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Zwangsarbeit, Mord und ProfitWirtschaftsimperium Konzentrationslager

02. Mai 2023, 05:00 Uhr

Zu Recht steht die Abkürzung "KZ" für millionenfaches Töten durch die Nazis. Mit dem Massenmord sind Lager wie Auschwitz, Buchenwald oder Bergen-Belsen für immer verbunden. Doch Konzentrationslager werden in den zwölf Jahren der NS-Herrschaft auch zum Wirtschaftsfaktor: als Quelle billiger Arbeitskräfte und Katalysator für den Aufschwung umliegender Orte. Eine perfide Kombination aus Aufschwung und Mord.

von Susann Reich

Im April 1942 tobt der Zweite Weltkrieg unerbittlich. Der Leiter des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes Oswald Pohl ist erst seit gut einem Monat zuständig für die Inspektion der Konzentrationslager. Er schreibt an den Reichsführer SS, Heinrich Himmler:

Die Verwahrung von Häftlingen nur aus Sicherheits-, erzieherischen oder vorbeugenden Gründen allein steht nicht mehr im Vordergrund. Das Schwergewicht hat sich nach der wirtschaftlichen Seite hin verlagert.

April 1942. Zitiert nach: Johannes Tuchel, "Die Inspektion der Konzentrationslager", Edition Hendrich 1995

Wovon ist die Rede? Sind Häftlinge nicht mehr vom Tode bedroht, sondern werden als Teil eines Wirtschaftssystems geschützt? Nein, Konzentrationslager bleiben Orte des Todes. Was Oswald Pohl nach seiner Amtsübernahme lediglich feststellt: Das System der Konzentrationslager ist profitabel.

Zwangsarbeiter: Tote werden ersetzt

Häftlinge für Zwangsarbeit auszubeuten, auch deren Tod durch Arbeit in Kauf zu nehmen, war das, was ein KZ in Sinne der NS-Herrschaft spätestens zu Kriegsbeginn leisten musste. Erprobt wird die Idee aber schon ab der Machtübernahme 1933. In den Konzentrationslagern ist Zwangsarbeit – auch mit tödlichen Folgen – von Beginn an üblich. Doch die Metamorphose zum profitablen "Unternehmen" dauert einige Jahre. Auch die SS – Herrscher über die KZ – musste erst ein System entwickeln, welches alle Interessen der Nazis erfüllte: Ein KZ sollte der Abschreckung dienen, als Besserungsanstalt, als Folterkammer, Hinrichtungsstätte und Menschenversuchsanstalt. Und eben auch als Zwangsarbeiter-Reservoir.

Eines der frühesten Zeugnisse für die Ausbeutung von Häftlingen liefert Kurt Kohlsche, KPD-Mitglied aus Meißen. Er ist ab 1935 Häftling im KZ Sachsenburg bei Mittweida. Kohlsche selbst wird dort einem Sportkommando zugeteilt, damit er durch harten Drill seine Gesinnung ändert. Andere Insassen – zu dieser Zeit hauptsächlich Juden – gehören zum Arbeitskommando des Steinbruchs. Kohlsche erinnert sich besonders an einen Mann, der dem brutalen Vorgehen nicht gewachsen war:

Er war nicht in der Lage, den schweren Hammer, mit dem er umgehen sollte, zu schwingen, dazu fehlte ihm ja jede praktische Übung. Es wurden drei besondere Häftlinge für ihn bestimmt, die ihn unter dem Befehl des dabei stehenden Posten zwangen, den Hammer über die Schulter zu nehmen und sodann nach unten zu schlagen, wobei er zusammenbrach. Mit Gewalt wurde er wieder auf die Füße gestellt und mit Wasser aus der Zschopau begossen. Dieses Verfahren wurde immer wiederholt.

Kurt Kohlsche | "So war es! Das haben sie nicht gewusst", Selbstverlag StSG, Dresden, 2001

Der Häftling überlebt dieses brutale Vorgehen nicht. Wie ihm wird es bis Kriegsende Hunderttausenden gehen. Auch wenn man sie für die Arbeit braucht: Das Leben eines Häftlings ist wenig wert. Wer im KZ stirbt, wird ersetzt. Gute Ernährung, kürzere und weniger schwere Arbeit hätte für viele lebensrettend sein können – aber damit wäre es weniger profitabel gewesen.

Das Wichtigste an einem KZ: die wirtschaftlich sinnvolle Lage

Dieser Profit ist es, der im Laufe der NS-Diktatur die Entwicklung des Lagersystems bestimmen wird. Standorte für neue KZ werden nach wirtschaftlich sinnvoller Lage ausgesucht: nah an Steinbrüchen oder Bahngleisen, nah an Immobilien, die für Produktionszwecke genutzt werden können. Und was dann noch nicht ganz passt, muss von den Häftlingen errichtet oder gebaut werden.

