Seekirche Vineta auf dem Störmthaler See
Bildrechte: imago images/Sylvio Dittrich

Weggebaggerte Dörfer Magdeborn: Von der Kohle verschluckt

14. Juni 2019, 09:36 Uhr

Kennen Sie das Dorf Magdeborn? Wo heute eine Seekirche im Störmthaler See schwimmt, war früher ein ganzes Dorf: Magdeborn. 1978 musste es der Kohle weichen - wie auch 250 andere Ortschaften in der DDR.

Es ist längst beschlossene Sache: Magdeborn kommt weg, wird geopfert für den Tagebau Espenhain, geopfert für die Kohle. Mehr als 1.000 Jahre ist das Dorf alt. Hier gibt es einen Kindergarten, eine Post und einen Fleischer. Doch 1978 ist Schluss. Es wird Platz gemacht, um an den wohl wichtigsten Rohstoff der DDR zu kommen, die Braunkohle. Schon zehn Jahre zuvor begann man mit der Umsiedlung der mehr als 3.000 Einwohner.

Abschied auf Raten

Eine Landschaft wie nach einer Schlacht: So sah Magdeborn 1979 aus. Der Abriss des Dorfes ist ein Abschied auf Raten: Das letzte Baby, das 1979 geboren wird; der letzte Polterabend eines jungen Paares; ein letzter erster Schultag. Daran erinnert sich noch Erhard Etzold, der mehr als 30 Jahre Lehrer an der Schule von Magdeborn war: "Der letzte Tag war ein bisschen feierlich und dann haben wir uns alle voneinander verabschiedet."

Mit Mitte 50 bricht er noch mal neu auf. Neue Schule, neue Kollegen, neue Schüler. Auch wenn zwischen dem alten und dem neuen Leben nur sechs Kilometer liegen, Erhard Etzold fühlt sich heimatlos. Statt die angebotene Wohnung im Leipziger Plattenbau zu nehmen, sucht er sich ein Häuschen mit Garten. "Bezahlt wurde auch etwas. Die Abfindung war kärglich, aber die Erinnerungen sind so schön", so Etzold.

Ein Ort, den es nicht mehr gibt

Ehemalige Bewohner wie die Langes haben über Monate ein kleines Stück Magdeborn versetzt. Ihr robustes Transportmittel war der Trabant. Mit dem kutschieren Langes eine alte Flakbaracke in den Garten und bauen sie dort wieder auf. Auch das Schaufenster der Fleischerei, Haustüren, Kirchenfenster und Grabsteine entkommen so ihrer Vernichtung. Klaus Lange erinnert sich:

Magdeborn habe ich im Kopf, könnte ich malen. Es waren sieben Dörfer mit vielen Wiesen. Und das Schlimmste ist, dass Sie nicht einen Baum mehr vorfinden. Das ist alles weg.

Klaus Lange

Nicht nur Bäume fallen, auch die Kirche wird gesprengt. Alles, was die Identität der Magdeborner ausmacht, verschwindet nach und nach. Mehr als 3.000 Magdeborner verlieren so ihr Zuhause.

Die meisten werden an den Rand Leipzigs umgesiedelt. In den gesichtslosen Neubauwohnungen wirken sie auffallend deplatziert. Wenn sie könnten, würden sie den gewonnenen Komfort wieder gegen die alte Vertrautheit tauschen. Warmes Wasser aus der Wand und Fernwärme wiegen nicht auf, was sie verloren haben.

Sehnsüchtige Blicke über den See

Die meisten leben in der Nähe ihres abgebaggerten Ortes. Den bedeckt heute der Störmthaler See. Jedes Jahr – Anfang September – treffen sie sich hier. Sie tauschen Neuigkeiten und Fotos aus. Schauen immer wieder über den See und suchen, was sie nie mehr finden werden: Magdeborn, ihre unvergessene Heimat.

Über dieses Thema berichtete MDR ZEITREISE im TV: Nachruf auf die Braunkohle | 16.06.19 | 22.00 Uhr

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