Illustration - Hand verweigert Impfung
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Gesundheit Die Geschichte der Impfgegner

31. Januar 2022, 16:34 Uhr

Bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen sind sie prominent dabei: Impfgegner. Sie befürchten die Einführungen von Zwangsimpfungen. Mit denen wolle der Multimilliardär Bill Gates die Menschheit kontrollieren, so lautet eine prominente Verschwörungstheorie. Zu diesem Zweck habe Gates eigens das Corona-Virus erschaffen und auch die Weltgesundheitsorganisation gekauft. Klingt irre? Ist es auch. Und doch glauben viele daran. Doch Impfskeptiker gibt erst nicht erst seit der Corona-Pandemie - bereits im Kaiserreich, bei der Einführung von Schutzimpfungen, gab es Menschen, die laut ihre Bedenken äußerten.

Die Auseinandersetzung ums Impfen ist so alt wie die Impfpflicht in Deutschland. Sie wurde 1874 vom Reichskanzler Otto von Bismarck eingeführt, um der Pocken Herr zu werden. Denn bei der letzten großen Pockenepidemie 1870 und 1873 in Deutschland mit mehr als 400.000 Erkrankten starben 181.000 Menschen.

Beim Streit ums Impfen geht es um die Frage: Darf der Staat den Einzelnen zwingen, zum Wohle aller eine Impfung vorzunehmen? Wer hat das Sagen über den eigenen Körper oder über den Körper des Kindes?"

Malte Thießen, Medizinhistoriker

Impfgegner organisieren sich

Erste Impfgegner-Organisationen wurden 1869 in Leipzig und Stuttgart gegründet, 1874 etablierte sich in Hamburg ein Anti-Impfverein. Schon 1872 erreichten erste impfskeptische Petitionen den Reichstag. In ihnen wurde argumentiert, dass es "an einem, von der medicinischen Wissenschaft gelieferten philosophischen Nachweise" fehle, ob einem "Eiterprodukt" bzw. einer "thierische[n] Krankheit", die in den menschlichen Körper gebracht werde, "eine Heilkraft zugeschrieben werden könne". Der Abgeordnete August Reichensperger von der Zentrumspartei verwies auf die Gefahr "nämlich, dass, wenn die eine Krankheit vielleicht ferngehalten wird, dafür eine andere schlimmere Krankheit ihren Einzug in das betreffende Individuum hält".

Trotzdem trat das Reichsimpfgesetz in Kraft, welches Impfungen zur Pflicht erklärt. Wer seine Kinder nicht impfen lässt, wird mit einer Geldstrafe belegt oder muss ins Gefängnis. Besonders in den sozial schwachen Kreisen, die eher von Krankheiten bedroht sind, gibt es Zuspruch, aber auch Kritik, so Malte Thießen, der 2019 das Buch "Immunisierte Gesellschaft. Impfen in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert" geschrieben hat.

Einerseits stößt das Impfen auf große Begeisterung, gerade auch in sozial schwächeren Milieus, weil man das erste Mal die Chance hat, wirklich effektiv die Gesundheitssituation zu verbessern. Es gibt aber auch Kritik gegen das Impfen, insbesondere in der Sozialdemokratie, weil Impfungen sozusagen echte Reformen von Lebens- und Arbeitsverhältnissen überflüssig machen.

Malte Thießen, Medizinhistoriker

In der Weimarer Republik wurde die im Kaiserreich eingeführte Impfpflicht fortgeführt. Obwohl sich die Impfgegner weiter organisierten und sogar einen Reichsverband zur Bekämpfung der Impfpflicht mit 300.000 Mitgliedern gründeten.

Lockerungen der Impfpflicht im Nationalsozialismus

Die Gesundheitspolitik im Nationalsozialismus war grausam mit den Zwangssterilisationen und der so genannten "Euthanasie". Leitbilder waren der "gesunde Volkskörper" und die "Volksgesundheit". Nur bei der Impfpflicht waren die Nazis erstaunlich locker. Der Grund: Unter ihnen gab es viele Anhänger der Naturheilkunde, die Impfungen generell ablehnten.

