Gespräch am Runden Tisch in Warschau: Tadeusz Mazowiecki, Lech Walesa, Wladyslaw Frasyniuk
Gespräch am Runden Tisch in Warschau – von links nach rechts: Tadeusz Mazowiecki, Lech Walesa, Wladyslaw Frasyniuk Bildrechte: imago/Forum

Biografie Lech Wałęsa – vom Elektriker zum Staatsmann

10. November 2023, 10:52 Uhr

Er gilt als zweitbekanntester Pole der Welt nach Papst Johannes Paul II.: Lech Wałęsa. Seine Bedeutung für die Geschichte Polens ist unumstritten. Doch Dokumente, die eine Spitzeltätigkeit unter dem Decknamen "Bolek" für den polnischen Geheimdienst SB belegen sollen, kratzen am Image des ehemaligen Gewerkschaftsführers. Am 9. Dezember 1990 wurde er zum polnischen Staatsoberhaupt gewählt.

Lech Wałęsa stammt aus einer Bauernfamilie eines nordpolnischen Dorfes. Er macht eine Ausbildung zum Elektriker und arbeitet ab 1967 auf der Leninwerft in Danzig. 1969 heiratet er und hat mit seiner Frau Danuta insgesamt acht Kinder.

Gestreikt, verhaftet, arbeitslos

Als gewählter Betriebsrat tritt er bei den blutig niedergeschlagenen Streiks von 1970, dei denen 80 Arbeiter getötet wurden, erstmals öffentlich in Erscheinung. Wałęsas ist damals 27 Jahre alt. Er gilt als einer der Anführer des Streiks und wird verhaftet. In diesem Arrest kommt er auch mit dem polnischen Geheimdienst in Kontakt. Es bleibt nicht das einzige Mal. Nach einer weiteren Streikaktion 1976 wurde Lech Wałęsa fristlos entlassen.

Freie Gewerkschaft gegründet

Bei neuen Streiks 1980 fordern die Arbeiter der Leninwerft unter anderem erfolgreich, dass Wałęsa wieder eingestellt wird. Am 30. August 1980 einigt sich das kommunistische Regime mit den Streikenden – jubelnde Arbeiter tragen Lech Wałęsas auf den Schultern zurück zur Werft.

Lachende Menschen tragen in einer Menschenmenge einen Mann auf ihren Schultern.
30.08.1980: Arbeiter auf dem Weg zur Lenin-Werft mit Lech Walesa auf den Schultern Bildrechte: picture alliance/dpa | Jorma Puusa

Das Danziger Abkommen

Tags drauf unterschreibt Lech Wałęsa ein Abkommen mit der kommunistischen Regierung über die Gründung freier Gewerkschaften. Wałęsas Kommentar: "Wir haben alles erreicht, was sich in dieser Situation erreichen ließ". Im September 1980 wird die Solidarność gegründet – die erste unabhängige Gewerkschaft im sowjetischen Machtbereich. Die Gewerkschaft wird zur Massenbewegung mit bald zehn Millionen Mitgliedern, mit Lech Wałęsa an der Spitze.

Das Blatt wendet sich – Kriegsrecht in Polen

Doch schon im Dezember 1981 dreht sich das Blatt wieder gegen die Arbeiterbewegung – der polnische Staat- und Parteischef Wojciech Jaruzelski verhängt das Kriegsrecht und verbietet die Gewerkschaft Solidarność. Ihre Führer werden verhaftet. Dennoch kommt es am zweiten Jahrestag der Gewerkschaftsgründung, dem 31. August 1983, zu Unruhen in Warschau.

Friedensnobelpreis – in Abwesenheit verliehen

Im Herbst 1983 wird Wałęsa mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet – doch zur Verleihung am 10. Dezember reist seine Ehefrau Danuta mit dem 13-jährigen Sohn nach Oslo. Wałęsa fürchtet, dass ihm die Rückkehr nach Polen verweigert wird, dass er ähnlich wie Wolf Biermann in der DDR ausgebürgert werden könnte. In jenem Jahr hagelt es regelrecht Auszeichnungen für Wałęsa – das Signal ist klar: Der polnischen Gewerkschaftsführer findet international Beachtung.

Die Ehefrau des polnischen Arbeiterrechtlers, Danuta Walesa, und ihr Sohn Bogdan nehmen den Friedensnobelpreis am 10. Dezember 1983 in Oslo stellvertretend entgegen, rechts der Vorsitzende des Nobelpreiskomitees in Stockholm, Egil Aarvik.
Oslo, 10. Dezember 1983: Danuta Wałęsa mit Sohn Bogdan nimmt den Friedensnobelpreis für ihren Mann entgegen. Bildrechte: picture-alliance / dpa | NTB

Mitte 1988 geht eine neue Streikwelle durch Polen, angeführt von der weiter verbotenen Gewerkschaft Solidarność. Jaruzelskis Regierung stimmt im Februar 1989 Gesprächen mit der Opposition zu. Ein Runder Tisch im April 1989 führt zu teilweise freien Wahlen. Solidarność gewinnt am 4. Juni 1989 alle Sitze, die ihr nach der Vereinbarung maximal zustehen, und die Kommunisten rücken in die Opposition.

Vom Elektriker zum Staatsmann

Lech Wałęsa wird 1990 Präsident von Polen – er ist der erste demokratisch gewählte seit 1945. Nach fünfjähriger Amtszeit wird er jedoch nicht wiedergewählt.

Geheimdienstvorwürfe gegen LechWałęsa

Lech Wałęsas Verdienste für die polnische Geschichte sind nach wie vor unumstritten. Auch Vorwürfe wegen Spitzeltätigkeiten gegen Wałęsa sind nicht neu. Im Jahr 2000 sprach ihn ein Gericht vom Vorwurf der Spitzeltätigkeit frei, doch Politiker der 2005-2007 und 2015-2023 regierenden PiS-Partei hält es nicht davon ab, daran festzuhalten.

Lech Wałęsa kämpft um seine Ehre. Er bestreitet, jemanden an den Geheimdienst verraten oder Geld bekommen zu haben. Er habe zwar nach der blutigen Niederschlagung des Streiks 1970 mit Leuten vom Sicherheitsdienst geredet – aber nur, um die Lage zu entschärfen.

Im März 2016 werden neue Vorwürfe laut: Das regierungsnahe "Institut für Nationales Gedenken" legt Papiere über Wałęsas angebliche Spitzeltätigkeit unter dem Decknamen "Bolek" vor und macht die Akten öffentlich zugängig – jedoch ohne vorherige Echtheits-Prüfung.

In Polen demonstrieren im Frühjahr 2016 tausende Menschen für Wałęsas Ehre, den sie als ihren Kämpfer für die Freiheit verheren. Sie sehen im Streit um Wałęsas Rolle bei der Soldarność-Bewegung einen Versuch der nationalkonservativen PiS-Regierung, die Geschichte in deren Sinne umzuschreiben, die Demokratie einzuschränken, Wałęsas Ruf zu schädigen und ihn als Marionette des Geheimdinstes zu diskreditieren.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 31. August 2020 | 21:45 Uhr

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