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Die Geschichte des BuchenwaldkindesStefan Jerzy Zweig: Von der Schwierigkeit, eine Symbolfigur zu sein

22. April 2021, 16:43 Uhr

"Das ist nicht meine Geschichte. Das ist die Geschichte von Buchenwald. Und ich bin ein Mosaikstein", sagt Stefan Jerzy Zweig, der als das"Buchenwaldkind" bekannt wurde. Die DDR machte ihn zur Symbolfigur des kommunistischen Widerstands in dem KZ nahe Weimar.

An der Hand des Vaters und unter den Augen der SS kommt der dreijährige Stefan Jerzy Zweig ins Konzentrationslager Buchenwald, nach tagelangem Transport im Viehwaggon. Unter der Häftlingsnummer 67509 wird der Junge offiziell ins Lager aufgenommen, Verhaftungsgrund: "Polit Pole Jude".

Geboren wurde Zweig im Januar 1941 in Krakau als Kind des jüdischen Rechtsanwaltes Zacharias Zweig und seiner Frau Helena. Im August 1944, nach Aufenthalten im Krakauer Ghetto und in den polnischen Lagern Bieżanów, Skarżysko-Kamienna und Płaszów, wurde die Familie getrennt: Die Mutter und Zweigs acht Jahre ältere Schwester Sylwia wurden zur Zwangsarbeit in die HASAG-Werke Leipzig, ein Nebenlager von Buchenwald , verschleppt. Später wurden sie in Auschwitz ermordet. Vater und Sohn kommen ins Konzentrationslager Buchenwald. Dass es dem Vater gelang, das Kind über all die Lager am Leben zu erhalten, grenzt an ein Wunder.

"Dieser Junge stirbt nicht"

Willi Bleicher, Kapo der Effektenkammer, den Stefan Jerzy Zweig ebenso wie Robert Siewert, Franz Leitner und andere als seine Retter betrachtet, erinnert sich:

Unter den nackten, bärtigen Gestalten das Kindchen. Ich hatte etwa zehn Jahre nichts Kindliches mehr gesehen. Da stand es mit seinen großen Augen, so fragend. Und ich entschied: Dieser Junge stirbt nicht.

Willi Bleicher

Vater und Sohn überleben das Konzentrationslager. Nach der Befreiung führen ihre Wege zunächst nach Polen und Frankreich, dann 1949 nach Israel. Stefan Jerzy lernt schnell Hebräisch, schließt das Gymnasium ab und leistet seinen Wehrdienst in der israelischen Armee. Später geht er nach Frankreich und studiert in Lyon Mathematik.

Das "Buchenwaldkind" lebt

Von dem Roman "Nackt unter Wölfen" und der gleichnamigen Verfilmung erfahren beide erst, als sie 1964 von Reportern der Ostberliner "BZ am Abend" ausfindig gemacht werden. Stefan Jerzy siedelt trotz der Bedenken seines Vaters, dass man aus ihm ein lebendes Denkmal machen würde, in die DDR über und beginnt ein Studium an der Filmhochschule Babelsberg. Und wie der Vater es vermutet hat, wird Stefan Jerzy zur Symbolfigur des kommunistischen Widerstands in Buchenwald. Er wird in Schulen eingeladen, um von seinen Erlebnissen zu erzählen, und immer wieder drucken Zeitungen Interviews mit ihm. Anfangs spielte er die Rolle, die die DDR von ihm erwartet, schreibt der britische Historiker Bill Niven in seinem 2009 veröffentlichten Buch "Das Buchenwaldkind". So drehte er beispielsweise als Semesterabschlussarbeit einen Kurzfilm über den kommunistischen Buchenwaldhäftling Robert Siewert - einen seiner Retter.

