Fallbeispiele

Im folgenden sind vier Beispiele genannt, mit denen Forscher oder Vertreter von Interessenverbänden bei ihrer Arbeit konfrontiert wurden. An diesen Beispielen zeigt sich, warum es so schwierig ist, automatisch von staatlich motivierter Adoption zu sprechen. Oder warum es schwierig ist, umfassende Aufklärungsarbeit bei Säuglingstoden zu leisten.

Fallbeispiel 1: Alleinerziehende Mutter

Eine alleinstehende Mutter muss auf dem Volkspolizeikreisamt vorstellig werden. Ihr wird vorgehalten, dass sie ihrer Arbeitspflicht nicht nachkommt. Eine Verhaftung und Verurteilung würde unmittelbar bevor stehen. Am Ende der zweistündigen Vernehmung erscheinen Vertreter der Jugendhilfe mit einem vorbereiteten Formular zur Adoptionsfreigabe. Das Kind wird unter einem Vorwand in ein Heim eingewiesen. Wenige Tage danach wird die Mutter wegen "asozialer Lebensweise" in Untersuchungshaft genommen. Während der Verhandlungspause rät ihr der Staatsanwalt, ihr Kind zur Adoption freizugeben.

(Der Fall ist verkürzt und stammt aus der Broschüre "Entrückte Biografien", Kongreß über die Praxis der Zwangsadoptionen in der ehemaligen DDR, 2015)

Als zwangsadoptiert werden jene Kinder betrachtet, die ihren Eltern wegen politischer Delikte wie ‚Republikflucht‘, ‚Staatshetze‘ oder ‚Staatsverleumdung‘ weggenommen wurden, ohne dass in der Vergangenheit ein gegen das Wohl des Kindes gerichtetes Versagen der Eltern nachweisbar war.

Marie-Luise Warnecke Bestimmungen zum Adoptionsrecht in der DDR-Jugendhilfe, S. 2

Fallbeispiel 2: Die "Kinder der Landesregierung"

Im März 1950 wurden in ein Leipziger Krankenhaus etwa 25 Kleinkinder ohne Namen eingeliefert, die als "Kinder der Landesregierung" geführt wurden. Später wurde bekannt, dass es Kinder von weiblichen politischen Strafgefangenen aus Hoheneck waren. Der Fall ließ sich nicht vollständig geheim halten, so dass einige Kinder in den Westen zu Verwandten abgegeben wurden. Übrig blieben 16 Kinder, die als Waisenkinder in Heime der DDR gegeben wurden.

(Der Fall stammt aus der Stellungnahme des Politikwissenschaftlers Christian Sachse im Bundestag, 2018)

Gründe für den Entzug eines Kindes • Inhaftierung nach einer misslungenen Flucht über die Grenze
• Misslungene Schleusungen über die Transitwege
• "bewusste staatsfeindliche Beeinflussung der Kinder"
• Die Erwartung oder der Vollzug einer längeren Haftstrafe der leiblichen Eltern
• Wer seiner Arbeitspflicht im Sinne des § 249 StGB-DDR nicht nachkam, dem konnte zugleich eine "schwere schuldhafte Verletzung der Erziehungspflichten"
angelastet werden5

Fallbeispiel 3: Säuglingstod

Eine minderjährige Mutter entbindet ihr Kind. Sie wird aus dem Krankenhaus entlassen, während das Neugeborene im Krankenhaus verbleibt. Ein paar Tage später teilt die Mutter der minderjährigen Kindesmutter mit, dass ihr Neugeborenes verstorben sei. Die erziehungsberechtigte Mutter, die in der DDR bis zum Erreichen der Volljährigkeit ihrer Tochter entscheiden konnte, was mit dem Neugeborenen passiert, hatte ohne Wissen und Zustimmung das Kind zur Adoption freigegeben.

Fallbeispiel 4: Säuglingstod

Eine Frau kommt in politische Haft und ihre beiden Mädchen wurden in verschiedene Familien zwangsadoptiert. Als die Kindesmutter entlassen wird, erzählt sie in ihrem sozialen Umfeld, dass ihre Kinder durch einen Brandunfall verstorben seien, obwohl dies nicht stimmte. Auf Nachfrage, warum sie dies gemacht hatte, sagt sie: "In Deutschland ist der Tod ein Tabu-Thema und ich wollte nicht, dass man mich auf Familienfeiern oder Festen nach meinen beiden Mädchen fragt, wie es ihnen geht, was sie wohl machen und wie sie aussehen. Wenn man sagt, dass ein Kind tot sei, dann wollen die Menschen nicht darüber reden und meiden daher das Thema."

(Beide Fälle stammen aus der Stellungnahme von Katrin Behr 2015 im Bundestag. Behr ist Gründerin des Verein "OvZ-DDR e.V. – Hilfe für die Opfer von DDR-Zwangsadoptionen")