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Frauenbild und Mutterkult der Nazis - Hitler mit einer deutschen Mutter Bildrechte: IMAGO / United Archives International

Mutterkult im Dritten Reich"Karnickelorden" zum Muttertag: Das Frauenbild der Nazis

14. Mai 2023, 05:00 Uhr

Mutterkult unter den Nationalsozialisten: Da sollten die Frauen in erster Linie Kinder gebären – je mehr, desto besser. Ab 1938 winkte dafür das Mutterkreuz als Auszeichnung. Verliehen wurde es – im Volksmund auch "Karnickelkreuz" genannt – am Muttertag, den die Nazis nach der Machtergreifung schnell für sich vereinnahmten und 1934 offiziell zum Feiertag erklärten.

Das Idealbild der Frau im Nationalsozialismus ist die deutsche Mutter, die ihre Aufgabe, so der Nazijargon, "in der Reproduktion des deutschen Volkskörpers" und in der Erfüllung der häuslichen Tätigkeiten sieht. Endlich, so scheint es, wird die "biologische Funktion" der Frau vom Staat gebührend anerkannt. "Mutter, Deine Söhne sind die Zukunft des Staates", propagieren die Nazis.

Es hat sicher eine Menge Frauen gegeben, die das angenehm fanden, dass ihre Leistung in Familie und Haushalt endlich anerkannt wurde, das wäre illusorisch, das abzustreiten.

Kirsten Heinsohn | Historikerin, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg*

NS-Frauenbild: Männer machen Geschichte, Frauen gebären

Frauen arbeiten in der Küche des Mutter-und-Kind-Heims im thüringischen Tabarz. In solchen Heimen kümmerten sich Schwestern um "arische" Mütter und ihrem Nachwuchs. Bildrechte: IMAGO / United Archives

Die deutsche Familie als Keimzelle der Gesellschaft ist fester Bestandteil der Nazi-Propaganda. Das Hohelied auf die Mutter wird im Sinn der Bevölkerungs- und Rassenpolitik gesungen, verbunden mit dem pseudoreligiösen Versprechen, dass "zum besten Volke gehören wird, wer sein Bestes dem Volke gibt". Bei all dem lässt Reichspropagandaminister Joseph Goebbels aber keinen Zweifel daran, dass Männer das Sagen haben und Geschichte machen. Frauen haben die Söhne zu gebären und zu erziehen.

Der Mutterkult ist nichts anderes als die Hochschätzung der Frau als Gebärende, weil das eine wichtige Aufgabe für die Entwicklung des Volkes, des deutschen Volkes ist, im Sinne einer demografischen und rassischen Aufwertung.

Kirsten Heinsohn | Historikerin, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg*

Das Mutterkreuz: "Karnickelorden" zum Muttertag

Adolf Hitler mit einer "deutschen Mutter". Ihr kleines Kind trägt bereits eine SA-Uniform. Bildrechte: IMAGO / United Archives International

Hitler stiftete 1938 das "Ehrenkreuz der Deutschen Mutter", kurz Mutterkreuz. Verliehen wurde es auf öffentlichen Feiern. In Bronze gab es die Auszeichnung mit vier und fünf Kindern. An Kandidatinnen herrschte kein Mangel, lebten doch in rund einem Viertel der Familien in Deutschland damals mindestens vier Kinder. Mit acht Kindern hatte sich eine Frau das goldene Mutterkreuz, die höchste Stufe des "Karnickelordens", verdient. Die Verehrung von Müttern oder ein Mutterkult sind zwar keine Erfindung der Nationalsozialisten, neu ist aber im nationalsozialistischen Deutschland:

... dass es dafür eine staatliche Belohnung gibt, wenn Frauen, bei denen es gewünscht ist, dass sie Mütter werden, das tun und das auch als ihren ausschließlichen Beruf begreifen.

