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Bio-Gemüse aus dem eigenen GartenDDR-Kleingärten: Parzellen des Glücks

14. September 2022, 09:00 Uhr

Die Idee ist so alt wie die Industrialisierung. Schon vor etwa 200 Jahren kamen erste Kleingärten auf. Sie deckten den Eigenbedarf an Blumen, Gemüse und Obst. Zudem schufen sie einen Raum der Ruhe und Erholung in den zunehmend durch Fabriken, Verkehr und die Enge der Mietskasernen geprägten Städten. In Ostdeutschland gibt es mit knapp einer halben Million mehr als die Hälfte aller deutschen Kleingärten. Mit fast 190.000 Kleingärten hat Sachsen die meisten sogenannten Schrebergärten.

1864 wurden nach den Ideen des Arztes und Volkserziehers Daniel Gottlob Moritz Schreber in Leipzig Spielplätze mit Beeten für Kinder eingerichtet. Daraus entwickelten sich die ersten Schrebergärten und bald entstanden ganze Gartenkolonien. So wie der in die Stadt abgewanderte Landbewohner sich im Kleingarten ein Stück seiner Identität bewahrt, inszeniert der Städter in seinem innerstädtischen Refugium eine Art Landleben.

40.000 Laubenkolonisten siedelten sich bereits zur Jahrhundertwende in Berlin und näherer Umgebung an. Ihre Gärten hatten besonders nach den beiden Weltkriegen eine immense Bedeutung bei der (Selbst-)Versorgung der Bevölkerung mit Nahrung.

Der Kleingarten im Sozialismus

In den Anfängen der DDR wurde den Kleingärtnern mit einer gehörigen Portion Misstrauen begegnet. Ihre vermeintliche Kleinbürgerlichkeit und Spießigkeit glaubte man im Sozialismus überwunden zu haben. Die Kulturwissenschaftlerin Isolde Dietrich spricht von tiefliegenden Ressentiments: "Das war schon ganz massiv. Kleingärtner sollten umerzogen werden, wurden sogar in besonderer Weise dafür verantwortlich gemacht, dass der Nationalsozialismus durchgekommen ist."

Kollektivierung zwischen Radieschen und Spalierobst

So versuchte die SED ganz bewusst, eine andere Art von Kleingartenkultur zu schaffen. Beim Aufbau von Stalinstadt, dem heutigen Eisenhüttenstadt, sollten gemeinschaftliche Obstreviere in einem "Zentrum der Gartenkultur" zusammengefasst werden. Ein Schlag gegen den Individualismus und eine Art "Kollektivierung der Landwirtschaft" zwischen Radieschen und Spalierobst. Versuche, eine Massenorganisation der Kleingärtner zu bilden, scheiterten zwischen 1952 und 1958 mehrfach. Erst 1959 schwenkte die Parteilinie auf Tolerierung um und ließ die Gründung des "Verbandes der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter (VKSK)" zu - als eine Art Versorgungsagentur für Obst und Gemüse.

Aber erst die wachsenden Versorgungsschwierigkeiten in den 1960er- und 1970er-Jahren führten endgültig zum Durchbruch der Kleingartenbewegung. 1976 beschloss die SED auf ihrem IX. Parteitag die Förderung der Kleingärten und ein Jahr später wurden auf Regierungsbeschluss hin überall in der Republik neue Kleingartenanlagen ausgewiesen. Die Parole auch des VKSK lautete fortan: "100 kg Obst auf 100 m² Kleingartenland". Rasenflächen wollte man nicht fördern, sondern Obst- und Gemüseanbau. Und weil die Partei die Bedeutung des Kleingärtners für die Versorgung der Republik anerkannt hatte, wurden diese Siedlungen von den Kommunen oft mit Strom versorgt. Es gab zum Teil sogar gemeinsame Trinkwasseranschlüsse.

Geschäfte, so krumm wie manche Gurke

Mit einem System von Ankaufstellen gelang es, die über den Eigenbedarf hinaus produzierten Früchte aus den Kleingärten abzuziehen und zumindest saisonweise den Bedarf an Gurken, Aprikosen oder Tomaten zu decken.

Nicht selten aber zeigte sich auch bei diesem Konkurrenzgeschäft zu den staatlichen Erzeugern die Schwäche der subventionierten Planwirtschaft. Oft nämlich verkauften Kleingärtner ihre Ware hinten an der Annahmetheke teuer an den Staat, kassierten den Ertrag und kauften ihre eigene Ware vorn im Laden billiger wieder ein. Um sie dann wieder zur Hintertür an die Annahmetheke zu bringen. Legendär sind die Kleinviehzüchter, für die es manchmal billiger war, subventioniertes Brot zu verfüttern als unverarbeitetes Getreide. Andere leisteten ihren Beitrag zum Export ins kapitalistische Ausland. So landeten Wellensittiche aus der privaten Kleintierzucht der DDR oft auch im Westen. Wer exportierte, erhielt dafür Sonderkontingente an Tierfutter.

Dank und Anerkennung von ganz oben

Bei den letzten Kommunalwahlen im Mai 1989 trat der "Verband der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter" mit eigenen Kandidaten an und errang knapp 3.000 Mandate. Erich Honecker fand entsprechend salbungsvolle Worte: "Ihre in liebevoller Freizeitarbeit über den eigenen Bedarf hinaus erzeugten Qualitätsprodukte, darunter bedeutende Mengen an Obst, Gemüse, Honig, Eier, Kaninchen und Geflügelfleisch, finden die Anerkennung der Bevölkerung."

(Der Artikel wurde 2011 erstmals veröffentlicht.)