Interview aus dem Jahr 2012 Hannes Hegen - der Schöpfer der Digedags

08. Dezember 2017, 14:45 Uhr

1955 erfand der Zeichner und Maler Hannes Hegen (Johannes Eduard Hegenbarth, 1925-2014) drei Kobolde und gab ihnen die Namen Dig, Dag, Digedag. Es war die Geburtsstunde der heute legendären Mosaik-Hefte. Ein Gespräch mit dem Schöpfer der Digedags aus dem Jahr 2012.

Herr Hegen, woher haben Sie Ihre Begabung zum Zeichnen und zum Fabulieren?

Mein Vater war ein großer Zeichner und ein großer Künstler im Entwerfen von Dekoren und Mustern im Kunstglasbetrieb, und von meiner Mutter habe ich die Phantasie.

Als siebenjähriger Bub hab ich vom Glasermeister Glasstreifen als Abfall geholt und habe dann auf diese Glasstreifen lauter bunte kleine Figuren gemalt und habe die in meiner alten Laterna Magica an die Wand projiziert und habe dann meine kleinen Freunde eingeladen und habe da Bildervorführungen gemacht.  Das war eigentlich der Beginn meiner - bitteschön, wenn Sie so wollen - Karriere.

Sie haben sich und Ihrer Familie mit dieser künstlerischen Begabung nach Kriegsende das Überleben gesichert?

Ich habe das Kriegsende bei Wien erlebt und bin dann zu Fuß in meine alte Heimat zurückgegangen. Doch wenig später begann in Nordböhmen die Ausweisung aller Einwohner, und so stand ich mit meiner Mutter und meiner Schwester mittellos auf der Straße. Und mit Zeichnen habe ich mir praktisch meinen ersten Lebensunterhalt verdient, indem ich zum Beispiel in Ilfeld in Sachsen bei einem Maurer ein Zimmerchen gefunden hatte, wo meine Mutter und meine Schwester und ich leben konnten, und dort habe ich in dem Gasthaus, das der Maurer Handrick dort ausgemalt und verputzt hatte, große Figuren zwischen die Fensterlaibungen mit thüringer und sächsischen Volkstrachten in ungefähr 1,50 Meter Größe an die  Wand gemalt. Und für diese Malerei habe ich von dem Gastwirt damals zwei Festmeter Holz bekommen. Das war kurz vor dem Winter und zwei Festmeter Holz war die Sicherung des Lebens im ersten kalten Kriegswinter, und das war das erste große Honorar - in Anführungsstrichen - zwei Festmeter Holz für die erste künstlerische Arbeit.

Stimmt es, dass die Idee für die Digedags eigentlich aus dem Auftrag, das uns allen bekannte "Rumpelmännchen" zu zeichnen, geboren wurde?

Als junger Zeichner im Berliner Verlag erhielt ich im Sommer 1954 ganz kurzfristig den Auftrag, ein kleines Männchen als Symbol für die SERO-Aktion zu entwerfen. Da kam der Verlagsdirektor zu mir und sagte: "Wir müssen für die SERO-Aktion ein Männchen erfinden, was als Aushängeschild, als Werbung dienen kann. Es müsste so ein kleines Männchen sein, was Altstoffe sammelt." Da kamen wir auf die Idee, es müsste bei einer Rumpelaktion ein Rumpelmännchen sein, und da habe ich in einer Nacht den Entwurf für das Rumpelmännchen gemacht.

Aus den vielen Skizzen und Vorarbeiten dazu entstand dann im Laufe der Zeit die Idee, ein lustiges Figurentrio zu schaffen und ich dachte mir: "Mit diesen drei Figuren müsste man doch die Hauptfiguren für eine Bildergeschichte geschaffen haben." Es sollten drei freundliche, nicht alternde Kobolde sein, die in allen Zeiten, in allen Erdteilen und in allen Epochen der Kulturgeschichte heitere, humane, abenteuerliche und, wenn angebracht, auch wissensvermittelnde Geschichten und Abenteuer erleben sollten.

Und wie sind die Digedags zu ihren Namen gekommen?

Mir schwebten drei Namen vor, wo der erste und zweite Name den dritten Hauptnamen ergeben sollte. Ich grübelte und grübelte und grübelte, doch mir wollte nichts Treffendes einfallen. Bis ich endlich in einer stillen Stunde, in der ich, ruhig und in meine zeichnerische Aufgabe vertieft, auf einmal die Wanduhr hörte: "tick, tack, ticketack." Ich war wie elektrisiert - das war‘s! Jedoch mit dreimal t und dreimal ck waren die Namen viel zu hart - fast unaussprechlich. Was lag da näher, als die Namen weich zu machen - mit einem d und g einfach: Dig, Dag, Digedag.

