Mann in Laborkittel bedient Maschine in einer Fabrikhalle.
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Boom in Südthüringen Kumatec: Vom VEB zum Innovationsschmiede

30. Mai 2018, 15:04 Uhr

Die Wiedervereinigung ist für Ostdeutschland vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht ein Schock. Die meisten Produkte, die hier hergestellt werden, finden auf dem neuen gesamtdeutschen Markt keinen Absatz, tausende Betriebe müssen schließen. Massenarbeitslosigkeit und Abwanderung sind die Folgen. Doch es gibt auch andere Beispiele – im südthüringischen Sonneberg etwa ist es gelungen VEB-Know-How in die neue Realität zu überführen und vor Ort eine innovative Boom-Region zu schaffen.

Joachim Löffler, Mitgründer und Geschäftsführer des thüringischen Unternehmens Kumatec, fährt einen ganz besonderen Firmenwagen. Es ist ein emissionsfreies Brennstoffzellenauto, ausschließlich betankt mit Wasserstoff an der eigens entwickelten Wasserstofftankstelle.

"500 bzw. 580 Kilometer Reichweite, drei Minuten Tank-Zeit, Tankkosten in etwa wie Benzin und Diesel." erzählt Löffler stolz. "Ich glaube fest daran, das ist die Zukunft der Elektromobilität. Das denken übrigens auch 75 bis 80 Prozent aller Manager in der deutschen Autoindustrie."

Innovation aus Südthüringen

Auf dem Gebiet der Brennstoffzellentechnik ist Kumatec ein Vorreiter – und der Landkreis Sonneberg inzwischen eine der dynamischsten Wirtschaftsstandorte Deutschlands. Hier herrscht heute die größte Industriedichte in ganz Thüringen. Die Arbeitslosenquote liegt bei knapp vier Prozent – fast schon Vollbeschäftigung. Und eine weitere Besonderheit: Die Boomregion kommt ganz ohne Großkonzerne aus.

Mann im Anzug an einem Schreibtisch.
Kumatec-Mitgründer und -Geschäftsführer Joachim Löffler Bildrechte: Zeitreise/MDR

"Diese Kleinteiligkeit, die uns immer vorgehalten wird, dass sie so negativ ist, ich sehe das als Riesenvorteil an, als Riesenchance", so Löffler: "Wenn ich sehe, was hier bei uns in der Region für unterschiedliche Technologien, unterschiedliche Firmen entstanden sind, das ist eigentlich ein selbsttragender Aufschwung gewesen."

Keine Selbstverständlichkeit. Denn auch hier beginnt nach der Wende alles mit dem großen Zusammenbruch. Einst war Sonneberg eine stolze DDR-Industrieregion, bekannt für die Herstellung von Spielzeug, Stern-Radios und Plasta-Geschirr. Nichts von diesen Produkten kann auf dem neuen Westmarkt bestehen. Viele Betriebe gehen pleite oder werden von der Treuhand verkauft.

Gleichzeitig sehen einige in dem Niedergang jedoch auch Chancen und wagen den Neustart – so wie Joachim Löffler. Sein DDR-Betrieb, der VEB Plasta Sonneberg, geht 1991 an den westdeutschen Automobilzulieferer Mann und Hummel. Dieser rettet zwar den Betrieb, aber Löfflers Abteilung wird aufgelöst und er selbst arbeitslos.

Durch Risikobereitschaft und Erfahrung zum Erfolg

Für Joachim Löffler ist das ein Wink des Schicksals. Er und zwei Ingenieurskollegen setzen einen Plan um, den sie insgeheim schon zu DDR-Zeiten hatten: Sie machen sich selbstständig – in Neuhaus-Schierschnitz, direkt an der Grenze zu Bayern. Löffler ist sich sicher, dass die Nähe zum Westen eine gute Starthilfe war:

"Es gibt in Bayreuth eine Firma, zu der wir heute noch sehr guten Kontakt haben, wo wir unseren ersten Auftrag bekommen haben", erzählt Löffler: "Ich erinnere mich noch wie heute: Weil wir hier von der Sprache her ein bisschen oberfränkisch geprägt sind, meinte der Unternehmer damals, ihr plaudert wie wir, ihr kriegt jetzt einen Auftrag! Und dann sind wir so step by step zum Laufen gekommen."

Die Automatisierungsingenieure aus dem alten VEB machen heute genau das, was sie immer gemacht haben:  Sie bauen komplexe Sondermaschinen. Und entwickeln neue Produkte für die Auto- und Solarindustrie. Heute hat die Kumatec 80 Mitarbeiter, eine eigene Entwicklungsabteilung und beste Beziehungen zu Forschungseinrichtungen wie der TU Ilmenau. Gemeinsam haben sie hier auch die Wasserstofftankstelle entwickelt. Das Prinzip: Strom spaltet Wasser in Sauer- und Wasserstoff -  und schon kann getankt werden.

Das eigentliche Kapital der Firma aber sind die jungen Entwicklungsingenieure. Die meisten kommen aus der Region und brennen nicht für Porsche und Co., sondern für ihr Wasserstoffprojekt. Sie sind stolz darauf, zu den Vorreitern einer neuen Technologie zu gehören, die vor der eigenen Haustür entwickelt wird.

"Es ist ein ganz besonderes Fahrerlebnis, wenn man in einem Brennstoffzellenfahrzeug drin sitzt. Alle anderen Autos stoßen etwas aus und bei mir kommt nur Wasser raus. Dieses Gefühl, als einziger auf der Straße zu sein, der sowas kann, es ist faszinierend", schwärmt der junge Ingenieur Michael Bauer.

Aber auch internationale Investoren haben die Region mittlerweile für sich entdeckt. Gerade sind bei der Kumatec amerikanische und japanische Partner eingestiegen und sorgen für Kapital, mit dem man die innovative Wasser- und Brennstoffzellenforschung vorantreiben kann.


Über dieses Thema berichtete die MDR Zeitreise auch im: TV | 22.05.2018 | 21:15 Uhr