Die DDR wurde aber nie ein wirkliches Zuhause für Stefan Jerzy Zweig. Während seiner Studienzeit in Potsdam hatte er mehrmals abgelehnt, die DDR-Staatsbürgerschaft anzunehmen. Er behielt die israelische. Zweigs Verhältnis zur DDR war zwiespältiger, als es den Anschein hatte - besonders, wenn es um deren Israelpolitik ging. "Als sich die Beziehungen zwischen Israel und dem Ostblock verschlechterten, (...), schien Stefan immer weniger gewillt, seine Unterstützung für Israel zu verbergen", stellt der Historiker Niven fest. Dieser politische Konflikt war sicher auch einer der Gründe, warum Zweig 1972 die DDR mit Frau und Kind verließ und nach Österreich ging, wo er eine Stelle als Kameramann beim Österreichischen Rundfunk (ORF) antrat. Ein Wiedersehen mit dem Vater gab es allerdings nicht mehr: Zacharias Zweig starb noch im selben Jahr in Israel.

"Tränen allein genügen nicht" – die Biografie

2005, zum 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald, veröffentlichte Stefan Jerzy Zweig im Eigenverlag seine Biografie mit dem Titel "Tränen allein genügen nicht". Das Buch enthält den authentischen Bericht des Vaters, den dieser 1961 für die Gedenkstätte Yad Vashem verfasst hatte. Dort beschreibt er die Wege seiner Familie vom Krakauer Ghetto bis nach Buchenwald bzw. nach Auschwitz. Das Buch enthält aber auch scharfe Kritik an der Leitung der Gedenkstätte. Die Tafel am Effektengebäude, die namentlich seine Rettung beschrieb, wurde Ende der 90er-Jahre entfernt und durch eine allgemeine Informationstafel ersetzt, die an die etwa 900 Kinder erinnert, die Buchenwald überlebten. Für Zweig ein unverzeihlicher Akt:

Wenn man einen Namen löscht, löscht man den Menschen. Wenn man will, könnte man für alle anderen Kinder, die dort in Buchenwald waren, riesige Tafeln mit all ihren Namen, Mahnmäler für sie bauen – aber nicht den einen löschen. Das ist keine Art.

Stefan Jerzy Zweig

Keine Versöhnung möglich

Ein weiterer Konflikt, der seit Anfang der 90er-Jahre schwelt und unter dem Stefan Jerzy Zweig leidet, ist die in der DDR verschwiegene Tatsache, dass Zweig im Herbst 1944 nur überleben konnte, weil ein anderer Junge für ihn auf die Liste für einen Kindertransport nach Auschwitz gesetzt wurde.

Wer mag es dem inzwischen über 60-Jährigen verdenken, wenn er kein Verständnis hat für die Neubewertung des Antifaschismus in der DDR im Allgemeinen und seiner persönlichen Geschichte im Speziellen. Eine traumatische Kindheit, die geprägt ist von Todesangst, und dann ein Leben als hofierte Symbolfigur – das sind keine guten Voraussetzungen für eine Versöhnung mit der Geschichte. "Für Zweig laufen die Verbindungen zwischen den Ebenen seiner Vergangenheit und seiner Gegenwart in viel tieferen Schichten zusammen; leider bildet sich einer dieser Verbindungsstränge aus der Fortführung von Diskriminierung, Ungerechtigkeit und Manipulation. Es ist kein Ruhmesblatt für das vereinigte Deutschland, dass sich Zweig nach wie vor geächtet fühlt", schreibt Bill Niven abschließend in seinem Buch.

Buchtipps:Zacharias Zweig (posthum) und Stefan Jerzy Zweig: Tränen allein genügen nicht. Mit einem Nachwort von Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek.
Herausgegeben im Eigenverlag: Wien 2005; 34 Euro

Bill Niven: Das Buchenwaldkind. Wahrheit, Fiktion und Propaganda.
Mitteldeutscher Verlag, 2009, Hardcover, 327 Seiten, ISBN: 978-3-89812-566-6

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Ja, Andrei Iwanowitsch | 27. März 2023 | 00:00 Uhr