Kirsten Heinsohn | Historikerin, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg*

Krankenschwestern im Mütterheim auf Schloss Dittersbach bei Dresden – es war einer der wenigen "Frauenberufe", die die NS-Ideologie akzeptierte. Bildrechte: IMAGO / United Archives

Die Ehe ist im Nationalsozialismus keine reine Privatangelegenheit mehr, sondern dient dem Fortbestand des deutschen Volkes. Ab 1933 wird das Ehestandsdarlehen gesetzlich eingeführt. Bis zu stattlichen 1.000 Reichsmark gibt es. Die Ehefrau muss sich aber verpflichten, ihre Erwerbsfähigkeit aufzugeben, bis das Geld zurückgezahlt ist. Pro Geburt eines Kindes wird ein Teil des Darlehens erlassen, bei Vieren ist es sozusagen "abgekindert". Zusätzlich werden "Beihilfen" ab dem dritten Kind gezahlt und die Familien erhalten Steuerermäßigungen.

Frauen werden aus dem Berufsleben gedrängt

Leni Riefenstahl war eine der wenigen Frauen, die im Nationalsozialismus in einem von Männern dominierten Beruf Karriere machen konnte. Bildrechte: imago images/AGB Photo

Eine Folge des Mutterkultes und der staatlichen Familienförderung ist jedoch, dass Frauen, vor allem Frauen mit Kindern, aus Arbeitsmarkt und Berufsleben gedrängt werden. Doppelverdiener gibt es bald kaum noch, denn meist hängt die Frau die Erwerbstätigkeit an den Nagel. Die Machthaber schlagen damit zwei Fliegen mit einer Klappe, denn auf diese Weise lässt sich auch die Arbeitslosigkeit verringern. Nur noch die angeblich "typisch weiblichen" Tätigkeiten wie Krankenschwester, Hausgehilfin oder Sekretärin sind erwünscht, akademische Berufe für Frauen dagegen nicht mehr. Die wenigen Ausnahmen, wie etwa "Hitlers Lieblingsregisseurin" Leni Riefenstahl, bestätigen die Regel.

Die Kehrseite: Zwangssterilisationen und Heiratsverbot

Das von Hitler erlassene Gesetz zur "Verhütung erbkranken Nachwuchses" ist die Kehrseite der "Reinhaltung" des deutschen Volkes. Frauen, die den rassischen Ansprüchen der Nationalsozialisten nicht genügen, zum Beispiel wegen einer Behinderung, oft aber auch, weil ihnen "asoziales" Verhalten angehängt wird, dürfen keine Kinder bekommen. Zwangssterilisationen und Heiratsverbot werden für Menschen mit Behinderung und sogenannte Erbkranke angeordnet. Darüber wachen eigens dafür geschaffene Erbgesundheitsgerichte.

Im Vernichtungslager bedeutet Mutterschaft den Tod

1941 beginnt die systematische Ermordung der Juden. Millionen Menschen werden in Viehwaggons nach Auschwitz und in andere Vernichtungslager im Osten transportiert. Es ist der perverse Höhepunkt einer Weltanschauung, der auch die Verlogenheit des nationalsozialistischen Mutterkultes zeigt, denn:

In der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten im Osten bedeutete Mutterschaft: Tod. Sofort. Jede Mutter, die mit einem Kind in Auschwitz angekommen ist, ist sofort selektiert worden und mit ihrem Kind in den Tod geschickt worden.

Kirsten Heinsohn | Historikerin, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg*

Arbeitsdienst für Frauen im Krieg

Für die deutschen Mütter bedeutet der Krieg das Ende ihres Hausfrauendaseins. Dieselben Frauen, denen jahrelang die Rolle als Mutter und Hausfrau angepriesen worden war, werden jetzt zum Arbeitsdienst verpflichtet. In den Rüstungsfabriken leisten sie Schwerstarbeit. Gleichen Lohn wie die Männer erhalten sie nicht. Für ihren Nachwuchs ist nun im Kindergarten gesorgt.

Am Ende, als schon alles verloren ist, schickt Hitler die Kinder, die die Frauen für ihn hatten zur Welt bringen sollen, an die Front, in den Tod. Als der Krieg die deutschen Städte erreicht, ist der Mutterkult längst vergessen – die Frauen kämpfen um das Überleben ihrer Familien.

*Interview in der ARD-Sendung „Geheimnis Geschichte“, 2007
Dieser Artikel wurde erstmals 2019 veröffentlicht.

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 14. Mai 2023 | 21:45 Uhr