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Nazi-Verbrecher und "Schreibtischtäter"Jahrhundert-Prozess gegen NS-Täter Adolf Eichmann in Israel

27. Mai 2022, 19:47 Uhr

Vor sechs Jahrzehnten wird Adolf Eichmann, dem Architekten des Holocaust, in Israel der Prozess gemacht. In der Nacht zum 1. Juni 1962 findet das wichtigste Strafverfahren in der israelischen Geschichte sein endgültiges Ende – mit dem einzigen Todesurteil, das je in Israel vollstreckt wurde. Reue für seine Taten zeigte er bis zuletzt nicht.

von Tom Fugmann

Adolf Eichmanns Dienststelle im Reichssicherheitshauptamt plante und organisierte den Transport der europäischen Juden in die Vernichtungslager. Er war an den Planungen zur Errichtung von Vernichtungslagern und an der Entwicklung von Vergasungsmethoden beteiligt. Er soll sogar etliche Vernichtungslager persönlich besucht und Vergasungen beobachtet haben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hielt sich der "Cheflogistiker des Todes" zunächst in Norddeutschland versteckt und arbeitete bei einem Forstamt am Rand der Lüneburger Heide, bevor er sich Ende 1950 nach Argentinien absetzte. Dort lebte Eichmann unter dem Namen Ricardo Klement in der Nähe von Buenos Aires.

Eichmanns neues Leben in Argentinien

In Argentinien fühlte Eichmann sich sicher, er holte seine Familie nach und wurde wieder Vater. Er fand eine Anstellung in einem Werk von Mercedes Benz.

Vor einigen Jahren wurde bekannt, dass die deutsche Bundesregierung schon früh über den Aufenthaltsort von Eichmann informiert war. Die Organisation Gehlen, Vorgänger des Bundesnachrichtendienstes, wusste schon 1952, wo sich der gesuchte Kriegsverbrecher aufhält. Doch westdeutsche Geheimdienstkreise befürchteten, Eichmann würde Hans Globke belasten, der im Dritten Reich an den Nürnberger Rassegesetzen mitgewirkt hatte und in der Bundesrepublik zum Chef des Bundeskanzleramtes unter Adenauer aufgestiegen war.

Erst 1957 informierte der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer die israelische Regierung über den Aufenthaltsort Eichmanns.

Spektakuläre Entführung durch Israels Geheimdienst

Im März 1960 machten sich Mossad-Agenten auf den Weg nach Argentinien, um Adolf Eichmann nach Israel zu bringen. Weil es zwischen Argentinien und Israel kein offizielles Auslieferungsabkommen gab, wurde Eichmann observiert und am 11. Mai 1960 in Buenos Aires überwältigt. Neun Tage verbrachten die Mossad-Agenten mit Eichmann in einer Wohnung in Buenos Aires. Dann schmuggelten sie ihn an Bord eines Flugzeugs der israelischen Luftlinie El Al und brachten ihn nach Israel, wo sie am 21. Mai 1960 eintrafen.

Prozess in Jerusalem

Rund ein Jahr später begann am 11. April 1961 in Israel der Prozess vor dem Jerusalemer Bezirksgericht. Chefankläger war Generalstaatsanwalt Gideon Hausner. Rund 1.600 Dokumente lagen den Richtern als Beweismaterial vor. Die Anklageschrift belastete Eichmann in fünfzehn Fällen mit Verbrechen gegen das jüdische Volk und Verbrechen gegen die Menschheit.

Die Zeugenaussagen der Überlebenden der Konzentrations- und Vernichtungslager brachten erstmals die Schrecken der Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit. Die internationalen Medien berichteten ausführlich über den spektakulären Prozess.

Der Chefankläger Gideon Hausner (l.) ließ im Prozess das Leben der Juden in Europa am Vorabend des NS-Regimes bis zur schrittweisen Ausgrenzung und gezielten Vernichtung darlegen, um die Dimension der Verbrechen Adolf Eichmanns deutlich zu machen. Als Zeugen vor Gericht kamen dabei erstmals Holocaustüberlebende zu Wort und schilderten vor der ganzen Welt die schrecklichen Verbrechen in der NS-Zeit. Bildrechte: imago images/ZUMA/Keystone

Eichmann schiebt Schuld auf Vorgesetzte

Eichmanns Verteidiger bemühten sich, ihren Mandanten als kleines Rädchen im Getriebe darzustellen, dem jede Einflussmöglichkeit auf die Planung und den Betrieb der Mordmaschinerie gefehlt habe. So argumentierte auch Adolf Eichmann. Er sei im juristischen Sinne unschuldig und habe nur die Befehle von Vorgesetzten befolgt, so Eichmann. Auch in Deutschland stieß der Prozess auf großes Interesse. Alle großen Tageszeitungen und auch das Fernsehen berichteten täglich.

Eichmann und die "Banalität des Bösen"

Die 1933 emigrierte Hannah Arendt nahm 1961 am Prozess gegen Adolf Eichmann teil. Sie beschrieb ihn in ihren Berichten als überzeugungslosen Technokraten, der sich als bloßes Werkzeug seiner Vorgesetzten stilisiert habe. Bildrechte: imago images/Everett Collection

Zu den 600 Journalisten aus aller Welt, die den Prozess beobachteten und darüber berichteten, gehörte auch die jüdische Philosophin und Publizistin Hannah Arendt. Sie schrieb für die amerikanische Zeitschrift "The New Yorker". 1963 veröffentlichte sie ihr Buch "Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der 'Banalität des Bösen'".

Eine Redewendung, die besonders in Deutschland missverständlich interpretiert wurde. Das Böse, so deutete man Arendts These, sei nicht das Produkt des Rassenwahns und einer mörderischen Ideologie, sondern vielmehr eine Maschinerie, in der Befehlsempfänger, wie beispielsweise Eichmann, ohne nachzudenken Anweisungen ausführen würden.

Dabei hatte Hannah Arendt keineswegs die Deutschen aus der Verantwortung entlassen wollen. Sie beschrieb in ihrem Buch auch, dass Eichmann im Prozess sich nur der gleichen Mittel der "Selbsttäuschung" bedient habe, mit denen sich "80 Millionen Deutsche" bis 1945 gegen die Wirklichkeit abgeschirmt hätten, als zwischen ihnen und Eichmann "vollkommene Übereinstimmung herrschte".

Todesurteil gegen Eichmann

Bis zum letzten Prozesstag, dem 15. Dezember 1961, beteuerte Eichmann, er sei im Sinne der Anklage nicht schuldig. Vergeblich. Das Jerusalemer Amtsgericht verhängte wegen Verbrechen gegen das jüdische Volk, wegen Verbrechen gegen die Menschheit und wegen Kriegsverbrechen das Todesurteil. Nach der Ablehnung der Berufung wurde in der Nacht von 31. Mai auf 1. Juni 1962, kurz nach Mitternacht, zum ersten und einzigen Mal in der Geschichte Israels die Todesstrafe vollstreckt. Eichmanns Asche wurde ins Meer gestreut.

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