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DDREin Lied, zwei Freundinnen und eine Flucht

17. August 2020, 12:32 Uhr

"Es war der Sommer 89 – eine Flucht im Morgengrauen ..."  Die Hamburger Band Kettcar besingt einen Sommer, der für Deutschland geschichtsträchtig war. Gesungen aus der Westperspektive. Es geht um die Flucht von DDR-Bürgern über Ungarn und Österreich in die BRD. Der Song steht auch in Bezug zur derzeitigen Flüchtlingssituation. Zwei Frauen - Maren Barucha und Elvira Henkel - waren beim Konzert der Band in Leipzig dabei und vom Song tief bewegt. Denn er hat auch etwas mit ihrer Geschichte zu tun.

von Jana Lindner

"Meine Freundin Elvira kam an dem Abend noch, um sich zu verabschieden. Es war ein tränenreicher Abschied, denn wir wussten nicht, ob wir uns jemals wiedersehen" - Maren ist heute noch gerührt, als sie von ihrem letzten Abend in Leipzig erzählt. Auch sie ist geflohen, im Morgengrauen und im Trabi, mit nur zwei Koffern - allerdings erst als die damalige Tschechoslowakei ihre Grenzen öffnete. Niemand wusste damals, für wie lange. Der aktuelle Song "Sommer '89" der Band Kettcar bringt nun alle Erinnerungen wieder hoch: an die Flucht, an ihre Beweggründe dafür und auch an ihre sehr innige Freundschaft zu Elvira.

Die beiden Frauen aus Leipzig kannten sich durch ihre Arbeit im damaligen Interhotel Merkur - einer Luxuswelt. Dort mangelte es an nichts. Sie hatten viel Kontakt zu Gästen aus dem Westen, sogar Stars übernachteten im Merkur. Eine Parallelwelt, die im krassen Gegensatz zu ihrem Alltag stand. Beide lebten mit ihren Familien in sogenannten Ausbauwohnungen - alt, zerfallen, grau und mit Kohleofen.

Ab in den Westen - Marens Flucht

Die Sehnsucht nach der Freiheit im Westen war bei beiden groß. Doch Elviras Töchter machten gerade ihren Schulabschluss und deshalb blieb sie in Leipzig. Maren floh mit ihrer Familie im November 1989 - drei Tage vor dem Mauerfall, mit dem zu diesem Zeitpunkt niemand rechnete. Tausende waren damals auf dieser Tschechien-Route unterwegs. Maren hat dabei sehr emotionale Szenen erlebt: Eltern, die sich von ihren erwachsenen Kindern an der Grenze verabschiedeten und Menschen, die Transparente dabei hatten - "Bleibt doch hier" stand darauf. 

Maren wollte zur Verwandtschaft ihres Mannes nach Nürnberg, kam aber erstmal ins Aufnahmelager Deggendorf. Danach folgten diverse Übergangsunterkünfte in Pensionen und Heimen. Ihr Mann fand schon drei Wochen nach der Flucht Arbeit und schließlich landete die Familie in einem Übergangswohnheim in Ingolstadt, mit zwei winzigen Zimmerchen und einer kleinen Waschecke.

Wiedersehen in Ingolstadt

An ihren Geburtstag im April standen dann plötzlich ihre Freundinnen aus Leipzig vor der Tür, auch Elvira. "Das war irre!", erinnert sich Maren. Bald fand sie eine neue Stelle - zunächst bei einer Rohrleitungsfirma, später wurde sie die rechte Hand des Chefs eines großen Handelskonzerns in Ingolstadt. Sie hat eine Eigentumswohnung und ihr geht es gut.

Elvira, die in Leipzig blieb, fand eine neue Arbeit bei einer Bank. Doch ein halbes Jahr später musste auch sie in den Westen - zur Umschulung, aber "das war alles ganz unkompliziert und nachdem ich gezeigt hatte, dass ich auch was kann, haben die mich dort sogar ernst genommen", erinnert sie sich. Neben ihrer Karriere bei der Bank, baute Elvira im Landkreis Leipziger Land ein Tierheim auf - mit ihrer Familie und einem Verein. Bis heute engagiert sie sich dort mit viel Herzblut. Kurz nach der Wende hat sie sich ihren Traum vom eigenen Haus mit Garten erfüllt. Viel hat sich geändert seit 1989 - für beide Frauen. Doch eines ist geblieben: ihre Freundschaft.

Flüchtlinge 1989, Flüchtlinge heute

Als sie gemeinsam das Konzert von Kettcar in Leipzig besuchten, kamen bei den Frauen wieder die Erinnerungen hoch. Der Song "Sommer 89" erzählt zwar eine Geschichte aus dieser geschichtsträchtigen Zeit, aber er geht darüber hinaus. Er erzählt auch viel vom Heute. Als Elvira das Lied hörte, kam ihr erstmals in den Sinn, dass die Motive einiger Flüchtlinge heute ähnlich wie ihre eigenen von 1989 seien.

Viele würden vor dem Krieg flüchten. Das sei mit ihrer Flucht nicht vergleichbar: "Die haben es viel schlimmer, als wir damals". Es gebe aber auch Flüchtlinge, die von einem besseren Leben träumen. Elvira kann das nur zu gut verstehen: "Das gab es bei uns auch, dass man wegen materieller Dinge weggegangen ist".

Über dieses Thema berichtet das MDR ZEITREISE-MAGAZIN im:TV | 27.02.2018 | 21:15 Uhr