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Im Schatten des ehemaligen Verwaltungsgebäudes der HASAG: ein kleines weißes Häuschen als Gedenkstätte für die Zwangsarbeit in Leipzig. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Waffen für die WehrmachtZwangsarbeit in der Rüstungsindustrie: die HASAG – Leipzigs vergessene Waffenschmiede

23. Februar 2021, 04:00 Uhr

Es ist ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte - Zwangsarbeit. Auf dem heutigen Gelände des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung im Leipziger Nordosten produzierte die HASAG vor 80 Jahren Waffen für den "Endsieg" der Nationalsozialisten. Hier war der Hauptsitz des größten sächsischen Rüstungsunternehmens, der Hugo Schneider AG.

Wo heute zum Wohl von Mensch und Umwelt geforscht wird, müssen während des Zweiten Weltkriegs mehr als 10.000 Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge Munition herstellen. Die Leipziger Hugo Schneider AG (HASAG) - ursprünglich eine Lampen- und Metallwarenfabrik - steigt während der NS-Zeit zu einem der größten Rüstungskonzerne im Deutschen Reich auf. Ihre bekannteste Entwicklung ist die Panzerfaust. Ingenieur, Werksleiter und Direktor Edmund Heckler gründet später in der Bundesrepublik die Waffenfirma Heckler & Koch.

Petroleumlampen in alle Welt

Den Anfang nimmt alles Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Produktion von Petroleumlampen. Die Söhne des Firmengründers Hugo Schneider exportieren ihre Produkte in die ganze Welt. Um die Expansion voranzutreiben, wird die Firma 1899 in eine Aktiengesellschaft mit rund 1.200 Mitarbeitern überführt. Doch schon mit Beginn des Ersten Weltkrieges orientiert sich das Unternehmen schnell um.

Bereits im Ersten Weltkrieg hat die HASAG auf Munitionsproduktion umgestellt, im Auftrag des deutschen Heeres, weil sie eben die technischen Möglichkeiten dazu hatten: Das Walzwerk und die messingverarbeitende Fabriken konnten relativ leicht von Lampenproduktion auf Munition umstellen und haben daran in den dreißiger Jahren wieder angeknüpft.

Anne Friebel, Gedenkstätte HASAG, Leipzig

Gedenkstätte für Zwangsarbeit LeipzigPermoserstraße 15
04318 Leipzig
Telefon: +49 (0)341 - 235 2075
E-Mail: gedenkstaette@zwangsarbeit-in-leipzig.de

Für Anne Friebel - wissenschaftliche Mitarbeiterin der Gedenkstätte - ist die HASAG zum wichtigsten Thema ihrer Arbeit geworden. In einem ehemaligen Pförtnerhaus befindet sich der Erinnerungsort für Zwangsarbeit in Leipzig. Es steht im Schatten des mächtigen ehemaligen Verwaltungsgebäudes der HASAG. Eines der wenigen Gebäude, das hier aus der Zeit des Nationalsozialismus noch übrig ist. Die Mitarbeiterin der Gedenkstätte berichtet, dass man sich bei der Hugo Schneider AG schnell mit den neuen Machthabern im Lande zu arrangieren wusste.

Das HASAG-Management hat sich 1933 den neuen Machthabern angedient. Sie haben ihren Vorstand arisiert und sie haben in Leipzig bereits 1934 die erste Werkhalle gebaut, in der geforscht und entwickelt wurde. Zu einer Zeit, als eigentlich noch nicht an Krieg gedacht wurde.

Anne Friebel

Expansion der HASAG

Die Expansion des Konzerns beginnt jedoch schon 1932. In Thüringen kauft die HASAG zwei Glas-und Metallbetriebe. In Berlin-Köpenick wird 1935 eine Munitionsfabrik gebaut. Auch in Sachsen und Brandenburg kommen ab 1936 neue Werke hinzu. In vielen Betrieben wird die Rüstungsproduktion der wichtigste Bereich. Ein Munitionswerk in Altenburg wird 1936 nach modernsten Maßstäben und in kürzester Zeit aus dem Boden gestampft. Finanziert wird die rasante Konzernentwicklung vor allem von der Dresdner Bank.

