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Hitlers EinbürgerungAls der "Führer" beinahe Thüringer geworden wäre

28. August 2022, 21:21 Uhr

1932 will Adolf Hitler für die Wahl zum Reichspräsidenten kandidieren. Doch als Staatenloser darf der "Führer" gar nicht antreten. Hitlers Anhänger versuchen, ihm einen deutschen Pass zu verschaffen, doch erst beim siebten Anlauf klappt es. Dabei wäre Hitler bei einem der gescheiterten Einbürgerungsversuche um ein Haar Thüringer geworden – denn in der Weimarer Republik hat jedes Bundesland eine eigene Staatsbürgerschaft, zusätzlich zu der gesamtdeutschen.

von Wiebke Stedler

Als Adolf Hitler 1932 für die Wahl zum Reichspräsidenten kandidieren will, steht er vor einem Problem: Der selbst ernannte "Führer" des deutschen Volkes ist nicht im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft. Seit Jahren versuchen Hitlers Anhänger, ihm einen Beamtenposten zu verschaffen, denn dadurch wäre er nach damaligem Recht automatisch Deutscher. Die ersten sechs Anläufe scheitern, geraten zu einer regelrechten Posse. Einer dieser gescheiterten Versuche ist mit der thüringischen Kleinstadt Hildburghausen verknüpft.

Ernennung zum Thüringer Gendarmen

Am 12. Juli 1930 überreicht der thüringische Innenminister Wilhelm Frick NSDAP-Führer Adolf Hitler eine Urkunde, die ihn zum Gendarmeriekommissar von Hildburghausen ernennt. Hinter diesem absurden Schritt, dem Vorsitzenden der aufstrebenden NSDAP die Stelle eines niedrigen Beamten anzutragen, steckt ein rein pragmatischer Grund: Wer verbeamtet wird, bekommt nach damaligem Recht automatisch auch die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn er sie bislang nicht besaß.

Wilhelm Frick, der nach den Nürnberger Prozessen auf dem Galgen enden wird, ist zu diesem Zeitpunkt Innenminister von Thüringen. Die NSDAP regiert dort bereits seit 1930 mit. Die Sache soll möglichst geheim bleiben. Nur wenige Tage später überlegt Hitler es sich allerdings anders. Er vernichtet die Ernennungsurkunde und weist Frick an, dasselbe mit der Empfangsbestätigung zu tun. Vermutlich erscheint Hitler die Position eines Provinzbeamten seiner Person unwürdig. Als Scheingeschäft wäre die Ernennung außerdem rechtlich anfechtbar gewesen und hätte zu einem politischen Skandal führen können – wie manche seiner anderen Einbürgerungsversuche.

Wilhelm Frick (zweiter v. r. neben Joseph Goebbels) war der erste Minister der NSDAP in der Weimarer Republik. Frick wurde 1930 in Thüringen Staatsminister für Inneres und Volksbildung und stellvertretender Regierungschef der Koalitionsregierung von Erwin Baum. Diese Regierung wurde unter dem Namen Baum-Frick-Regierung bekannt. 1933 holte Hitler ihn als Innenminister in seine Reichsregierung. Frick war zu diesem Zeitpunkt einer der einflussreichsten NS-Politiker. Er wurde später in den Nürnberger Prozessen zum Tode verurteilt. Bildrechte: imago/Arkivi

Der staatenlose "Führer" der Deutschen

Die fehlende deutsche Staatsbürgerschaft stellt den Nationalsozialisten Adolf Hitler während seiner politischen Karriere in den 1920er-Jahren mehrfach vor Probleme. Als österreichischer Staatsbürger zieht er im Mai 1913 von Wien nach München. Nach dem Hitlerputsch und seiner Verurteilung als Hochverräter, muss er fürchten, als "straffälliger Ausländer" nach Österreich ausgewiesen zu werden. Doch die österreichische Regierung ist nicht bereit, ihn wieder ins Land zu lassen. Hitler rennt deshalb offene Türen ein, als er 1925 um Entlassung aus der österreichischen Staatsbürgerschaft ersucht – die Regierung in Wien ist einen potentiellen Unruhestifter los und Hitler fortan staatenlos.

