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Bildrechte: imago/Christian Thiel

1986 - Immer häufiger erscheinen Punks in der DDRAliens in der braven Republik

23. September 2016, 10:22 Uhr

Allein ihr Aussehen war die reinste Provokation für die Sittenwächter in der braven ostdeutschen Republik! Punks waren das krasseste, was die Subkultur der DDR hervorgebracht hat. Eine Keimzelle war überraschenderweise Thüringen, wo sich die Szene ausgerechnet unter dem Dach der Kirche entfalten konnte.

Das beschauliche Saalestädtchen Rudolstadt, das eigentlich eher für das Tanz & Folk Fest im ganzen Land bekannt ist, hatte Mitte der 1980er-Jahre ganz besondere Gäste. Das Kirchen-Festival "Jugend 1986" zieht auf Einladung auch Punks in die thüringische Provinz. Hier will man auch ihnen neben "Bluesern" und Friedensbewegten einen Raum geben.

Und das mitten in Thüringen, in einer Kleinstadt, wo die Leute mit ihren Kittelschürzen aussehen wie 70, aber 50 sind, und plötzlich tauchen da Punks auf. So was haben die das erste Mal gesehen.

Dirk Teschner erinnert sich an das "Jugend 1986"-Festival

Punk im Bratwurstland

Die DDR-Punks waren nicht einfach vom Himmel gefallen. Gerade in Thüringen entwickelte sich Ende der 1970er-Jahre eine kleine Szene von unangepassten Jugendlichen, die ihre Haltung auch nach außen zeigen wollten. Erfasst von der "negativen Dekadenz", die aus dem West-Radio hinüber schwappte, wollten sie ihren Unmut mit Gitarrengeschrammel der Gesellschaft in ihre angepassten Gesichter brüllen.

Im Land der Würste und Klöße gründeten sich Punkbands wie die "Madmans" aus Weimar. Mit gerade einmal 13 Jahren, drei Liedern im Gepäck und "ansonsten keinem Plan", wie sie später sagen, starteten Holger Friedrich, Maik Vollmann und Frank Hruschka die absolute Provokation in der Stadt von Goethe und Schiller.

Als ich das erste Mal mit einer Sicherheitsnadel im Ohr in die Schule kam, saß ich fünf Minuten später beim Direktor.

Maik Vollmann, Bassist der Madmans

Sich eigene Freiräume zu schaffen, war das Erste, was die Punks lernen mussten. Denn die waren ein rares Gut in der angepassten und durchgeplanten DDR-Gesellschaft der 1980er-Jahre. Keller, Lauben und illegale Punkclubs waren die Orte, an denen sie ihren Protest ausleben konnten, an eine größere Öffentlichkeit war nicht zu denken.

Wer erlaubt spielen wollte, musste vor eine Kommission, um sich als Amateurband einstufen zu lassen. Dabei waren die DDR-Punks nur schwer mit den Punks aus der Bundesrepublik oder gar aus England gleichzusetzen. Sie waren eher sanfte Rebellen. Aber es wurden immer mehr. In ganz Thüringen grassierte bald der Punk-Virus: Auch Erfurt, Hermsdorf, Saalfeld oder Suhl gehörten bald zu den Städten der jungen Szene.

Sie konnten mit diesem Staat nix anfangen. Die FDJ war nicht ihr Ding. Es war so 'ne Umbruchs- und Selbstfindungsphase. Da passte Punk gut rein.

Dirk Teschner, Galerist und Organisator von Punk-Konzerten

Aus- statt Abgrenzung

Das System fürchtete den Kontrollverlust und Experimente. Entfaltungsmöglichkeiten, wie sie sogar Walter Ulbricht einst der Beat- und Rockmusik gegeben hatte, waren für die Punkbands nicht zu erwarten. Gerade einmal die "Neue Deutsche Welle" mit ihren Hits schaffte es in der DDR auch ins Radio. Überwachung, Verhöre und Platzverweise waren die erste Reaktionen.

Die haben uns erst zu dem gemacht, was wir gar nicht waren, nämlich zu 'Staatsfeinden'. Wir waren unbedarfte Jugendliche, die ihr Leben leben wollten. Aber, wir haben das ruhige provinzielle Bild gestört, das hat die völlig aus der Fassung gebracht.

Maik "Volle" Vollmann, Bassist der "Madmans

Für die Thüringer Punk-Szene bot die evangelischen Kirche einen von der Staatsmacht abgeschirmten Raum, in dem man sich treffen und austauschen konnte. Unter den Fittichen des Erfurter Diakons Wolfgang Musigmann kam es so im Dezember 1981 zum ersten öffentlichen Thüringer Punk-Konzert, bei dem die "Madmans" und die Erfurter Punkband "Schleimkeim" spielen durften.

Keine Popstars

Die Staatsmacht, allen voran die Staatsicherheit, bereitete dem Treiben der mittlerweile 900 Mann starken Punkszene in der DDR ein jähes Ende. Knast, Armee oder Abschiebung in den Westen waren die Reaktionen von Vater Staat gegenüber seinen jüngsten unangepassten Mitbürgern. Im Osten Punk zu machen, hieß, das Spiel nicht mitzuspielen. So fasst es Maik Vollmann von den "Madmans" zusammen. Wäre es ihr Ziel gewesen Popstars zu werden, dann hätten sie "nicht so eine Band" gründen dürfen. Es war aber genau das, was sie machen wollten.

Buchtipp:Frank Willmann:
Leck mich am Leben
Punk im Osten
ISBN 978-3-355-01807-4
Eulenspiegel Verlagsgruppe, 2012
19,95 EUR