Die Idee ist die eine Seite, aber es fehlte ja immer noch ein Verlag, den Sie für Ihr Projekt gewinnen mussten...

Ich ging in jener frühen Zeit öfter vom Berliner Verlag in der Jägerstraße über die Friedrichstraße zur Buchhandlung in der Markgrafenstraße. Und in diesem Gebäude befand sich der Jugendbuchverlag "Neues Leben". Im März 1955 fasste ich Mut und ging in das Verlagssekretariat. Ich sagte: "Ich habe viele Entwürfe für eine Bildergeschichte, die ich dem Verlag Neues Leben vorlegen möchte." Die junge Dame antwortete verdutzt: "Eine Bildergeschichte? Aber wir verlegen nur Jugendbücher. Aber warten Sie bitte, ich werde mich informieren."

Und es dauerte nicht lange, da wurde ich zum Verlagsleiter gebeten, der mich sehr freundlich empfing. Er wies auf seinen Schreibtisch, auf dem eine ganze Reihe westlicher Comics lag und er sagte zu mir: "Sie kommen wie gerufen, wir machen uns in der Verlagsleitung gerade Gedanken, eine Bildergeschichte zu entwickeln, als Publikation für den DDR-Markt, da immer mehr ungute Comics aus dem Westen hereinkommen."

Das besondere am Mosaik waren vor allem die opulenten Bilder. Woher hatten Sie die Anregungen? Obwohl das Reisen sehr eingeschränkt war, schien es ja so, als wären Sie überall vor Ort gewesen?

In meinem Elternhaus waren große Bücherschränke mit vielen illustrierten Büchern und die habe ich als kleiner Bub schon immer studiert und mich in fremde, schöne Welten begeben, und habe mir damals schon Gedanken gemacht, wie man eine schöne Bildererzählung machen könnte. Das habe ich auch bis heute gemacht und ich habe inzwischen eine Riesenbücherei.

Ich habe gerade in Leipzig, in Antiquariaten, Tausende Bücher gefunden. Ich hab immer Reisebeschreibungen und völkerkundliche Bücher für die Arbeit herangezogen. Ich habe gerade bei der Ritter-Runkel-Reihe sehr viel Venedig gezeichnet, ohne jemals in Venedig gewesen zu sein. Venedig habe ich erst nach der Wende kennengelernt. Und da habe ich natürlich eine große Venedig-Bücherei, auf die ich zurückgreifen konnte. Venedig ist die Traumstadt für mich, ich könnte jedes Jahr einmal nach Venedig fahren. Und ich war mit meiner Frau schon sehr oft in Venedig.

Gab es von Seiten des Verlages eine Einmischung in Ihre Arbeit?

Die Ideologen fühlten sich verpflichtet, in den Schaffensprozess von Mosaik einzugreifen. Die lustige, abenteuerliche und unpolitische Römerserie hatte ich mit viel Freude und Phantasie für viele Jahre im voraus konzipiert. Die Geschichten sollten für eine lange Reihe im alten Rom spielen - mit dem germanischen Tolpatsch Teutobold hatte ich noch viel vor, doch Mosaik war damals schon vielen Funktionären ein Dorn im Auge. Immer wieder versuchte man maßregelnd in meine Arbeit, meine Konzeption einzugreifen. Mosaik war für diese Kritiker einfach zu unpolitisch; man wollte mich zwingen, mit einer Bildergeschichte die jungen Leser politisch zu beeinflussen. Doch gerade das wollte ich nicht. Ich wollte immer nur heitere und spannende Geschichten entwerfen und zeichnen.

Im Jahr 1959 konnte der Eklat gerade noch verhindert werden und die Digedags durften weiter auf Reisen gehen. Doch 1975 war dann endgültig Schluss. Wie kam es dazu?

Es gab damals Unstimmigkeiten mit der Verlagsleitung - ein neuer Verlagsdirektor war gerade vom Zentralrat der FDJ in sein Amt eingeführt worden, und der war ein ganz scharfer Ideologe. Er wollte das grafische Kollektiv, wie es so schön hieß, unbedingt in das Verlagsgebäude in die Innenstadt holen. Ich sagte: "Ohne mich!" Und so war mein Mosaik-Nummer 223 das letzte. Man nahm mir den Titel "Mosaik" weg und schuf mit den "Abrafaxen" ein vollendetes Plagiat. Ich konnte mich schon 1975 und auch heute, nach der Wende, nicht juristisch dagegen wehren.

Über dieses Thema berichtete der MDR im TV: Das Geheimnis der Digedags - Kult-Comic aus der DDR | 01.08.2017 | 22:15 Uhr