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Wirtschaftsexperte Prof. Joachim Ragnitz im Interview"Wer reich werden wollte, musste Unternehmer werden"

29. Mai 2017, 14:09 Uhr

In der DDR gab es wenig Anreize, reich zu werden. Das änderte sich mit der Wende: Wer sich damals selbständig machte, konnte relativ schnell viel Geld verdienen, insbesondere in der Baubranche. Wirtschaftsexperte Prof. Joachim Ragnitz über Reiche und Reichtum in Ostdeutschland und Osteuropa.

Gab es Reiche in der DDR?

Prof. Dr. Joachim Ragnitz: Es gab einige wenige, die wohlhabend waren, und nur eine Handvoll wirklich Reicher. Die Masse der Bevölkerung hatte ein ähnliches Vermögen. Es gab wenig Anreize, Vermögen anzuhäufen, weil die Einkommens- und Vermögensverteilung ziemlich gleich war.

Welche Berufsgruppen waren in der DDR reich?

Das waren zum einen Leute, die private Unternehmen hatten, und zum anderen die, die im politischen Prozess begünstigt waren. Man kann es also nicht auf bestimmte Berufsgruppen, aber auf eine bestimmte Nomenklatura zurückführen. Aber wie gesagt, es gab relativ wenige Anreize, ein Vermögen zu bilden.

Was ist aus den DDR-Reichen nach der Wende geworden?

Bei der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion 1990 wurden Geldvermögen 2:1 umgetauscht. Private Geldvermögen wurden auf diese Weise also halbiert. Wer Immobilien oder Antiquitäten anhäufen konnte, der konnte sein Vermögen natürlich auch über die Währungsunion hinwegretten. Bei allen anderen hat sich das aber halbiert.

Wie hat sich die Situation im Osten nach der Wende verändert? Wer hatte da die Möglichkeit, reich zu werden?

Am ehesten konnten Leute reich werden, die sich selbständig gemacht haben. Viele von ihnen hatten allerdings Schwierigkeiten, sich am Markt zu behaupten. Darüber hinaus gab es noch Fälle, dass Leute Vermögen von der Treuhandanstalt zurückbekamen und diese Werte zu Geld machen konnten. Das betraf allerdings auch nicht die Masse der Bevölkerung.

In welcher Branche konnte man in den 90er-Jahren in Ostdeutschland am ehesten Millionär werden?

Nach der Wiedervereinigung gab es ja einen richtigen Bauboom. Wenn man damals ein Bauunternehmen gegründet hat, konnte man anfangs relativ schnell reich werden. Allerdings war es Mitte der 90er vorbei mit dem Boom, sehr viele Unternehmen haben das damals nicht überlebt.

Welche Eigenschaften musste man als Ostdeutscher haben, um nach der Wende finanziell erfolgreich zu sein?

Wenn man als normaler Bürger reich werden wollte, musste man Unternehmer werden und bereit sein, Risiken einzugehen. Eine Marktchance sehen, ergreifen und mit den Banken gut verhandeln - dann konnte man reich werden. Aber Risikobereitschaft, unternehmerischer Wagemut - das waren nicht gerade Primärtugenden in der DDR-Gesellschaft, also gab es nur wenige Leute, die auf diese Art und Weise reich werden konnten.

Gibt es im Osten Regionen, in denen seit der Wende besonders viele Reiche leben?

Wenn man sich die Verteilung der verfügbaren Einkommen anschaut, sieht man schon einige Schwerpunkte: den Kreis Meißen, die Stadt Potsdam, das Leipziger Land, und Markkleeberg ist auch so eine Ecke. Das sind meist Gegenden im Umland großer Städte und in landschaftlich sehr reizvollen Gegenden, die für Zuwanderer attraktiv sind. Es sind also oft nicht die einheimischen Ostdeutschen, sondern vielfach Westdeutsche, die dorthin gezogen sind.

Wie schätzen Sie die Situation in den anderen osteuropäischen Ländern ein? Wer ist da reich geworden?

Es ist schwer zu sagen, wie das im Einzelnen aussieht. Man kann es nur aus eigener Anschauung oder anhand der Medien versuchen nachzuvollziehen. Mein Eindruck ist, dass in Ländern wie Rumänien und Bulgarien auch nur sehr wenige Leute reich geworden sind, häufig aufgrund von kriminellen Machenschaften. In anderen Ländern wie Polen und Tschechien ist diese starke Ungleichverteilung der Vermögen für meine Begriffe nicht gegeben. Es hat auch mit der Privatisierungsstrategie in diesen Ländern zu tun, dort hat man versucht, die Bevölkerung sehr breit zu beteiligen über Anteilsscheine oder Aktien und auf diese Weise es verhindert hat, dass sich die Vermögen bei wenigen Leuten konzentrieren.

Wie war die Situation in Russland in den 90er-Jahren. Wer ist dort zu Geld gekommen?

Russland hat sehr viele Reiche, aber auch sehr viele Arme. Die Vermögensverteilung ist dort viel ungleichmäßiger als in Deutschland. In Russland war der Staat Anfang der 90er sehr schwach. Dort war es möglich, mit entsprechendem Wagemut, Beziehungen und krimineller Energie, hohe Vermögen anzuhäufen. In Deutschland ging das natürlich nicht, weil der Staat hier sehr viel genauer hingeschaut hat. Das hat in Russland zu einer starken Vermögensballung im Bereich der Rohstoffe geführt und auch dazu, dass die Reichen versucht haben, die Politik zu beeinflussen.

Kann man also sagen, dass die Privatisierung in Russland sehr ungeordnet vonstattenging?

In Russland ist eine Reihe staatlicher Monopole privatisiert worden. Monopole machen von Haus aus hohe Gewinne, und das ist häufig an Leute gegangen, die gute Beziehungen hatten oder auch jemanden bestochen hatten. Man hat es dort also versäumt, die staatlichen Monopole zu zerlegen, kleinere Einheiten zu schaffen, Wettbewerb wieder herzustellen und dann zu privatisieren.

Gehen ostdeutsche und russische Millionäre nach außen anders mit ihrem Reichtum um?

Mein Eindruck ist, dass man in Deutschland seinen Reichtum nach außen nicht so zeigt und über Geld nicht wirklich spricht. Die russische Mentalität ist anders, dort zeigt man, durch Schmuck, auffällige Häuser, teure Autos, dass man wohlhabend ist, es geschafft hat. Das sind die Unterschiede in der Psychologie einer Gesellschaft.

Über Prof. Dr. Joachim RagnitzJahrgang 1960, geb. in Nordhorn/Niedersachsen
Seit Mitte 2007 stellv. Geschäftsführer des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, Niederlassung Dresden. Forscht und publiziert insbesondere zu ostdeutschland-bezogenen Themen wie den ökonomischen Auswirkungen des demographischen Wandels auf die regionale Wirtschaftsentwicklung und die künftige Ausgestaltung von Finanz- und Förderpolitiken. Honorarprofessor an der TU Dresden und Mitglied verschiedener Beratungsgremien auf Bundes- und Landesebene.

(Interview zuerst veröffentlicht am 24.03.2014)