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Bildrechte: Heimatstube Bruchstedt

Unwetter-Katastrophe 1950"Das Wunder von Bruchstedt"

29. April 2011, 13:12 Uhr

Am 23. Mai 1950 wurde das thüringische Bruchstedt durch eine Flutwelle stark zerstört. SED und Landesregierung beschlossen, das Dorf binnen 50 Tagen wieder aufzubauen. Und der Plan wurde tatsächlich ausgeführt.

"Als wir nach der Unwetterkatastrophe beschlossen, dass Bruchstedt in fünfzig Tagen wieder aufgebaut sein wird, gab es eine Menge Zweifler im Lande Thüringen, die diesen Termin als unmöglich erachteten.

Und wir hörten sogar, dies alles wären nur tröstende Worte, hinter denen nichts stünde", gab Erich Mückenberger, Erster Sekretär der SED-Landesleitung Thüringen, bei der festlichen Einweihung des "neuen Bruchstedt" am 16. Juli 1950 unumwunden zu. Doch die Planvorgabe der Thüringischen Landesregierung und der SED war tatsächlich eingehalten worden: In exakt fünfzig Tagen hatte man den kleinen thüringischen Ort wieder aufgebaut. Überall hieß es jetzt: "Das Wunder von Bruchstedt".

Vier Meter hohe Flutwelle überrollt Bruchstedt

Am Abend des 23. Mai 1950 hatte sich eine vier Meter hohe Flutwelle durch Bruchstedt gewälzt. Acht Menschen starben, 19 Gehöfte wurden vollständig zerstört, weitere 150 schwer beschädigt, und fast das gesamte Vieh ertrank in den Wassermassen. Es war eine der schlimmsten Naturkatastrophen in Mitteldeutschland seit 150 Jahren und die erste in der sieben Monate vorher gegründeten DDR. "Ich weiß noch genau, wie die Nachbarn in Todesangst um Hilfe riefen", erinnert sich die damals sechsjährige Annerose Schuck, die sich in letzter Sekunde mit ihrer Familie auf den Dachboden retten konnte.

Kühe und Schweine wurden ihrem Schicksal überlassen. Sie schrien in Panik. Es war furchtbar.

Zeitzeugin Annerose Schuck

Um fünfzig Jahre zurückgeworfen

Die trostlosen und deprimierten Einwohner des verwüsteten Ortes meinten, wenigstens fünfzig Jahre würden vergehen, bis sie wieder so weit sein würden, wie sie gewesen waren. Daran konnten auch die Hilfslieferungen aus allen Teilen der Republik nichts ändern und genauso wenig der bereits am Morgen nach der Katastrophe gefasste Beschluss der Landesregierung, Bruchstedt binnen fünfzig Tagen wieder aufzubauen. Alles leere Versprechungen, hieß es, und: Wann jemals hätte eine Regierung Anteil genommen am Schicksal von in Not geratenen Bauern?

Gewaltige Herausforderungen

Die Skepsis kam nicht von ungefähr, denn die kühne Planvorgabe der Erfurter Landesregierung schien absolut illusorisch angesichts der gewaltigen Herausforderungen. Nicht nur die Gehöfte nebst Stallungen und Schuppen sollten neu errichtet, sondern auch das Flussbett des Fernebach erweitert und eine neue Straße gebaut werden. Zusätzlich waren ein Kulturhaus, eine Schule, eine Kindertagesstätte sowie eine "Wasch- und Brauseanlage" geplant. Selbst den als Projektleiter beauftragten Berliner Architekt Erhardt Gißke plagten große Zweifel: "Ich glaubte nicht, dass das alles in 50 Tagen zu schaffen ist."

Unterstützung aus allen Teilen der Republik

Der Wiederaufbau Bruchstedts sollte nach dem Willen von Landesregierung und SED zum Symbol für Solidarität und Aufbauwillen der noch jungen Republik werden. Die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) stellte Saatgut zur Verfügung, die "Volkssolidarität" schickte Bekleidung, aus dem Solidaritätsfond der DDR wurden Kühe und Schweine für die Bauern bezahlt und jeden Tag strömten Hunderte Aufbauhelfer in den zerstörten Ort: Angestellte aus der Verwaltung, Angehörige der Volkspolizei, Studenten, Bauarbeiter und FDJler, die zum Teil direkt vom "Deutschlandtreffen" in Berlin kamen und in einem riesigen Zeltlager am Rande des Ortes kampierten. Insgesamt waren in den fünfzig Tagen rund 20.000 Helfer in Bruchstedt im Einsatz.

Reportagen und ein Dokumentarfilm

Der Wiederaufbau des Dorfes war von einem großen propagandistischen Aufwand begleitet: Der Rundfunk der DDR sendete Dutzende Beiträge, die DEFA drehte einen aufwändigen Dokumentarfilm, der noch Jahre später in den Kinos der DDR gezeigt wurde und der renommierte Arbeiterdichter Willi Bredel schrieb über "das Wunder von Bruchstedt" die erste große Reportage der DDR-Literatur - "50 Tage". An die Dichter und Schriftsteller der Republik erging damals auch eine Bitte des SED-Kulturfunktionärs Stefan Heymann. Sie sollten einen neuen Namen für das Dorf finden, denn Bruchstedt könne man es keineswegs mehr nennen: "Suchen Sie einen neuen Namen, der unseren Aufbauwillen zum Ausdruck bringt und teilen Sie ihn der thüringischen Landesregierung mit." Brauchbare Vorschläge gingen aber nicht ein.

"Größer und schöner denn je"

Die Einweihungsfeier des Dorfes vor dem neu errichteten Kulturhaus geriet vollends zu einer großangelegten Kundgebung für den neuen Staat: DDR-Fahnen flatterten im Wind, riesige Porträts von Josef Stalin und Wilhelm Pieck prangten am Kulturhaus und ein Pionierchor sang. "Bruchstedt – größer und schöner als je zuvor – ist ein Beispiel dafür, wie wir durch gemeinsame Arbeit eine Zukunft in Frieden und Glück in ganz Deutschland bauen und sichern können", sagte Ministerpräsident Werner Eggerath in seiner Rede. Erich Mückenberger betonte: "Nationale Front, Regierung der DDR, Massenorganisationen, Arbeiter und Landarbeiter – sie alle schufen in Bruchstedt ein Beispiel, das nur hier, in der Deutschen Demokratischen Republik, wachsen konnte. Hier beweist sich, dass im Mittelpunkt unserer Schaffenskraft immer das Wohlergehen und die Sorge um den Menschen steht." Stellvertretend für die Einwohner sagte der Bauer Erich Hühn artig: "Die Höfe, die wir erhielten, sind ein Beweis für unsere friedliche Aufbauarbeit. Deshalb werden wir am 15. Oktober 1950 die Kandidaten der Nationalen Front wählen."

(Quellen: Armin Lufer, Das Wunder von Bruchstedt, RotFuchs Mai 2009; Erinnerung als Aufgabe. Dokumentation des 2. und 3. Schriftstellerkongress in der DDR 1950 und 1952, V&R unipress Göttingen 2008.)