Die Lebensrolle von Romy Schneider Kaiserin Sissi – im Film ein Engel, im Leben ein Sonderling

21. September 2021, 16:30 Uhr

Auch wenn Romy Schneider in ihrem Leben zahlreiche andere Rollen spielte, bleibt sie für viele die junge, bildhübsche Kaiserin Sissi - mit dieser Rolle gelang ihr in den Fünfzigern der internationale Durchbruch. Mit der Realität hatte die von ihr verkörperte Filmfigur allerdings nur wenig gemeinsam.

Ein naives Mädchen, das gegen die steife, unmenschliche Etikette des Wiener Kaiserhofes rebelliert, mit einem jugendlichen Charme und einer süßen Singsang-Stimme ausgestattet – so wurde Kaiserin Elizabeth von Österreich, volkstümlich Sissi genannt, in der Filmtrilogie mit Romy Schneider dargestellt. In Wahrheit war die Kaiserin eher eine neurotische, schrullige Frau, die ihre Umgebung mit sonderbaren Ideen terrorisierte. Die große Liebe zwischen ihr und "Franz" ist ein Leinwandmythos, in Wahrheit hegte der Kaiser von Österreich wohl ein einseitiges Gefühl, das kaum erwidert wurde.

Dabei hatte alles so vielversprechend begonnen. Als einer der weniger Sprösslinge der Aristokratie darf Franz Josef aus Liebe heiraten. Der 23-Jährige verliebt sich schon beim ersten Treffen in die 16-jährige Elisabeth Amalie Eugenie. Drei Tage später ist das Paar schon verlobt und ein knappes Jahr danach verheiratet. Doch das Familienglück will sich nicht so recht einstellen. Das liegt nur zum Teil daran, dass Wien für die junge Kaisern - wie im Sissi-Film dargestellt - ein goldener Käfig ist.

Zutritt zum Ehebett verwehrt

Schnell muss Franz Josef etwa der Tatsache ins Auge blicken, dass körperliche Nähe seiner bildhübschen Gattin nicht allzu viel bedeutet. Die Ehe wird erst in der dritten Nacht vollzogen, eine Abneigung gegen Sex bleibt und fließt in Reime der Kaiserin, die unentwegt, wenn auch dilettantisch dichtet: "Für mich keine Liebe, für mich keinen Wein, die eine macht übel, der andere macht spei‘n." Auch die Hofetikette machte es dem jungen Monarchen nicht einfach, weil er zunächst die Hofdame der Kaiserin fragen muss, ob ihm diese Zutritt zu ihrem Bett gewährt. Und immer häufiger muss er eine Absage einstecken. 1866 schreibt er seinen Frust darüber sogar nieder: "Ich muss weiterhin geduldig meine Einsamkeit ertragen. In dieser Hinsicht musste ich schon einiges aushalten und auszuhalten lernen, und am Ende gewöhnt man sich daran".

Nach der Geburt des vierten Kindes bleibt ihm "Sissis" Schlafzimmer dauerhaft verschlossen. Sein Bedürfnis nach weiblicher Gesellschaft stillt der Monarch fortan "außer Haus" – und das nachweislich nicht nur rein platonisch. Eine der berühmtesten Frauenfreundschaften fädelt übrigens die Kaiserin persönlich ein – die Bekanntschaft mit der Hofburg-Schauspielerin Katharina Schratt, die dem Kaiser die Nähe gibt, die ihm seine Angetraute nicht gibt.

Eine schrullige Persönlichkeit

Denn die wahre "Sissi" wird mit der Zeit immer schrulliger – ganz anders als die liebenswürdige Filmfigur, die Romy Schneider verkörperte. Immer mehr zieht sie sich in ihre Welt zurück – dichtet, studiert die großen Philosophen, widmet sich ihren Pferden und ihrem Papagei. Aus der rebellierenden jungen Frau wird ein verbittertes Wesen, das von der Angst besessen ist, alt und hässlich zu werden.