Viele Nazis hielten die Impfpflicht für eine jüdische Erfindung. 1934 behauptete der "Deutsche Impfgegner-Ärztebund", das "Reichsimpfgesetz" hätten vor allem "jüdische Abgeordnete" erarbeitet. Ein Verband der Impfgegner aus Wilhelmshaven bemühte in seinem Aufruf gleich die "Weisen von Zion": Durch "Einimpfen von Krankheiten" solle die Menschheit der "jüdischen Geldherrschaft unterworfen" werden. Und Julius Streicher, der Gründer und Herausgeber des Hetzblatts "Der Stürmer", fabulierte, dass "Impfungen von den Juden als Rassenschande in die Welt gebracht worden seien", so der Medizinhistoriker Thießen.

Ost und West gehen beim Impfen getrennte Wege

Nach dem Krieg ging man in den beiden deutschen Staaten auch beim Impfen getrennte Wege. In der DDR wurde systematisch geimpft, um die Bevölkerung vor Pocken, Diphterie, Tuberkulose und anderen Krankheiten zu schützen. In den Bezirken werden Dauerimpfstellen eingeführt, es entbrannte ein regelrechter Wettbewerb um die beste Impfquote.

Es gibt an Krankenhäusern und Kindergärten überall den Spruch: Der Sozialismus ist die beste Prophylaxe. Impfungen als ein Gleichheitssatz und Versprechen, die Zukunft gestalten zu können, sind in der DDR hoch politisch aufgeladen. Deshalb gibt es in der DDR diese systematischen Impfprogramme, ganz anders als im Westen, wo auf Freiwilligkeit gesetzt wird und man deshalb den Zahlen aus dem Osten hinterherhinkt.

Malte Thießen, Medizinhistoriker

In der Bundesrepublik blieben die Impfungen freiwillig, man setzte auf Aufklärung statt auf Zwang. Bekannt ist beispielsweise die Impfung gegen Kinderlähmung seit den Sechzigerjahren. Den Slogan "Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist grausam" haben noch heute viele im Ohr. Er steht für das Erfolgsrezept von Aufklärung und Freiwilligkeit. Wer sich oder seine Kinder nicht impfen lassen möchte, hat keine Restriktionen zu befürchten.

Die DDR hatte dagegen eine gesetzliche Impfpflicht. Rund 20 verschiedene Schutzimpfungen waren bei Kindern am Ende vorgesehen. Wer die Termine vorsätzlich oder fahrlässig nicht einhielt, musste mit einer Ordnungsstrafe bis zu 500 Mark rechnen. Doch meist wurde auf Überzeugungsarbeit oder höchstens sanften Druck gesetzt, erinnert sich Siegwart Bigl, früher leitender Hygiene-Arzt im Bezirk Karl-Marx-Stadt.

Natürlich gab es immer Impfgegner. Sie sind dann zum Kreishygienearzt bestellt und belehrt worden. Das haben wir hier im Bezirk gemacht, ich war mit dabei und habe ganz friedlich mit ihnen gesprochen. Wenn das nicht half, sind die ins Ministerium nach Berlin bestellt worden. Und solche Dinge, als junge Eltern nach Berlin bestellt zu werden, das war schon ein kleiner Stress, so dass viele nachgegeben haben.

Siegwart Bigl, ehemaliger leitender Hygiene-Arzt im Bezirk Karl-Marx-Stadt

Nach der Wiedervereinigung war die Impfpflicht wieder passé. Erst im März 2020 ist ein Masernschutzgesetz in Kraft getreten, dass wieder eine Pflichtimpfung für Menschen in Gemeinschafts- und Gesundheitseinrichtungen vorschreibt. So sollen unter anderem Schul- und Kindergartenkinder damit wirksam vor Masern geschützt werden, die in einzelnen Fällen sogar tödlich enden können. Eltern, die ihre in Gemeinschaftseinrichtungen betreuten Kinder nicht impfen lassen, müssen mit einer Geldbuße von bis zu 2.500 Euro rechnen.

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise | 07. Juni 2020 | 22:00 Uhr