1919: "Die Formgeschichte des Evangelismus" erscheint Martin Dibelius

(1883-1947)

21. August 2007, 15:56 Uhr

Dass er Theologe werden wollte, erschien Martin Dibelius schon seit seiner Jugend selbstverständlich. Der Großvater mütterlicherseits war Oberkonsistorialrat in Dresden gewesen und die aus Pommern stammende väterliche Familie hatte zahlreiche Theologen hervorgebracht. Der Vater, Franz Wilhelm Dibelius war seit 1874 Pfarrer an der Dresdner Annenkirche, wo er zum ersten Mal in Sachsen einen Kindergottesdienst einrichtete. Im Pfarrhaus der Annenkirche wurde Martin Dibelius am 14. September 1883 als einziges Kind seiner Eltern geboren. Die Mutter starb, als Martin vier Jahre alt war, so dass der Vater, der bald wieder heiratete, zur bestimmenden Figur für Martin wurde.


Im Jahre 1884 wurde Franz Dibelius Superintendent an der Kreuzkirche und war schließlich seit 1910 Oberhofprediger in Dresden. Als Superintendent wohnte Franz Dibelius mit seinem Sohn nahe der Kreuzkirche, so dass Martin Augenzeuge ihres Brandes wurde. "Der Brand des Gotteshauses am 16. Februar 1897 bildete eines meiner nachhaltigsten Jugenderlebnisse", erinnerte er sich später.

Nach Abschluss des Kreuzgymnasiums in Dresden studierte Martin Dibelius Theologie und Philosophie in Leipzig, Tübingen und Berlin. 1905 bestand er in Leipzig sein erstes theologisches Examen, erwarb im gleichen Jahr den philosophischen Doktorgrad in Tübingen und habilitierte sich schließlich 1909 in Berlin, wo er ab 1910 als Privatdozent an der Universität lehrte. Nach fünf Jahren wurde er an die Universität Heidelberg berufen. Dort las er fortan bis zu seinem Tode "Neues Testament" an der Theologischen Fakultät.

Seine Interessen gingen allerdings über die Grenzen des eigenen Faches hinaus. Dibelius schrieb nicht nur zu neutestamentlichen Themen, sondern auch über Friedrich Schiller, Richard Wagner, Johann Sebastian Bach und Friedrich Nietzsche. Dibelius versuchte die alte christliche Überlieferung des Neuen Testaments mit der Welt seiner Zeit in Verbindung zu bringen. Ziel seiner Forschungen war es einerseits, das Christentum und seine frühe Erscheinungsform historisch zu verstehen, andererseits aber auch die christliche Botschaft in die Gegenwart zu übersetzen.

Dem historischen Verständnis des Neuen Testamentes dienten Dibelius' Forschungen zur "Formgeschichte" der Evangelien und der Apostelgeschichte, deren Grundgedanken er 1919 in der Schrift "Die Formgeschichte des Evangeliums" vortrug. Der formgeschichtliche Forschungsansatz ist seither mit dem Namen Dibelius’ verknüpft. Stilistische Unterscheidungsfähigkeit erachtete Dibelius dabei als grundlegend zum Verständnis von Literatur und insbesondere des Neuen Testaments.

Daneben lagen Dibelius vor allem Fragen der Ethik am Herzen. Nach seiner Überzeugung musste jede christliche Generation eine neue Ethik schaffen, "aus dem Motiv des christlichen Ethos heraus, aber auch im Durcharbeiten der zeitbedingten Verhältnisse."

Dibelius selbst nahm an den sozialen und politischen Fragen vor allem zur Zeit der Weimarer Republik regen Anteil. Bereits während des Studiums in Leipzig in den Jahren 1904/05 hatte der Politiker und Pfarrer Friedrich Naumann großen Eindruck auf ihn gemacht. Später stand Dibelius der von Naumann im Jahre 1918 mitbegründeten liberalen Deutschen Demokratischen Partei nahe. Indem er 1925 vor der Wahl Paul von Hindenburgs zum Reichspräsidenten warnte und stattdessen den Kandidaten der Zentrumspartei, Wilhelm Marx, unterstützte, befremdete Dibelius viele seiner konservativen Kollegen. Dibelius gehörte auch zu den 127 Theologieprofessoren, die 1934 den nationalsozialistischen Reichsbischof Ludwig Müller zum Rücktritt aufforderten.

Ansonsten zog sich Dibelius während des Dritten Reiches in die Wissenschaft zurück und enthielt sich weitgehend politischer und kirchenpolitischer Stellungnahmen. Nach Kriegsende wurde er von der amerikanischen Militäradministration zusammen mit einigen anderen zum Wiederaufbau der Universität Heidelberg herangezogen. In den Jahren 1927/28 und 1929 hatte sich Dibelius bereits einen Namen als Rektor der Heidelberger Universität gemacht.

Schon seit 1944 war Dibelius an einer Lungentuberkulose erkrankt, die zu einem langen Krankenhausaufenthalt führte. Während einer Reise nach Zürich im Januar 1947 schien er sich gut zu erholen. Kurze Zeit später schrieb er: "Es geht mir recht wohl und ich habe Lust zur Arbeit." Doch sein Gesundheitszustand verschlechterte sich erneut und er wurde bettlägerig. Am 11. November 1947 ist Martin Dibelius in Heidelberg gestorben.

Der damalige Prorektor der Universität, Hans Freiherr von Campenhausen, würdigte Dibelius als "Stern erster Ordnung". Der gebürtige Sachse sei ein Gelehrter gewesen, "der nicht nur seinem Schreibtisch, auch nicht nur seinen vielen, dankbar an ihm hängenden Schülern und Freunden, sondern der ganzen Welt auch des öffentlichen, sozialen und künstlerischen Lebens angehörte."