Als eine der ersten Frauen der Welt lässt sich Kaiserin Elisabeth deshalb eine Kletterwand im Schlafzimmer einbauen. Sie glaubt, dass sie durch tägliche Gymnastik das Altern hinauszögern kann. Um ihr Gewicht zu halten, bricht sie zu mehrstündigen Wanderungen auf, bei denen kaum jemand von der Begleitung mit ihr Schritt halten kann. Wenn ihr dabei heiß wird, legt sie ohne Rücksicht auf ihren Stand die Kleidung ab. Doch das reicht nicht, weil die Kaiserin Schokolade und Süßspeisen liebt - was zahlreiche Rechnungen von Hofkonditoren belegen. Sobald sie mehr als ein halbes Pfund zunimmt, verordnet sie sich deshalb eine strenge Fastenkur oder aber eine damals futuristisch anmutende Diät: Den ganzen Tag trinkt sie nichts als den frisch gepressten Saft aus sechs Kilogramm Rindfleisch.

Ein ganzer Tag zum Haarewaschen

Berühmt-berüchtigt ist auch die Pflege, die sie ihrem Haar angedeihen lässt. Jeden Tag wird sie von ihrer Friseurin gekämmt, und zwar mit einem Bernsteinkamm, weil damit angeblich die wenigsten Haare ausfallen. Nach der mehrstündigen Prozedur muss die Friseurin alle ausgefallenen Haare der Monarchin auf einem silbernen Tablett vorlegen. Sind es viele, wird es unangenehm. Zweimal im Monat nimmt sich Elisabeth außerdem einen Tag lang Zeit, um ihre Haare zu waschen. Dabei kommt eine Mixtur aus frisch geschlagenem Eigelb und Parfüm zum Einsatz.

Doch all die Vorsorge reicht offenbar nicht. Im Alter von 32 Jahren kommt "Sissi" zu dem Schluss, dass der Zahn der Zeit so an ihr genagt hat, dass sie sich fortan nicht mehr porträtieren und fotografieren lässt. So bleibt sie für die Nachwelt schon immer die junge Kaiserin - ähnlich wie Romy Schneider, die Zeit ihres Lebens mit der Rolle der jungen, schönen Monarchin verknüpft wurde.

Tischmanieren nicht immer hoffähig

Selbst die Tischmanieren der Kaiserin sind im wahren Leben ganz anders als auf der Kinoleinwand. Elisabeth hat schlechte Zähne – weshalb sie nur selten in der Öffentlichkeit spricht. Als sie schließlich eine Zahnprothese verpasst bekommt, scheut sie sich nicht, die beim Diner aus dem Mund zu nehmen. Die Hof-Schauspielerin Rosa Albach-Retty berichtete von einem solchen Vorfall: "Elisabeth guckte sekundenlang vor sich hin, dann griff sie mit der linken Hand rasch nach dem Gebiss, nahm es aus dem Mund, hielt es zur Seite an der Tischkante, spülte es mit einem Gläschen Wasser aus und steckte es sich wieder in den Mund. Das ist mit einer derartigen graziösen Nonchalance passiert und vor allem derart blitzschnell, dass ich zunächst meinen eigenen Augen nicht trauen wollte".

Poesie und Reisen als Lebensinhalt

In den letzten Jahrzehnten ihres Lebens zieht sich die Kaiserin immer weiter in ihre Welt voller Gedichte und spiritistischer Fantasien zurück. Rastlos und ziellos reist sie durch Europa, doch nirgendwo kommt sie zur Ruhe. Sie selbst sieht sich als Dichterin und ist fest davon überzeugt, dass ihre Verse ihr wichtigstes Vermächtnis an die Nachwelt sein werden. Zwei Bände lässt sie in einer Schatulle einschließen, mit der Maßgabe, sie 60 Jahre nach ihrem Tod zu öffnen. Als das 1951 tatsächlich geschieht, findet man darin 600 Seiten vor, die sich auf dem Niveau eines bemühten Amateurs bewegen.

Ein Attentat setzt 1898 dem Leben der "Sissi" ein Ende. Und selbst im Tod will sie ihren eigenen Weg gehen und unter einem 100 Jahre alten Baum in der kaiserlichen Sommerresidenz in Ungarn beerdigt werden. Doch diesen Wunsch erfüllt ihr der Kaiser, der sie sonst auf Händen trug, nicht. Wie alle anderen Habsburger findet sie in der Kapuzinergruft in Wien ihre letzte Ruhestätte. Zumindest dieses Mal siegt die Pflicht gegenüber der Monarchie.

(baz)

Über dieses Thema berichtet der MDR auch im Hörfunk: MDR KULTUR | 23.09.2018 | 12:05 Uhr