Tradition im Osten VERO: Die legendären Spielzeugmacher aus dem Erzgebirge

Im Erzgebirge blickt man auf eine lange Tradition in der Herstellung von Holzspielzeug zurück. Das Kombinat Holzspielwaren VERO Olbernhau- entstanden aus der Zwangskollektivierung vieler kleiner Familienbetriebe und Zentrum der Spielzeugfabrikation der DDR übersteht die politische Wende nicht. Doch Mut und Glaube an das eigene Können ermöglichen den Handwerkern rund um Olbernhau einen Neuanfang.

Dieses Spielzeug hat vielen Generationen von Kindern leuchtende Augen beschert – der Baukasten "VERO construc", die Programme "VERO elementar" und "VERO scola" die kleinen Werkbänke für Kinder, die Holzfahrzeuge, die Puppenhäuser und Mini-Tankstellen sowie das gewaltige Sortiment für den Eisenbahn-Modellbau. Hergestellt wurde alles im Erzgebirge, im VEB Vereinigte Spielwarenwerke VERO Olbernhau, dem größten Spielwarenhersteller der DDR.

Das Erzgebirge kann wie kaum eine andere Region in Deutschland auf eine einzigartige Tradition in der Herstellung von Holzspielzeug verweisen. Aus der Not der Bergleute von einst geboren, entwickelte sich die Holzkunst zu einem bedeutenden Kapitel ostdeutscher Industriegeschichte.

Aufgegangen im Kombinat, aufgelöst nach der Wende

VERO entsteht ab 1966 durch die Zwangskollektivierung unzähliger kleiner Familienbetriebe. Zwanzig Jahre später sind es 99 Produktionsstätten, in denen rund 3.300 Mitarbeiter mehr als 1.000 Artikel herstellen. Bis 1990 gibt es kaum ein Kinderzimmer ohne VERO – in beiden Teilen Deutschlands. Aber nur ein Jahr später ist das einst so erfolgreiche Kombinat vollständig liquidiert.

Unser Schreibtisch wurde verkauft, unsere Stühle, auf denen wir noch saßen, waren bereits verkauft, da klebten schon Zettel dran, wer die dann abholt. Das möchte ich eigentlich nicht noch mal erleben

Birgit Uhlig, Ehemalige VERO-Mitarbeiterin

Einige Betriebe können reprivatisiert werden – und nur deshalb lebt die lange Tradition der Spielzeugproduktion in Sachsen bis heute weiter. Mut und Glaube an das eigene Können haben den Handwerkern aus dem Erzgebirge das Überleben ermöglicht.

Die Spielzeugmacher von Olbernhau und ihre Geschichte

Rund um Olbernhau im Erzgebirge gibt es noch Spielzeugmacher, die eng mit ihrer Region und der Tradition des Holzspielzeugbaus verbunden sind. Wir stellen sie und ihre Geschichte kurz vor.