Beispiel dafür ist das KZ Neuengamme bei Hamburg. Hier kauft das SS-Unternehmen "Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH" das Gelände einer alten Ziegelei. Die Stadt Hamburg will das Elbufer mit "Führerbauten" aus Klinkersteinen verschönern. Zusammen mit der SS entsteht das, was man heute als Win-Win-Situation bezeichnet: Die Stadt gewährt zum Bau eines größeren Klinkerwerkes ein Darlehen in Millionenhöhe. Sie verpflichtet sich zur Herstellung eines Eisenbahnanschlusses, zur Regulierung der Dove-Elbe und zum Bau eines Stichkanals mit Hafenbecken als Anbindung an das KZ. Die SS sagt zu, "für diese Vorhaben Häftlinge als Arbeitskräfte und die dann erforderlichen Bewachungsmannschaften unentgeltlich zur Verfügung" zu stellen.

Die SS gründete eigene Wirtschaftsbetriebe

Ende der 1930er-Jahre beginnt die SS, eigene Wirtschaftsbetriebe zu gründen. Zudem übernimmt sie etablierte Firmen in den von Deutschland besetzten Staaten. Zeitweilig besitzt die SS-Verwaltung mehr als 30 Unternehmen mit über 100 Betrieben. Ein Teil dieser Firmen – zum Beispiel die im KZ Ravensbrück ansässige Gesellschaft für Textil- und Lederverwertung mbH (Texled) – basiert von Anfang an auf der Zwangsarbeit von Häftlingen. Die Texled wird 1941 von der SS gegründet. Dort nähen Häftlinge Uniformen und Häftlingskleidung oder bessern sie aus. Die Häftlinge arbeiten anfangs in großen Baracken, später kommt eine Fabrikhalle hinzu.

Es gibt auch Konzentrationslager, in denen keine Zwangsarbeit stattfindet: Vernichtungsorte wie Treblinka, Majdanek, Bełżec oder Sobibór. Auch das KZ Auschwitz gilt gemeinhin als Vernichtungslager. Aber das ist nicht ganz korrekt – auch dort gab es Zwangsarbeit: Schätzungsweise 200.000 Menschen werden nach ihrer Ankunft dafür "selektiert". Es profitiert vor allem eine Niederlassung der IG Farben von den billigen Arbeitskräften. Die SS verleiht sie zum Spottpreis für teils wenige Reichsmark.

Zwangsarbeiter konnten "geliehen" werden

Sehr selten liegen Konzentrationslager weit weg von Ortschaften oder Städten. In den überwiegenden Fällen sind örtliche Handwerksfirmen bei der Errichtung mit eingebunden: für den Bau von Zäunen, Straßen, der Elektrizität oder von Krematorien. Auch Privatpersonen treten an KZ-Kommandanten heran und "erbeten" Häftlinge zur Ausleihe: fürs Rasenmähen oder für Handwerksarbeiten. Im Verwaltungsbericht der Sparkasse Prettin (heute Sachsen-Anhalt) findet sich folgender Eintrag von 1936:

In der benachbarten 'Lichtenburg' befindet sich ein Lager mit politischen Häftlingen, wo ein starkes Aufgebot an Wachpersonal unterhalten wird. Auch hierdurch wird der örtliche Kleinhandel und das Handwerk wirtschaftlich günstig beeinflusst.

Auch den dortigen Stadtpark errichten 1935/36 Häftlinge des KZ. Und: Aus zahlreichen Beziehungen zwischen SS-Männern und Prettinerinnen gingen Kinder hervor. Die höhere Geburtenrate nahm einen wichtigen Stellenwert in der demografischen Entwicklung des Ortes ein. Selbst nach 1938, als nur noch wenige SS-Männer in Lichtenburg stationiert waren, betrug der Anteil der angemeldeten Geburten seitens der SS über zwölf Prozent der Gesamtziffer.

Quellen

  • Kurt Kohlsche: "So war es! Das haben sie nicht gewusst." Konzentrationslager Sachsenburg 1935/36 und Wehrmachtsgefängnis Torgau-Fort Zinna 1944/45 – ein Häftlingsschicksal, Selbstverlag StSG, Dresden, 2001
  • Nikolaus Wachsmann: "KL – Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager", Pantheon-Verlag München 2018
  • Stefan Hördler: "Lichtenburg – ein deutsches Konzentrationslager", Metropol Berlin 2009
  • KZ Gedenkstätte Ravensbrück, www.ravensbrueck-sbg.de
  • KZ Gedenkstätte Neuengamme, www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de

Dieser Artikel erschien erstmals im November 2022.

Dieses Thema im Programm:Unter Deutschen - Zwangsarbeit im NS-Staat | 02. Mai 2023 | 20:15 Uhr