Vor 70 Jahren verurteilt Ilse Koch: Gefürchtete Kommandantengattin aus dem KZ Buchenwald

08. März 2021, 12:48 Uhr

Es ist einer der Aufsehen erregendsten Prozesse der Nachkriegszeit: 1947 steht in Dachau die "Hexe von Buchenwald" vor Gericht. Ihr bürgerlicher Name: Ilse Koch. Sie gilt als "sexuell besessen", hätte einen "ausgeprägten Hang zu sadistischen Quälereien" gehabt und angeordnet, "Häftlinge zu häuten". Wer war sie wirklich?

Grauenhafte Erzählungen ranken sich um die Ehefrau des Kommandanten des Konzentrationslagers Buchenwald, Karl Koch. Tageszeitungen aus der Zeit des Dachau-Prozesses um 1947 stellen sie als ein "Paradebeispiel der Perversion" dar. Beleg für ihre gelebte "Abartigkeit" soll ein aus Menschenhaut gefertigter Lampenschirm sein. Doch dessen Existenz konnte nie zweifelsfrei nachgewiesen werden. Zeugen sagen nach dem Ende des Krieges aus, Ilse Koch habe selbst Häftlinge angezeigt, die anschließend harte Bestrafungen über sich hätten ergehen lassen müssen. Auch von sexuellen Obsessionen, die sie an den Häftlingen auslebte, ist die Rede.


Hatte Ilse Koch ein sadistisches Naturell?

Ilse Koch, geboren am 22. September 1906 in Dresden als Ilse Köhler, ist Tochter von einfachen Arbeitern. Nach der Schule macht sie eine Ausbildung zur Stenotypistin. 1932 tritt sie in die NSDAP ein. Zwei Jahre später lernt sie den zehn Jahre älteren SS-Hauptsturmführer Karl Otto Koch kennen. Dieser baut zu diesem Zeitunkt das SS-Sonderkommando Sachsen auf. Dessen Aufgabe sollte es sein, aus "wilden KZs" reguläre Straflager zu machen. Sein hartes und unnachgibieges Durchgreifen bei den Truppen bringt ihm den Posten des KZ-Kommandanten in Buchenwald ein.

Mehr als eine viertel Millionen Häftlinge gehen durch das KZ Buchenwald in den acht Jahren seines Bestehens. Es ist ein reines Männerlager. Die Häftlinge werden als Arbeitssklaven ausgebeutet, manche müssen auch als "Versuchskaninchen" bei medizinischen Experimenten herhalten. Zwischen der Errichtung des KZ Buchenwald 1937 und der Befreiung 1945 sterben im Lager mehr als 65.000 Menschen.


Ein gemütliches Heim auf dem Ettersberg

Jahrelang lebt Ilse Koch mit ihrer Familie - ihrem Mann, dem 1938 geborenen Sohn Artwin, den 1939 und 1940 geborenen Töchtern Gisela und Gurdrun - in der Kommandantenvilla auf dem Ettersberg, nur zehn Gehminuten vom Lager entfernt. Im Gerichtsprozess 1947 gibt Ilse Koch zu Protokoll: "Mit einem Mann wie dem meinigen war es mir nicht möglich, mich um Lagerangelegenheiten zu kümmern. Er hätte ganz bestimmt seinen Einspruch erhoben. In seinen Augen war meine Hauptaufgabe, eine gute Mutter zu sein, und ich war stets bemüht, ihm an den Abenden ein gemütliches Heim zu schaffen."


War Ilse Koch wirklich die "Hexe von Buchenwald"?

Doch wenn dem wirklich so war: Wieso steht Koch dann 1947 und 1951 erneut vor Gericht? Faktisch hatte Ilse Koch keinen SS-Dienstrang und damit auch keine Befehlsgewalt. Aber als Frau des Kommandanten soll sie ihren Mann zu Gewalttaten gegen Häftlinge angestiftet haben. Und zwar auf perfide Art und Weise. So wird in den mehr als 1.500 Zeugenaussagen u.a. berichtet, dass Koch "leicht bekleidet am Zaun des KZ entlang gegangen" sei, um so die "Aufmerksamkeit der Häftlinge auf sich zu ziehen." Welche Konsequenzen diese Spielchen hatten, kann aus den Akten von Herman Hackmann - einem Freund der Kochs - entnommen werden. Hier beschreibt er, dass Gefangene ausgepeitscht wurden, da sie sich der "Frau des Kommandanten unsittlich genähert" hätten. Doch nicht nur das. Der Strafkatalog sieht unter anderem vor: "Drei bis 42 Tage Arrestzelle. Tagsüber stehend. Bei Wasser und Brot. Dunkelhaft." Diese Zelle wurde auch "Bunker" genannt. Hier werden die denunzierten Häftlinge nicht nur eingesperrt, sondern auch gequält und teilweise bis zum Tode gefoltert. Dennoch: Insgesamt lässt sich bei vielen Zeugenaussagen, die der Ilse Koch den Beinamen "Hexe von Buchenwald" eingebracht haben, nicht mehr zweifelsfrei nachweisen, inwieweit sie der Wahrheit entsprechen oder auf einer Fehlinterpretation der kausalen Zusammenhänge oder auf Gerüchten beruhen. Der informelle Einfluss, den sie als Kommandantengattin im KZ hatte, lässt sich nur schwer rekonstruieren. Fest steht nur: Sie wohnte gerne körperlichen Bestrafungen im Lager bei.


