Dritte Staffel "Charité" Eiserne Lunge & Co: die Geschichte der künstlichen Beatmung

14. Januar 2021, 17:15 Uhr

In der dritten Staffel der ARD-Kultserie "Charité" rettete die Eiserne Lunge dem kleinen Werner aus West-Berlin das Leben. Geräte, die schwer kranke Menschen beim Luftholen unterstützen und oft vor dem sicheren Tod bewahren, gibt es bereits seit über 100 Jahren. Auch während der Corona-Pandemie sind sie für viele Kranke die letzte Chance. Ein Blick zurück in die Geschichte - vom "Pulmotor", über die Eiserne Lunge bis zum modernen Beatmungsgerät.

Es sind eindrucksvolle Bilder zu Beginn der dritten Staffel der ARD-Kultserie "Charité": Der kleine Werner aus West-Berlin kommt in die Charité, "weil es immer noch unser Krankenhaus ist", wie Werners Eltern sagen. In Westteil der Stadt wütet zu diesem Zeitpunkt die Polio-Epidemie, die in der DDR dank eines sowjetischen Impfstoffs längst eingedämmt ist. Nicht so aber im Westen. Werner hat sich mit dem Virus angesteckt, sein Zustand verschlechtert sich zusehends und schon bald ringt er nach Luft. Da holt der Hausmeister der Charité die Eiserne Lunge aus dem Keller, die dort seit fünf Jahren vor sich hin staubt. Das Gerät springt Gott sei Dank wieder an und Werner erholt sich nach wenigen Tagen - er kann danach sogar wieder laufen. Dank der Eisernen Lunge kommt er glimpflich davon - ein großer Sieg der Medizin, der auch im realen Leben in den Fünfziger und Sechziger Jahren so tausendfach gelang.

Der kleine Werner (Hugo Gross, M.) wird mit Symptomen von Kinderlähmung in die Charité eingeliefert. Kinderärztin Dr. Ingeborg Rapaport (Nina Kunzendorf, l.) und Schwester Arianna (Patricia Meeden, l.) versuchen den Jungen zu beruhigen.
Der kleine Werner aus West-Berlin infiziert sich in der dritten Staffel der Serie "Charité" mit Polio. Schon kurz nach der Einlieferung ins Krankenhaus kann er nicht mehr selbstänig atmen und wird an die Eiserne Lunge angeschlossen. Bildrechte: MDR/ARD/Stanislav Honzik

16. Jahrhundert: Künstliche Beatmung mittels Strohhalm

Die Geschichte der künstlichen Beatmung hat indes viel früher begonnen. Der belgische Arzt Andreas Vesal beatmete Mitte des 16. Jahrhunderts bereits ein Schwein. In einem dokumentierten Experiment führte er einen Luftröhrenschnitt durch und blies mittels eines Strohhalms Luft in die Lungen des Tieres. Es zeigte sich, dass Herzschlag und Blutkreislauf weiter funktionierten. Andreas Vesal, auch lateinisch Vesalius genannt, gilt heute als der Begründer der modernen Anatomie. Der Luftröhrenschnitt (Tracheotomie) war und ist ein wichtiger Eingriff zur Lebensrettung. Als die Diphterie noch insbesondere als Kinderkrankheit verbreitet war, half er als letztes Mittel, den luftdicht zugeschwollenen Rachen zu umgehen und so die Kinder vor dem Ersticken zu bewahren. Auch heute noch nutzt man mitunter den direkten Zugang über den Luftröhrenschnitt als einen Weg für die Beatmung.

Das erste Beatmungsgerät: Der "Pulmotor"

1907 erhielt Heinrich Dräger in Lübeck das Patent für das erste Beatmungsgerät, den "Pulmotor". Er hatte es für kurzfristige Hilfe in Notfällen entwickelt, zum Beispiel bei Kohlenmonoxidvergiftungen im Bergbau, Badeunfällen und  Stromschlägen. Das Gerät war tragbar. Eine Maske wurde auf Mund und Nase gesetzt und der in einem Druckbehälter angeschlossene Sauerstoff in die Lunge geblasen.

