Historischer Kontext "Demokratie" im Ein-Parteien-Staat

14. November 2019, 16:42 Uhr

Zwar enthielt der Name des Staates DDR bereits ausdrücklich das Bekenntnis zur Demokratie, freilich ging es dabei um eine Demokratie sozialistisch-kommunistischer Prägung. Garant für den Erhalt dieser speziellen demokratischen Ordnung war die SED.

Unter den politischen Parteien, die sich unmittelbar nach Kriegsende in Deutschland neu formiert hatten, nahm die KPD in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) eine Sonderrolle ein: Schon während des Krieges waren in Moskau kommunistische deutsche NS-Widerstandskämpfer um Walter Ulbricht von Stalin darauf vorbereitet worden, nach Kriegsende in Deutschland einen kommunistischen Staat aufzubauen. Im Juni 1945 wurde aus dieser "Gruppe Ulbricht" heraus die KPD neugegründet – und weitere Politik der sowjetischen Besatzungsmacht war in der Folgezeit die systematische Stärkung genau dieser kommunistischen Kräfte hin zur politischen Führungsposition im Ostteil Deutschlands.

Legitimierung von Partei und Staat blieb aus

Die allgemeine Stimmungslage spielte diesem Vorhaben in die Hände. Zum einen sollte eine erneute Zersplitterung der Linken, die in der späten Weimarer Republik dem Nationalsozialismus in die Hände gespielt habe, unbedingt vermieden werden, zum anderen weckten die katastrophalen Nachkriegszustände bei den Parteien den Wunsch nach politischer Einigkeit: Nur gemeinsame Anstrengung könne die ungeheuren Probleme lösen. Die in dieser Situation erfolgte (Zwangs-)Vereinigung von KPD und SPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) entsprach also vordergründig durchaus dem Zeitgeist. Zugleich ist sie aber klar in den wesentlich von der Sowjetunion bestimmten Weg in Richtung eines kommunistischen deutschen (Teil-)Staates einzuordnen. Das vielzitierte Diktum Ulbrichts, es müsse alles demokratisch aussehen, aber die KPD müsse alles in der Hand halten [vgl. Leonhard 1992, S. 440] dabei nur rein machtstrategisch zu verstehen, greift wohl zu kurz: Tatsächlich scheint die kommunistische Führung geglaubt zu haben, die Vorzüge des Kommunismus würden über kurz oder lang eine Mehrheit der Bevölkerung überzeugen. Die erhoffte demokratische Legitimierung von Partei und Staat blieb freilich aus – und diese Fehleinschätzung wurde zum Geburtsfehler der DDR und zu einer der schwersten Hypotheken des Staates bis 1989.

SED verteidigt alleinigen Führungsanspruch

Bis Mitte der 50er-Jahre war die Schärfung des kommunistisch-sozialistischen Profils der SED als Staatspartei der DDR abgeschlossen. Die Vorgabe, eine "Partei neuen Typus" zu formieren, leitete 1947/48 die Stalinisierung der SED ein, 1950 bekannte sich die Partei dazu, ihre "gesamte Tätigkeit von der Theorie von Marx, Engels, Lenin und Stalin leiten" zu lassen [SED 1984, S. 110]. Auf der 2. Parteikonferenz der SED 1952 wurden der "Aufbau des Sozialismus" und der "Kampf gegen den Sozialdemokratismus" beschlossen – klare Absage an die Zugeständnisse dem ehemals vorgeblich gleichberechtigen Partner SPD gegenüber, der jetzt als Feind der Arbeiterklasse verunglimpft und verfolgt wurde. Machten auch Staat und Partei später, meist nach dem Vorbild der Sowjetunion, politische Entwicklungen durch – zu nennen ist hier die bedingte Entstalinisierung – verteidigte doch die SED bis 1989 ihren alleinigen Führungsanspruch.

Druck, Schulung, Propaganda

Gegner dieser Linie fielen "politischen Säuberungen" zum Opfer, etwa 1949 (in Thüringen) und 1951, wobei die Parteiführung auch vor Schauprozessen nach stalinistischem Vorbild nicht zurückschreckte. Wurden auch die "Säuberungen" später in ihren Mitteln raffinierter (vgl. den "Fall Häber" in den Materialien), blieben sie bis zuletzt probates Mittel. Sie waren Teil einer ausgefeilten Personalpolitik oder "Kader-Nomenklatur" [Richter 2009, S. 18], dienten sie doch neben der Ausschaltung unliebsamer Parteigenossen v.a. dazu, die verbleibenden Mitglieder "auf Linie" zu bringen und so auf allen Partei- und Gremienebenen zuverlässige Funktionäre zu garantieren. Freilich führte nicht nur Druck, sondern auch Schulung und Propaganda zur gewünschten innerparteilichen Disziplinierung.