Olbernhau
Olbernhau, die Stadt der sieben Täler. Seit dem Mittelalter geprägt vom Bergbau,
wird sie zum Zentrum des Holzspielzeugbaus im Erzgebirge.
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
VERO Olbernhau
Die Figurenbildnerei hat eine lange Tradition im Erzgebirge. Auch in der Manufaktur von Kerstin Drechsel... Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
VERO Olbernhau
Ihr Vater, Dr. Helmut Flade war einer der Mitbegründer von VERO Olbernhau und leitete mehr als 20 Jahre die Entwicklungsabteilung der legendären Spielzeugfabrikation. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
VERO Olbernhau
Auch Günter Reichel arbeitete bei VERO als Maschinenbauer und Konstrukteur. Heute betreibt er zusammen mit Frau und Sohn seine eigene Figurenbildnerei. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
VERO Olbernhau
Bernd Scheithauer war einer der kreativen Köpfe der VERO. Entscheidende Innovationen in der Spielzeugentwicklung kamen von ihm. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
VERO Olbernhau
Katharina Scheithauer: "Es war gleich am Anfang, nachdem er von der Fachschule hierher ins Erzgebirge gekommen ist, das Thema: Wie kann ich Bausteine flexibel miteinander verbinden. Und das war eigentlich das Thema über die Jahrzehnte. " Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
VERO Olbernhau
Bereits seit 1885 wird bei der Firma Auhagen gepresst, bedruckt, gefaltet. Das traditionsreiche Familienunternehmen stellt in Marienberg seit den 1950er-Jahren auch Zubehör für Modelleisenbahnen her. Herrin über das Marienberger Modellbau-Unternehmen ist in vierter Generation Ute Hofmann-Auhagen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Olbernhau
Olbernhau, die Stadt der sieben Täler. Seit dem Mittelalter geprägt vom Bergbau,
wird sie zum Zentrum des Holzspielzeugbaus im Erzgebirge.
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Sie leitet die Olbernhauer Werkstätten. Die zahlreichen Miniaturen, die in Kerstin Drechsels Manufaktur entstehen erzählen auch von einem bedeutenden Erbe.... Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
VERO Olbernhau
Dr. Helmut Flade gilt bis heute als einer der bedeutendsten Spielzeugdesigner des Erzgebirges. Die Haartracht aus Flachs, die viele seiner erfolgreichen Entwürfe charakterisiert, kreiert seine Frau Traute. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
VERO Olbernhau
Helmut Flade verlässt den VEB VERO bereits 1987. Dann kommt die Wende und Helmut Flade gründet 1990 in Olbernhau die Flade Werkstätten, die vier Jahre später neue Werkräume beziehen... Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
VERO Olbernhau
Heute führt Kerstin Drechsel gemeinsam mit ihrem Sohn Florian die Manufaktur, die inzwischen zwölf Angestellte beschäftigt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
VERO Olbernhau
In seinem Betrieb werden Schutzengel für jede Gelegenheit – groß und klein und mit unterschiedlichen Botschaften gefertigt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
VERO Olbernhau
Für die Entwürfe seiner Schutzengel greift Günter Reichel auf alte VERO- Verbindungen zurück: seit Mitte der 90er-Jahre arbeitet er mit einem Designer zusammen, der früher auch im Kombinat arbeitete. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
VERO Olbernhau
Auch Friedmar Gernegroß arbeitete bis 1983 in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung der VERO. Dann muss er den elterlichen Betrieb übernehmen. Noch heute ist er als Spielzeugmacher tätig.
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VERO Olbernhau
Katharina Scheithauer war ab Ende der 1980er- Jahre bei VERO. Heute verwaltet sie für die Museen in Olbernhau und Seiffen den Nachlass ihres Vaters Bernd, der 2011 verstarb. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
VERO Olbernhau
1972 trifft auch die Auhagens der Enteignungs-Beschluss der DDR-Führung. Im Eilverfahren wird aus Auhagens Familienbesitz der VEB Modellspielwaren Marienberg. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
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Neuanfang nach Mauerfall

So erzählen die zahlreichen Miniaturen, die in Kerstin Drechsels Manufaktur entstehen, von einem bedeutenden Erbe. Ihr Vater, Dr. Helmut Flade war einer der Mitbegründer von VERO Olbernhau und leitete mehr als 20 Jahre die Entwicklungsabteilung der legendären Spielzeugfabrikation. Viele Ideen der DDR-Kreativ-Schmiede gehen auf ihn zurück. 1987 sieht Helmut Flade zunehmend sein Lebenswerk demontiert und verlässt VERO – in eine ungewisse Zukunft.

Ich weiß das noch ganz genau, wie er nach Hause kam – ich habe da noch zuhause gewohnt. Er sagte, er würde am nächsten Tag kündigen, er macht das nicht mehr mit. Er ist mit dieser Entscheidung ins kalte Wasser gesprungen, und im Nachhinein muss ich da immer wieder den Hut ziehen, wie man so standhaft sein kann, seine Prinzipien nicht zu verraten.