NS-Musterbetrieb

Entscheidender Mann für den Aufstieg des Leipziger Unternehmens zum Rüstungskonzern ist der Magdeburger Paul Budin. Der glühende Nationalsozialist und Antisemit baut das Unternehmen zum NS-Musterbetrieb um. Budin - Generaldirektor der HASAG ab 1935 - ist ein hochrangiger SS-Mann und Parteimitglied, ehrgeizig und mit besten Verbindungen zu Albert Speer, dem späteren Rüstungsminister.

Budin steht für den ungehemmten Willen zur Expansion und die bedingungslose Unterstützung des Regimes. Und auch die Führungsetage des Unternehmens wird von ihm umstrukturiert: Vorstand, Aufsichtsrat und leitende Positionen werden gezielt mit Partei-und SS-Angehörigen besetzt.

Mitte der dreißiger Jahre wird Edmund Heckler, seit 1933 NSDAP-Mitglied, bei der HASAG eingestellt. Es ist der Mann, der nach Kriegsende im Westen Deutschlands fast unbehelligt die Waffenfirma Heckler & Koch aufbauen kann.

Edmund Heckler war auch Ingenieur bei der HASAG, ab 1935 hat er hier gearbeitet. Heckler war Werksleiter in Taucha und Altenburg und hat diese Werke dann zum Kriegsende hin übernommen als Direktor.

Anne Friebel

Ebenfalls Parteimitglied und Teil der Betriebsleitung ist Wilhelm Renner. Er bringt 1934 Ehefrau Irene und Tochter Hannelore mit nach Leipzig. Sie wird viele Jahre später die Ehefrau von Bundeskanzler Helmut Kohl werden.

Massiver Einsatz von Zwangsarbeitern

September 1939: der Überfall auf Polen. Der Vormarsch der Wehrmacht erhöht auch den Expansionshunger deutscher Rüstungsbetriebe. In kürzester Zeit  übernimmt die HASAG in Skarżysko-Kamienna, Kielce und Częstochowa (Tschenstochau) polnische Maschinen-und Munitionsfabriken.

Doch mit der zunehmenden Einberufung deutscher Arbeiter an die Front fehlen in den mitteldeutschen Werken der HASAG immer mehr Arbeitskräfte. Das Leipziger Unternehmen versucht, durch den massiven Einsatz von Zwangsarbeitern diese Lücken zu schließen. Vor allem polnische Zwangsarbeiter werden von der HASAG beschäftigt.

In den HASAG-Werken im besetzten Polen ist die Ausbeutung der Beschäftigten besonders hemmungslos. Ab Herbst 1942 werden Juden aus den umliegenden Ghettos, die man bei Razzien auf der Straße festgenommen hat, in werkseigene Konzentrationslager deportiert. Nicht wenige hofften, durch Zwangsarbeit der Gaskammer zu entkommen.

Die Lebenserwartung in Skarżysko-Kamienna, im Werk C, betrug drei Monate. Wenn man dort neu hinkam als Zwangsarbeiter, sind die Leute in kürzester Zeit gestorben, weil der Umgang mit dieser Pikrinsäure und diesen anderen hochgiftigen Substanzen sofort die Körper angegriffen hat.

Anne Friebel

Ab Sommer 1944 werden auch in den mitteldeutschen HASAG-Werken jüdische KZ-Häftlinge - vor allem aus Polen - eingesetzt. Die Schriftstellerin Danuta Brzosko-Mędryk, die in Warschau nach der deutschen Besatzung Flüchtlingen hilft, ist eine von ihnen.

Bis ich nach Leipzig kam, haben wir gedacht, wir überleben das. Wir haben Majdanek und Ravensbrück überlebt. Doch bei der HASAG habe ich alle Hoffnung aufgegeben zu überleben.

Danuta Brzosko-Mędryk (Schriftstellerin, ehem. Zwangsarbeiterin HASAG)

Entwicklung der Panzerfaust durch Heckler und Renner

Auf dem Schlachtfeld sucht die deutsche Wehrmacht verzweifelt ein Mittel, um die Übermacht der sowjetischen Panzer zu bekämpfen. Es sind Ingenieure der HASAG um Wilhelm Renner und Edmund Heckler, denen es gelingt, mit einer Panzerfaust ein patentes und vor allem auch kostengünstiges Gegenmittel zu entwickeln.