Angst und Misstrauen - auch privat

Neben Partei und Nomenklatur trat als dritte Säule inneren Machterhalts in der DDR die Staatssicherheit [vgl. Richter 2009, S. 19]. Als "Schild und Schwert der Partei" sah sich die "Stasi" selbst ausschließlich dem Willen der Staatsführung verpflichtet. Eine rechtsstaatliche Kontrolle durch Verfassungsorgane war nicht vorgesehen. Aufgabe des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) war der Kampf "gegen jede konterrevolutionäre Tätigkeit äußerer und innerer Feinde der DDR", wie Erich Mielke, Minister für Staatssicherheit, 1975 formulierte [Gieseke 2001, S. 6]. De facto fungierte die "Stasi" in erster Linie als Inlandsgeheimdienst. Die Kontrolle praktisch der gesamten Bevölkerung der DDR gelang durch ein ausgeklügeltes System von Überwachung. Dazu gehörten etwa geheime Abhöranlagen in Privaträumen, umfassende (Video-)Beobachtung, das akribische Sammeln und Archivieren aller Arten von personenbezogenen Informationen bis hin zu Geruchsproben, schließlich Freiheitsentzug und im Extremfall sogar die Ermordung (vermeintlicher) Staatsfeinde. Bemerkenswert v.a. die extrem hohe Zahl von über 280.000 "Stasi"-Mitarbeitern, gut zwei Drittel davon sogenannte "IM" ("inoffizielle Mitarbeiter"): Privatpersonen, die aus unterschiedlichsten Gründen – Überzeugung, Hoffnung auf Vergünstigung, Druck – die Menschen ihrer Umgebung bespitzelten. Das unbestimmte Wissen, dass die "Stasi" alle Bereiche von Staat und Gesellschaft durchdrang ("jeder sechzigste ostdeutsche Erwachsene [arbeitete] für den Geheimdienst" [Richter 2009, S. 21]) schuf in der DDR-Bevölkerung eine Atmosphäre von Misstrauen.

Machtelite ohne Bezug zur Realität

Partei und Staat waren in Parteigremien und Verfassungsorganen weitgehend parallel aufgebaut. Dem Prinzip der Gewaltenverflechtung (anstelle einer Gewaltenteilung, die schon Otto Grotewohl dezidiert abgelehnt hatte; [vgl. Grotewohl 1947]) entsprach auch weitgehende personelle Verflechtung. Diese Anordnung ergab sich bereits aus der ersten DDR-Staatsverfassung von 1949. In der zweiten Verfassung (1968) wurde dann gleich in Art. 1 die Führungsrolle der SED auch konstitutionell abgesegnet. Diese Machtkonzentration sollte in der Theorie die Bündelung aller Kräfte auf dem einen vorgegebenen und von allen gewollten Weg zum Kommunismus gewährleisten. Legitimierendes Moment sollte dabei der sogenannte "demokratische Zentralismus" sein: Nach dem Mehrheitsprinzip werden von den untersten Ebenen aufsteigend politisch verantwortliche Führungsgremien gewählt. Im Gegenzug sind die unteren Ebenen an Weisungen von oben gebunden. In der politischen Praxis funktionierte dieses Konzept freilich nur in eine Richtung: von oben nach unten. Die Hierarchisierung des "demokratischen Zentralismus" rechtfertigte eine strenge Disziplinierung und straffe Leitung der Partei ohne Rückbindung an untergeordnete Organe. Das System schuf so im Laufe der Zeit eine abgeschottete, wirklichkeitsfremde Machtelite von SED-Funktionären ohne Bezug zu den "normalen" Menschen und ihrer Situation im Lande DDR.

Otto Grotewohl Der 1894 in Braunschweig geborene Otto Grotewohl war von 1949 bis 1964 Ministerpräsident der Deutschen Demokratischen Republik. Wegen schwerer Erkrankung zog er sich 1960 aus dem politischen Leben zurück und lebte fortan zurückgezogen in der Waldsiedlung Wandlitz. Seine Funktion wurde faktisch durch seinen Ersten Stellvertreter, Willi Stoph, ausgeübt.