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Dominikaner-Pater Gordian Landwehr am 24. November 1994 vor der Kirche St. Albert in Leipzig. Bildrechte: ddp

Interview mit Dominikaner-Pater Gordian LandwehrSprengung der Paulinerkirche

30. Mai 2018, 13:26 Uhr

Der Dominikaner-Pater Gordian Landwehr war ein äußerst beliebter Jugendprediger in der Paulinerkirche gewesen. Pater Gordian protestierte gegen die geplante Zerstörung und war auch Augenzeuge der Sprengung der Kirche am 30. Mai 1968. Kathrin Aehnlich führte 1992 das folgende Gespräch mit dem 1998 verstorbenen Geistlichen.

Die Pauliner- oder Universitätskirche war über fünf Jahrhunderte ein Wahrzeichen Leipzigs gewesen. Und hat auch schlimme Kriege überstanden...

Die Universitätskirche hat tatsächlich Jahrhunderte überdauert. Sie hat den Siebenjährigen Krieg, den Dreißigjährigen Krieg überdauert, sie hat den Ersten und den Zweiten Weltkrieg überlebt und es ist dann dem Sozialismus vorbehalten geblieben, diese Kirche zu zerstören. Und das ist geschehen am 30. Mai 1968.

Was war das Besondere an der Universitätskirche?

Die Universitätskirche war eine ausgesprochene Predigtkirche. Man hatte als Prediger die ganze Kirche vor sich, die Gläubigen waren nicht durch Säulen vom Prediger getrennt und es kam hinzu, daß sie eine sehr große Empore hatte, die ungefähr 1.600 Gläubige fassen konnte. Und die Universitätskirche lag auch ungemein günstig, genau im Zentrum der Stadt, dort kamen fast alle Straßenbahnen zusammen und schütteten förmlich die Leute aus, die dann in die Kirche strömten.

Wie kam es zum Beschluss, die Kirche zu beseitigen?

Es war so, dass eines Tages Jugendliche nach meiner Predigt in der Universitätskirche auf den Karl-Marx-Platz strömten. In genau diesem Augenblick, so ist mir damals berichtet worden, wurde eine SED-Veranstaltung in der Oper beendet, in der Walter Ulbricht zu seinen Genossen gesprochen hatte. Und dann stand Ulbricht vor der Universitätskirche und sah die vielen Jugendlichen. Er fragte seine Leute: Was geht da vor sich? Man sagte ihm, dass diese Jugendlichen an einer Predigt in der Universitätskirche teilgenommen hatten. Und daraufhin soll Ulbricht erklärt haben:

Das Ding muss weg! Wenn ich aus der Oper komme, will ich keine Kirche sehen!

Wer hat die Zerstörung der Kirche letztlich beschlossen?

Die Zerstörung der Universitätskirche war von den Leipziger Stadtverordneten auf Geheiß Ulbrichts beschlossen worden, weil auf dem Karl-Marx-Platz ein "sozialistisches Zentrum" errichtet werden solle und die Universitätskirche dabei im Wege stehe. Deswegen müsse sie abgerissen werden, hieß es zur Begründung.

Gab es Proteste gegen diese Pläne?

Es kamen sehr viele Leute, nicht nur Gläubige, Abend für Abend auf dem Karl-Marx-Platz zusammen und haben gegen die geplante Zerstörung der Universitätskirche demonstriert. Da sind jeden Abend Tausende von Menschen zusammengekommen. Ich habe selber an solchen Demonstrationen teilgenommen. Ich erinnere mich noch an den Abend vor der Sprengung. Ich war kaum auf dem Karl-Marx-Platz angekommen, da kamen schon einige Leute des Staatssicherheitsdienstes auf mich zu und forderten mich auf, sofort den Karl-Marx-Platz zu verlassen. Ich habe ihnen gesagt: Ich denke überhaupt nicht daran! Da haben sie gesagt: Bitte verlassen Sie den Karl-Marx-Platz, Sie haben mit sehr unangenehmen Folgen zu rechnen, wenn Sie unseren Anweisung jetzt nicht Folge leisten. Dann hab' ich gesagt: Ich denke, Sie werden Verständnis dafür haben, dass ich heute Abend hier bin. Ich habe erfahren, dass Sie die Absicht haben, diese Kirche zu zerstören. Diese Kirche gehört uns, wir haben diese Kirche gebaut, meine Mitbrüder haben sie gebaut, und sie werden Verständnis dafür haben, dass, wenn ich schon die Zerstörung nicht verhindern kann, ich wenigstens dabei sein will, wenn das geschehen wird.

Wie haben Sie die Sprengung erlebt?

Die Sprengung der Universitätskirche am 30. Mai 1968. Bildrechte: IMAGO / epd

Die Universitätskirche hob sich einige Meter hoch und brach dann in sich zusammen und anschließend war eine Wolke, eine riesige Staubwolke, die sich ausbreitete. Und es dauerte eine ganze Zeit, bis diese Staubwolke sich dann allmählich auflöste. Doch was die Leute dann erlebt haben, das ist für sie unvergesslich geworden, das ist für sie wie eine Vision gewesen - da stand plötzlich eine andere Kirche fast an ihrer Stelle, eine Kirche, die man bis dahin nicht gesehen hatte, nämlich die Nikolaikirche. Sie war bis dahin von der Universitätskirche verdeckt gewesen, und als jetzt die Universitätskirche beseitigt war, stand förmlich die Nikolaikirche an ihrer Stelle. Und wir wissen, welche Bedeutung die Nikolaikirche später gewonnen hat: Dort haben 1989 die Friedensgebete stattgefunden und von dort ist die friedliche Revolution ausgegangen, die dann letztlich zur deutschen Wiedervereinigung geführt hat.

Das Interview wurde 1992 geführt.

Über dieses Thema berichtete der MDR im TV in "Zeitreise Spezial - Die Paulinerkirche27.05.2018 | 22:05 Uhr