Das ehrgeizige Ziel von HASAG-Generaldirektor Paul Budin ist es, ab Herbst 1943 mehr als eine Million Panzerfäuste pro Monat zu produzieren. Dafür wird in den Werken der HASAG Tag und Nacht gearbeitet. Für die Zwangsarbeiter bedeutet das ein noch höheres Lebensrisiko. Doch in den dunkelsten Stunden gibt es auch immer wieder Solidarität und Widerstand.

Martyrium der Todesmärsche

In den letzten Kriegstagen will man bei der HASAG die KZ-Häftlinge loswerden. Keiner von ihnen soll den alliierten Truppen lebend in die Hände fallen. Rund fünftausend Zwangsarbeiter, darunter viele Frauen, werden nur notdürftig bekleidet und ohne Nahrung auf so genannte Todesmärsche Richtung Wurzen, Riesa geschickt. Übernachtet wird in Scheunen oder auf offenem Feld. Immer wieder kommt es zu regelrechten Jagden auf die Zwangsarbeiter durch die Landbevölkerung. Die Polin Joanna Kozera kann die Tage im April 1945 nicht vergessen.

Ich habe daran geglaubt, dass das irgendwann zu Ende gehen muss. Doch dann kam der Todesmarsch. Wir haben dem Tod ins Auge geblickt.

Joanna Kozera, polnische Zwangsarbeiterin

In der letzten Aprilwoche 1945 können amerikanische Truppen dem Martyrium der Zwangsarbeiter ein Ende bereiten. Am 18. April sind GI's schon in Leipzig eingerückt. Spezialkommandos beschlagnahmen die Konstruktionspläne der Panzerfaust und nehmen leitende Waffeningenieure fest. Vergeblich wird jedoch nach Generaldirektor Budin gefahndet.

Der Verantwortung entzogen

Der soll sich - zusammen mit seiner Frau - am 13. April auf dem Werksgelände in die Luft gesprengt haben. Doch noch in den fünfziger Jahren geht die Staatssicherheit der DDR einer möglichen Flucht Budins nach. Offenbar ohne Erfolg. Mit dem HASAG-Chef verschwindet auch das gesamte Firmenarchiv. Bis zum Eintreffen der Amerikaner bleiben die Direktoren Wilhelm Renner und Edmund Heckler auf ihren Posten. Dann gelingt es Ihnen, sich nach Westdeutschland, in die französisch besetzte Zone abzusetzen.

Es gab Bestrebungen, Wilhelm Renner anzuklagen. Aber die BRD hat ihn nicht ausgeliefert. Es gab auch diese Spannungen im Kalten Krieg, man hat sich da nicht gegenseitig unterstützt, d. h. der konnte dort relativ in Ruhe leben und musste nichts befürchten.

Anne Friebel

Anfang Juli 1945 lösen sowjetische Truppen die Amerikaner in Mitteldeutschland ab. Auch sie sind am Knowhow der HASAG interessiert. Das meiste hatte jedoch schon die US-Army kassiert.

Transformation der HASAG

Schon im Sommer 1945 läuft in der HASAG die Produktion wieder an. Aus Panzerfäusten werden jetzt Kochtöpfe und andere Haushaltsgeräte gemacht. Doch wenige Monate später werden an vielen Standorten die Maschinen demontiert und in die Sowjetunion gebracht. Die Werkshallen werden gesprengt.

Das Hauptgebäude des Umweltforschungszentrums in Leipzig Bildrechte: MDR / Kristin Kielon

Nach dem zweiten Weltkrieg erfährt das Areal der HASAG eine einzigartige Transformation. Auf dem Gelände entstehen wissenschaftliche Institute für die Chemieindustrie und angewandte Kernenergie. In den sechziger Jahren werden diese Forschungsbereiche ständig erweitert. Nach dem Mauerfall bekommt der Standort eine völlig neue Ausrichtung. 1991 eröffnet hier das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung.   

Wir haben jetzt ein Thema, was zum Erhalt dieses Planeten beiträgt und nicht - wie damals - zur Zerstörung von vielen Dingen. Und ich finde eigentlich, dass das gelungen, gelungener Wandel ist.

Sabine König, Geschäftsführerin Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung

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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Der Osten - Entdecke wo du lebst | 23. März 2021 | 21:00 Uhr