Die Eiserne Lunge hilft Polio-Kranken

1928 arbeitete in Boston/USA der Ingenieur Philip Drinker an einer neuen Beatmungsmaschine. Sie war ebenfalls für Opfer von Gasvergiftungen und Stromschlägen gedacht. Doch dann wurde ein an Kinderlähmung (Poliomyelitis) erkranktes Mädchen eingeliefert, dessen Atemmuskulatur bereits gelähmt war. In der neuartigen Maschine begann sie wieder zu atmen. Obwohl das Mädchen ein paar Tage später an einer Lungenentzündung starb, war dies der erste Hoffnungsschimmer für die Behandlung von Patienten mit Polio. Die "Eiserne Lunge" genannte Apparatur umschließt den kompletten Körper des Patienten. Nur der Kopf schaut heraus. Eine Manschette dichtet die Öffnung am Hals ab. Genau so ist die Eiserne Lunge auch in der dritten Staffel der ARD-Serie "Charité" zu sehen.

Der Heidelberger Medizinhistoriker Wolfgang Eckart erklärt in einem Beitrag des Deutschlandfunks, man habe versucht, "Unterdruck in einer Kammer herzustellen, um den Brustkorb anzuheben und ihn dann regelmäßig durch Überdruck wieder fallen zu lassen. Das heißt also, die Funktion des Brustkorbs zu imitieren und zu übernehmen. Und mit dieser Methode konnten die Patienten dann wirklich überleben." Polio-Epidemien traten bis zur Entwicklung des Impfstoffes weltweit alle fünf bis sechs Jahre auf. In den USA ging Philip Drinkers 1929 patentierte Maschine in Serie. 1936 gab es weltweit schon über 200 Stück.

Beatmungsgeräte bringen Durchruch in der Chirurgie

Dr. Florian Bruns vom Universitätsklinikum Halle/Saale macht die Studenten in seinen Vorlesungen immer wieder darauf aufmerksam, dass es erst seit reichlich 100 Jahren möglich ist, Patienten künstlich zu beatmen: "In der Chirurgie waren bis dahin auch keine großen Eingriffe möglich. Die Narkose war eine Gratwanderung, der Patient musste immer noch gerade soweit bei Bewusstsein gehalten werden, dass er selbst atmen konnte. Es gab bis Anfang des 20. Jahrhunderts keine Möglichkeit, jemanden aus dem Atemstillstand zurückzuholen." Die Narkose lag damals und anhaltend bis in die 1950er-Jahre hinein in den Händen der Schwestern. "Deren Erfahrung im Umgang mit Narkosemitteln und den Patienten waren und sind bis heute ein wichtiges Gut, gerade in der Intensivmedizin", so Florian Bruns.

In Deutschland nutzte der Chirurg Ferdinand Sauerbruch die Technik der Unterdruckbeatmung für Operationen im Brustkorb. Das war in den 1930er-Jahren ein großer Fortschritt, denn durch die Beatmung konnten die Narkosen stärker sein, die Patienten spürten nichts mehr, was komplexere Operationen ermöglichte.

Weiterentwicklung von Beatmungsmethoden

In den 1940er-Jahren entwickelten die US-Amerikaner die Intubation und damit die Beatmung durch Überdruck. Sie führten einen schmalen Schlauch in die Luftröhre ein. Mittels eines Gummibeutels wurde nun Luft in die Lunge gedrückt und wieder hinausgelassen. Später übernahmen diese Aufgabe Geräte, die im Prinzip dem "Pulmotor" entsprachen, aber nun in vielen Ländern eigenständig entwickelt wurden. In der DDR produzierte sie der VEB Kombinat Medizin- und Labortechnik Leipzig, unter anderem unter dem Namen "Ventitrol", später "PraktiVent".

Die ersten Intensivstationen entstehen

Prof. Wolfgang Röse, Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin aus Magdeburg, schloss Ende der 1950er-Jahre sein Medizinstudium ab. Genau zu dieser Zeit wurde im Klinikum Berlin-Buch die erste Intensivstation gegründet, sie hieß "Reanimationszentrum". Es wurden Menschen mit Leuchtgas-, Schlafmittel- und Lebensmittelvergiftungen, aber auch Unfallopfer behandelt. Wolfgang Röse erinnert sich: "Nach zehn Jahren resümierte der leitende Arzt, Doktor Strahl, die Behandlung von 5.700 Menschen mit lebensbedrohlichen Atemeinschränkungen. Insbesondere die Sterblichkeit nach Schlafmittelvergiftungen war von sieben auf zwei Prozent zurückgegangen. Das war ein großer Erfolg der Intensivbehandlung - oft mit Beatmung!"