Kerstin Drechsel
VERO Olbernhau
Der heutige Familienbetrieb ist in Olbernhau. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Nach dem Mauerfall nutzten Vater und Tochter ihre Chance und bauen gemeinsam ein eigenes Unternehmen auf. Heute beschäftigt die kleine Olbernhauer Manufaktur 12 Mitarbeiter.

Bestellt vom japanischen Kaiserhaus

Mit dem Ende von VERO beginnt in Neuhausen - östlich von Olbernhau - die Geschichte von Sina Spielzeug. Barbara Seidler ist 16 Jahre lang als Sekretärin in den Olbernhauer Spielwarenwerken tätig. Dann wagt sie den Schritt in die Selbstständigkeit: Als Autodidaktin entwirft sie Lernspielzeuge – ihre klingenden Bausteine begeistern sogar die Kinder im japanischen Kaiserhaus.

VERO Olbernhau
Die klingenden Bausteine der Firma Sina Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Seit es die klingenden Bausteine bei Sina gibt, waren die japanischen Kunden sehr angetan von diesem Spielzeug. Wenn im japanischen Kaiserhaus Dinge geliebt werden, dann möchten die Japaner auch alle das Produkt haben und da begann ein regelrechter Run auf diese Bausteine.

Barbara Seidler

"Die Tradition aufrecht zu erhalten, ist was Schönes"

Der Werkzeugbauer und erfolgreiche VERO-Konstrukteur Günter Reichel steht heute mit 67 Jahren immer noch selbst an der Drehbank, wenn es darum geht, für seine Schutzengel das nötige Rüstzeug zu drechseln. Sein Know-how hat er noch in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung (F&E) beim VEB VERO erworben.

Die Zeit, die ich bei F&E gearbeitet habe, und dort dabei sein durfte: Ohne diese Zeit wäre das hier vielleicht nicht möglich gewesen. Und die Holzkunst ist nun mal aus dem Bergbau hier bei uns im Gebirge entstanden und zum großen Erwerbszweig vieler geworden. Und sich daran zu beteiligen und die Tradition hier in so einem Landstrich aufrecht zu erhalten - denk ich, ist etwas Schönes.

Günter Reichel
VERO Olbernhau
Die Figuren werden in Handarbeit gefertigt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Auch Ute Hofmann-Auhagen blickt auf eine lange Tradition zurück. Ihre Familie nimmt bereits 1885 eine Holzstoff- und Pappenfabrikation in Betrieb. Sie ist gerade 15 Jahre alt, als sie miterleben muss, wie das Lebenswerk ihres Vaters 1972 enteignet und in das Kombinat VERO eingegliedert wird. Gemeinsam mit ihrem Vater setzt sie ab 1990 die Reprivatisierung des einstigen Familienunternehmens durch. Heute gehört die Firma Auhagen zu den erfolgreichsten Modellbau-Herstellern Europas.

Ich bin ja hier aufgewachsen, die Firma war ja im Grunde mein Spielplatz. Also irgendwie steckte da was drin, da war ein Virus gesetzt. Und da bin ich schon stolz drauf, dass alles kontinuierlich gelaufen ist und wir am Markt doch wieder den Namen haben. Obwohl wir 18 Jahre in der Anonymität waren.

Ute Hofmann-Auhagen

Holzfiguren, Baukästen, Lernspielzeug, Lichthäuser – was im Erzgebirge gefertigt wird, ist nach wie vor ein Markenzeichen und wird weit über Europas Grenzen hinweg geschätzt.

Dieser Artikel wurde im Januar 2019 erstmals veröffentlicht.
Der Film "VERO – Die legendären Spielzeugmacher aus dem Erzgebirge" ist von Kerstin Holl und abrufbar in der ARD Mediathek.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Der Osten - entdecke, wo Du lebst | 18. Oktober 2022 | 21:00 Uhr