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Fluch und Segen: Der Spitzen-Boom in Plauen

03. Juli 2020, 13:33 Uhr

Einst waren die filigranen Muster aus Spitze das Statussymbol der Reichen und Schönen. Für eine kleine Stadt im beschaulichen Vogtland war die Spitze Garant wirtschaftlichen Erfolgs und machte Plauen zur Großstadt. Mit Leidenschaft und Einfallsreichtum, aber auch mit List und Tücke führten ihre Macher die Plauener Spitze zu Weltruhm. Eine Geschichte vom Aufstieg und Fall der mitteldeutschen Stickmetropole.

Spitze in all ihren Variationen war früher nicht nur Mode, sondern vielmehr Statussymbol der Reichen und Schönen. Bereits im 16. Jahrhundert wurde in Europa die Kleidung mit filigranen Mustern aus durchbrochenem Stoff veredelt. In mühevoller Handarbeit wurden die unterschiedlichsten Formen meist in Heimarbeit hergestellt. Die Technik hielt sich Jahrhunderte und auch ihre gesellschaftliche Bedeutung: Neben Schmuck und Edelsteinen brachte man mit dem Tragen von teurer Spitze seinen Reichtum zum Ausdruck. Gerade die bürgerlichen Damen des 19. Jahrhunderts wollten sich nur allzu gern daran orientieren. Wie sich die Mode in den Jahrhunderten auch änderte, Spitze war bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ein Dauerbrenner und für die Produzenten ein sicheres Einkommen.

Mit List und Tücke zur Maschinenspitze

Gewoben und gestickt wurde in ganz Europa: von Irland bis Italien, von Frankreich bis in das sächsische Erzgebirge - und natürlich im Vogtland. Unterschiedliche Arten von Spitze und Stickereien entstanden, aber sie alle wurden bis weit ins 19. Jahrhundert hinein mit der Hand produziert. Doch Handarbeit war nicht nur teuer und aufwendig, sie konnte schließlich auch die Nachfrage nicht mehr befriedigen. Die Lösung waren neuartige Strickmaschinen, die es bis dahin nur in der Schweiz gab.

Sie waren natürlich elektrisiert und sahen Absatzchancen für das, was in Plauen und im Vogtland ohnehin gemacht wurde: Die Produktion von Spitze in Heimindustrie. Und es wurde nach Möglichkeiten gesucht, diese Spitze billiger und schneller in größeren Quantitäten auch zu erzeugen.

Gisela Mettele, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Der Fabrikant Fedor Schnorr war es, der die Maschinenspitze nach Plauen brachte. Plauener Stick- und Webarbeiten waren schon damals über das Vogtland hinaus bekannt und gefragt. Aber wie konnte man an eine dieser Schweizer Stickmaschinen kommen? Schnorr versuchte auf allen erdenklichen Wegen, eine Maschine nach Plauen zu bringen, doch leider ohne Erfolg. Die Schweizer wussten um ihr Monopol und hielten ihre Entwicklung geheim. Erst der Chemnitzer Student Albert Voigt brachte 1856 dem Plauener Fabrikanten die Lösung: Er hatte in der Schweiz mit Strickmaschinen gearbeitet und konnte den richtigen Kontakt vermitteln. Bei Nacht und Nebel brachte er Schnorr nicht nur zwei der begehrten Stickmaschinen, sondern schmuggelte auch den Schweizer Stickmeister Friedrich Roth samt Familie über den Bodensee.

Man muss, etwas verschämt vielleicht, aber doch ehrlich sagen: Eins der großen Erfolgsgeheimnisse der mitteldeutschen Industrialisierung war der Know-how-Klau, den mitteldeutsche Unternehmer, und zwar richtig professionell und ganz knallhart einkalkuliert, anderswo in Europa betrieben haben.

Ulf Morgenstern, Otto-von-Bismarck-Stiftung Friedrichsruh

Der Spitzen-Boom bricht aus

Was für die Schweizer Spionage und Hochverrat war, führte die Plauener Fabrikanten in eine Goldene Zeit: Die Stickmaschinen wurden nachgebaut, Werkstätten und Fabriken eröffnet und Plauen wurde die Spitzenmetropole überhaupt. Neue Verfahren wurden entwickelt und internationale Preise gewonnen.

Diese Erfindung der Plauener Spitze war in den 1880er-Jahren etwas Einmaliges. Und etwas, das diese heute wieder kleine Stadt riesengroß, reich und zu einem Mekka der spitzenbegeisterten Welt des ausgehenden 19. Jahrhunderts werden ließ.

Ulf Morgenstern

Plauen wuchs und wuchs, ganze Menschenmassen zog der Spitzen-Boom in die einst so kleine Stadt und ihre Fabriken. Kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert hatte Plauen bereits über 100.000 Einwohner, mehr als Erfurt in dieser Zeit.

Es kamen Handelsreisende aus aller Herren Länder nach Plauen, die stiegen dort standesgemäß in ordentlichen Hotels mit Weltniveau ab. Die hatten ihre Vertretungen dort, sogar die Vereinigten Staaten, die aufstrebende Wirtschaftsmacht des 19. Jahrhunderts, hatten ihr eigenes Konsulat in Plauen. Unvorstellbar heute.

Ulf Morgenstern,

Plauen war nun, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, eine Großstadt und hatte neben Fabriken und Werkstätten auch einen Amüsierbetrieb. Man wollte in Plauen nicht nur Geld verdienen, man wollte es auch zeigen und ausgeben. Die fast 140 Millionäre und die Gäste der Stadt gastierten in Luxus-Hotels, Restaurants und bisweilen auch in Bordellen.

Der schnelle Fall der Spitzen-Metropole

Doch so schnell, wie den Fabrikanten und ihrer Stadt der Aufstieg gelang, so schnell platze auch der Traum vom ewigen Reichtum durch die Spitze. Der Erste Weltkrieg versetzte den Plauener Stickerei-Baronen den ersten Schlag, die internationalen Absatzmärkte brachen zusammen. Die Goldenen Zwanziger beendeten den Erfolg der Plauener Spitze endgültig: Von Paris aus revolutionierten nun schlichte und elegante Formen die Modewelt, da hatte Spitze aus Plauen keinen Platz mehr.

Das große Problem für Plauen war natürlich, dass der Reichtum und der Boom nur auf einer einzigen Industrie, einer einzigen Sparte beruhte, nämlich der Spitze.

Gisela Mettele

Die Plauener und ihr Spitzen-Fest

Seit 1955 feiern die Plauener mit einem mehrtägigen Fest ihr Spitzen-Produkt. Ausfallen musste es seither nur zweimal - nämlich 1960 und 1996 als Plauen die Arbeiterfestspiele der DDR ausrichtete. 1972 wurde beim Spitzenfest ein Trabant als Hauptgewinn einer Tombola verlost: 117.000 Lose wurden verkauft - bei nur gut 81.000 Einwohnern.

Seit 1996 wird dabei auch eine "Spitzen"-Prinzessin gekürt, die sich bestens mit der Plauener Spitze auskennen muss.