Die Technik des "Bebeutelns"

In dieser Zeit arbeitete der junge Arzt in Magdeburg noch ohne Intensivstation. Kamen Menschen mit Wundstarrkrampf, konnte ihnen zwar das entspannende Medikament Curare gegeben werden, aber dazu mussten sie beatmet werden.

Als ich 1959 in Magdeburg anfing, hatten wir für längere künstliche Beatmungen zwei 'Poliomat'-Geräte. Wenn ein dritter Patient kam, dann wurde der mit einem mit Sauerstoff angereicherten Beutel beatmet. Wir haben uns dann reihum im Vier-Stunden-Takt abgewechselt.

Wolfgang Röse Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin aus Magdeburg

Sie folgten dabei dem Vorbild dänischer Ärzte und Studenten, die so während der Polio-Epidemie in Kopenhagen im Jahr 1952 bis zu 70 Patienten gleichzeitig über Trachealkanülen manuell beatmet hatten. Innerhalb weniger Wochen sank die Sterblichkeit der so behandelten Patienten von 90 auf 25 Prozent. Das "Bebeuteln" lernten die jungen Ärzte damals bei Operationen. Die Methode erfordert Übung und Ausdauer. Dennoch ist das nötige Equipment aufgrund seiner Einfachheit noch heute in Nutzung: "In Afrika wird vielerorts so operiert, denn es wird zum Bebeuteln kein Strom gebraucht", so Florian Bruns. Auch die Rettungsdienste hierzulande haben die Beutelausrüstung weiterhin dabei.

Intensivtherapie an der Medizinischen Akademie Magdeburg

Wolfgang Röse bekam später die Aufgabe, in der Medizinischen Akademie Magdeburg, dem heutigen Universitätsklinikum, eine der ersten Intensivstationen im Bezirk Magdeburg aufzubauen. Schon 1969 hatte die "Problemkommission Dringliche Medizinische Hilfe und Intensivtherapie" beim Ministerium für Gesundheitswesen der DDR Richtlinien für die personelle und gerätetechnische Ausstattung von Spezialstationen für kritisch Kranke herausgegeben. "Die vorgesehene Personalausstattung", erinnert sich Mediziner Röse, "war sehr gut: für zwei Intensivbetten sollten ein Arzt und vier Schwestern oder Pfleger vorhanden sein, was allerdings oft schwer zu realisieren war."

Beatmungsgeräte für die DDR aus dem Westen importiert

1976 war es auch an der Medizinischen Akademie Magdeburg endlich soweit: Zehn Betten standen bereit. Beatmet wurde mit importierten Beatmungsgeräten aus der Bundesrepublik (Firma Dräger), Schweden (Engström) und USA (Bird) sowie Apparaten aus DDR-Produktion (MLW Leipzig). "Die importierten Geräte waren feiner justierbar, zum Beispiel besser anpassbar an die Atemverhältnisse kritisch Kranker", erinnert sich Röse.

"Im Vergleich zum westlichen europäischen Ausland war die intensivmedizinische Ausbildung der Ärzte sowie Schwestern und Pfleger in der DDR vergleichbar gut, aber die technische Ausrüstung war nicht ausreichend entwickelt. Das osteuropäische Ausland aber beneidete uns um den erreichten Stand", so Wolfgang Röse über diese Zeit.

Unverzichtbar: Intensiv-Therapie-Stationen

Die Entwicklung der Atemhilfe lässt sich über Jahrzehnte zurückverfolgen. Um sie erfolgreich für Patienten unterschiedlicher Krankheit-, Alters- und Risikogruppen einsetzen zu können, waren strukturelle Veränderungen nötig: die Einrichtung von Intensiv-Therapie-Stationen (ITS). Unverzichtbar war es auch, Ärzte, Schwestern und Pfleger besonders für dieses Fachgebiet auszubilden. Die seit den 1950er-Jahren erreichten Fortschritte ermöglichen nun auch die Betreuung von Schwererkrankten mit Covid-19.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | FAKT | 07. April 2020 | 21:45 Uhr