Um nun die deutsche Staatsangehörigkeit zu erlangen, hat er zwei Möglichkeiten: einen Antrag stellen oder Beamter werden, was ihn automatisch zum deutschen Bürger machen würde. Hitler selbst ist überzeugt, sich den deutschen Pass als "Führer" der Nation mehr als verdient zu haben. Doch die Behörden sehen das anders: Seine Bemühungen, auf offiziellem Wege in Bayern oder Thüringen die Staatsbürgerschaft zu beantragen, scheitern. Hitler bleibt also nur noch die Verbeamtung, um deutscher Staatsbürger zu werden.

Adolf Hitler (stehend) während eines NSDAP-Treffens 1925 in München. Bildrechte: imago/United Archives International

In letzter Minute: Hitlers Einbürgerung in Braunschweig

Am 22. Februar 1932 verkündet Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast unter tosendem Applaus, dass Hitler für das Amt des Reichspräsidenten kandidieren werde. Zu diesem Zeitpunkt wird die fehlende deutsche Staatsbürgerschaft für Hitler zum echten Problem: Denn ohne sie kann er sich nicht zur Wahl aufstellen lassen. Die Zeit wird knapp. Doch im damaligen Freistaat Braunschweig, dem einzigen deutschen Bundestaat neben Thüringen, in dem die NSDAP an der Regierung beteiligt ist, zieht Innenminister Dietrich Klagges alle Register, um seinen Parteivorsitzenden Hitler einzubürgern. Auch hier scheitern zunächst mehrere Anläufe.

Im Januar 1932 will Klagges Hitler noch zum Professor für "Organische Gesellschaftslehre und Politik" an der Technischen Hochschule Braunschweig berufen. Doch die Hochschulleitung weist diesen Schritt entschieden zurück, denn Hitler hat nicht einmal einen Hochschulabschluss vorzuweisen, geschweige denn eine akademische Laufbahn. Klagges gelingt es schließlich, Hitler am 25. Februar 1932 zum Regierungsrat im braunschweigischen Staatsdienst zu ernennen. Da er das Land kaum kennt, soll er aber nicht vor Ort arbeiten, sondern an der Braunschweigischen Gesandtschaft in Berlin. Doch von dieser Tätigkeit lässt er sich schon bald beurlauben – wegen des Wahlkampfs. Denn die Enbürgerung kommt gerade noch rechtzeitig vor der Reichspräsidentenwahl.

Mit deutscher Staatsbürgerschaft zum Wahlerfolg

Dass die Presse wochenlang über Hitlers fehlende Staatsbürgerschaft und seinen gescheiterten Einbürgerungsversuch in Thüringen spottet, scheint seinem Wahlerfolg nicht zu schaden. Zwar wird der sehr beliebte Paul von Hindenburg im Amt bestätigt, allerdings recht knapp. Das Wahlergebnis ist für die NSDAP ein Erfolg: Im ersten Wahlgang am 13. März 1932 kann Hitler elf Millionen Wählerstimmen für sich gewinnen, im zweiten Wahlgang knapp einen Monat später sind es gut 13 Millionen.

Erst ein Jahr später beantragt Hitler, der mittlerweile Reichskanzler ist, die Entlassung aus seinem Beamtenverhältnis in Braunschweig, das er zwar nie so richtig angetreten hat, aber dafür trotzdem Gehalt bezieht. Der Politikwissenschaftler Ulrich Menzel schreibt in einem Aufsatz dazu, dass die Einbürgerung Hitlers wie eine "Provinzposse" erscheint, "obwohl es sich um eine todernste Angelegenheit handelte, die schließlich in der Tragödie Deutschlands enden sollte."

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