur an die Berichte herankommen, die für die Transportpolizei von Relevanz sind, sondern an sämtliche Informationen. Das heißt, auch an Informationen, die gar nicht in den polizeilichen Umlauf, sprich in einen Bericht der Trapo gelangen, weil sie – zumindest aus deren Sicht – keine Ermittlungen nach sich ziehen müssen.

Die Historikerin Jana Birthelmer konstatiert: "Man hat ganz einfach auf Nummer sicher gehen wollen, dass da nichts verloren geht. Es gibt da ja dieses große EDV-Speicherprojekt der Stasi, also Datenbanken, die man gefüttert hat. Da reden wir von mehreren zehntausend Personen, die erfasst sind in diesem Speicher."

"Verstöße gegen die staatliche Ordnung"

Wie Informationen über diese Personen in den Speicher gelangten und warum, auch darüber geben die Akten äußerst aufschlussreiche Auskünfte. Zum Beispiel eine "vertrauliche Verschlusssache" des Transportpolizei-Amts Leipzig, wo 1988 eine "zentrale Auswerterstelle" ihren Sitz hat. Im zweiten Halbjahr 1987, heißt es da, wurden insgesamt "4.252 Reisende im Wechselverkehr DDR-BRD" durch die DE (Diensteinheit) ZBK "begleitet".

Und dies mit der Folge, dass 1.489 sogenannte "operative Ausgangssachverhalte mit 2.410 Personen erarbeitet und den zuständigen Dienststellen übergeben wurden". Instinktiv fragt sich der Leser: Welchen Dienststellen wurden diese Sachverhalte übergeben? Und ahnt: Es müssen die Abteilungen der Stasi selbst sein, die die erfassten "Vorbereitungshandlungen" gemäß §213 StGB "Republikflucht“ (92 Sachverhalte mit 115 Personen) und die "verdächtigen Personen" (1.275 Sachverhalte mit 2.261 Personen) weiter bearbeiten.

"Durchsetzung der Interessen des MfS durch gezielte Einflussnahme"

Es fällt auf, dass nur ein geringer Teil der Arbeit der ZBK-Mitarbeiter tatsächlich einer unmittelbaren polizeilichen Ermittlungsarbeit oder Gefahrenabwehr ("Aufdeckung von Material- und Personenschleusungen") dient. Vielmehr trägt die Arbeit mehr und mehr der Stoßrichtung des MfS Rechnung: "Erarbeitung von operativ interessanten/bedeutsamen Informationen zu Kontakten, Denk- und Verhaltensweisen von Personen." Aus diesem Grund drängt die Hauptabteilung XIX immer wieder darauf, mit IMs ("in geeigneten Führungspositonen" und vor allem im Bereich der Auswertung)  immer tiefer in den Transportpolizeiapparat einzudringen – "zur spürbaren Erhöhung des Anteils der Ergebnisse zum eigenen Nutzen", wie es lapidar heißt.

Wird die originär polizeiliche Ermittlungsarbeit damit ausgebremst?

In jedem Fall lässt sich immer wieder ein massiver Versuch der Unterwanderung feststellen. Auch in Richtung Zoll. Von den Erkenntnissen beispielsweise, die verdeckte Transportpolizisten in den Zügen über geplanten Schmuggel von Geld oder Waren auskundschaften und an den Grenzübergangsstellen konspirativ an Mitarbeiter der Passkontrolleinheiten (Personal der Staatssicherheit) weitergeben, erfährt der Zoll erst nach einem halben Jahr.

Pleiten, Pech und Pannen

Doch es ging nicht immer alles glatt in diesem auf maximale Informationsabschöpfung zielenden Zusammenspiel. In einigen Fällen hatte das ZBK große Mühe, die Konspiration aufrechtzuerhalten, wie ein - heute zumindest - launig zu lesender Warnbrief eines ZBK-IM preisgibt (siehe nebenstehenden Akten-Auszug).

Und in manchen Fällen wird man das Gefühl nicht los, dass es dem Zugpersonal gelegentlich eine große Freude bereitete, bestimmte ZBK-Mitarbeiter bloßzustellen oder auszubremsen, wie nebenstehender Akten-Auszug belegt.

Über dieses Thema berichtete der MDR im TV auch in "MDR Zeitreise"28.08.2018 | 21:15