"Sie hätte beim Film Karriere machen können"

Der Lagerarzt von Buchenwald, August Heinrich Bender, bezeichnet in seinen handschriftlichen Erinnerungen über sein Wirken im KZ auf dem Ettersberg Ilse Koch als "hoch gebildet" und "eine Schönheit". Er erinert sich an ihre "leicht rötlichen langen Locken" und "schneeweiße Haut". "Sie hätte beim Film Karriere machen können" schreibt er. Im Buchenwald-Prozess hat Bender noch behauptet, Ilse Koch nicht zu kennen. Er war damals zu zehn Jahren Haft verurteilt worden, kam allerdings nach drei Jahren Haft frei und führte jahrzehntelang ein Leben als Hausarzt in einem kleinen Dorf in Nordrhein-Westfalen. 1993 schrieb der ehemalige SS-Sturmbannführer seine Erinnerungen nieder, die nach seinem Tod im Jahr 2005 ins Bundesarchiv in Koblenz gelangten.


Karl Koch zum Tode verurteilt: "Jungens, schießt gut"

1943 endet für Ilse Koch das privilegierte Leben der Kommandantengattin auf dem Ettersberg. Am 25. August 1943 wird Karl Koch von einem Sonderkommando verhaftet und in die Gestapo-Zentrale nach Weimar gebracht. Einen Tag später wird auch Ilse Koch festgenommen. Auf ihrem Konto befinden sich 25.000 Reichsmark. Sie wird aber wegen Mangels an Beweisen vom SS-Gericht freigesprochen, es gelingt nicht zu beweisen, dass sie sich als "Lagerkommandeuse" bereichert hat. Ihr Mann wird dagegen wegen Hehlerei, Mord und Betrug zum Tode verurteilt und im April 1945 im Lager Buchenwald hingerichtet. Die letzten Worte von Koch sollen gewesen sein: "Jungens, schießt gut".

Als wenige Tage nach der Verhaftung von Karl Koch die amerikanischen Truppen das Lager befreien und die entsetzten Einwohner von Weimar zwingen, es zu besichtigen und die Leichen zu begraben, ist Ilse Koch schon in Ludwigsburg bei Verwandten. Hier wird sie im Juni 1945 von Amerikanern verhaftet.


Lampenschirm aus Menschenhaut: Mythos oder Realität?

Im April 1947 wird Ilse Koch in Dachau zum ersten Mal der Prozess gemacht. Dabei wird sie auch gefragt, ob sie jemals "Handschuhe aus Menschenhaut" oder einen "Lampenschirm aus menschlichem Material" besessen hätte? Sie verneint.

Hintergrund der Frage: Kurz nach der Befreiung des Lagers wurde am 16. April 1945 auf einem Tisch eine größere Anzahl gegerbter tätowierter Haut sowie zwei Schrumpfköpfe und ein Lampenschirm, der angeblich aus Menschenhaut bestand, ausgestellt.

Diese Geschichte wurde auch in der DDR gern für bare Münze genommen. Schon die erste Ausstellung zur Geschichte des KZ Buchenwald zeigte 1954 den kleinen, schlicht gearbeiteten Schirm einer Nachttischlampe als "Lampenschirm aus Menschenhaut". Er war von Karl Straub, einem ehemaligen Häftling, übergeben worden und stammte offensichtlich aus dem Lager. Das vom Institut für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Akademie Erfurt am 6. Juli 1992 erstellte Gutachten besagt aber:

Präparat IV (Lampenschirm) ist dagegen serologisch nicht als menschlicher Art zu identifizieren. Möglicherweise handelt es sich dabei um einen Kunststoff, der in ähnlicher Zeit für Lampenschirme produziert wurde. Letztlich ist aber nicht völlig auszuschließen, daß es sich dennoch um biologisches Material handelt.

Der Lampenschirm war schon vor dem Gutachten aus der ständigen Ausstellung entfernt worden. Er befindet sich zur Zeit als Falsifikat im Fundus der Gedenkstätte Buchenwald.


Ilse Koch richtet sich selbst: Selbstmord im Frauengefängnis

Beim ersten Prozess im April 1947 bekommt Ilse Koch lebenslänglich. Dem Vernehmen nach hätte sie eigentlich zum Tod verurteilt werden sollen, doch sie wird während der Untersuchungshaft schwanger. Ihr Sohn Uwe kommt im Oktober 1947 auf die Welt.

Ilse Koch legt gegen das Urteil Revision ein und wird erneut, diesmal vor ein deutsches Gericht gestellt. In diesem zweiten Prozess wird sie am 15. Januar 1951 endgültig zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. 1967 nimmt sie sich im Frauengefängnis Aichach das Leben.

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR um 4 | 14. Januar 2020 | 16:00 Uhr