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Fernsehen im Dritten Reich: Die Wettkämpfe der Olympischen Spiele 1936 wurden in Berlin in so genannte Fernsehstuben übertragen – ein Vorläufer des heutigen Public Viewing. Bildrechte: IMAGO/United Archives

Technik- und PropagandageschichteFernsehen im Dritten Reich

12. Mai 2023, 15:05 Uhr

Am 22. März 1935 beginnt in Deutschland das Fernseh-Zeitalter. Zunächst wird an drei Tagen in der Woche ein Programm ausgestrahlt. Das ist weltweit einmalig. Zu einen Massenmedium entwickelt sich das Fernsehen in der Nazi-Zeit jedoch nicht. Dafür sind die Fernsehgeräte einfach zu teuer. Das neue Medium führt ein Nischendasein - allerdings mit einem teilweise durchaus erstaunlichen Programm! Alles, was wir heute aus dem Fernsehen kennen, hat es in einer Ur-Form schon damals gegeben.

von Cezary Bazydło und Steffen Lüddemann

Achtung! Achtung! Wir begrüßen alle Volksgenossen und Volksgenossinnen in den Fernsehstuben Groß-Berlins mit dem deutschen Gruß: Heil Hitler!

Ursula Patschke, Fernsehansagerin

Mit diesen Worten schreibt die bildhübsche Ansagerin Ursula Patzschke Geschichte. Es ist der 22. März 1935. Am Abend dieses Tages beginnen die Nationalsozialisten den ersten regelmäßigen Programmbetrieb eines Fernsehsenders. So etwas hat es in der Welt noch nicht gegeben. "In dieser Stunde wird der Rundfunk berufen, die größte und heiligste Mission zu erfüllen: nun das Bild des Führers unverlöschlich in alle deutschen Herzen zu pflanzen", verkündet Reichssendeleiter Eugen Hadamovsky zum Programmauftakt freudetrunken. Ein Versprechen, das man aus technischen Gründen jedoch nur sehr bedingt umzusetzen vermag, denn das Fernsehbild ist verschwommen und verwackelt, die Zuschauer ahnen mehr als sie sehen können. Die Fernsehtechnik ist noch alles andere als ausgereift.

Einen eigenen Fernseher kann sich kaum jemand Leisten. Fernsehgenuss findet in Öffentlichen Fernsehstube statt. Bildrechte: Transit

Der BBC zuvorkommen

Tatsächlich haben die Nationalsozialisten lediglich eine Art Versuchsprogramm gestartet. "Man befürchtete, dass die Engländer mit ihrem Fernsehbetrieb eher starten würden", erklärt Joseph Hoppe vom Deutschen Technikmuseum Berlin. "Deshalb hat man sehr schnell und mit sehr unzulänglichen Mitteln den Programmstart bekanntgegeben." Das neue Medium sollte unbedingt als "deutsche Erfindung“ in die Geschichte eingehen. Dabei war die Entwicklung des Fernsehens ein internationales Projekt, an dem Wissenschaftler und Techniker aus verschiedenen Ländern beteiligt waren. Doch die Nationalsozialisten beanspruchen nun den Ruhm ganz allein für sich. Die britische BBC geht erst 1936 auf Sendung, die Sowjetunion 1938 und die USA 1939.

Erster Fernsehsender der Welt

Am Anfang wird nur zwei Stunden an drei Abenden in der Woche gesendet. Das Fernsehstudio selbst ist ein lächerlich winziger Raum. Und so kann der erste Fernsehsender der Welt zunächst auch nur ein sehr eingeschränktes Programm anbieten, das sich noch stark am Radio orientiert. Es werden Interviews ausgestrahlt, Vorträge, Kammerkonzerte, aber auch bereits kleine, wenig anspruchsvolle Sketche, in denen beispielsweise ein Schäferhund mit dem Namen Rex auf Kommando Laut gibt.

Das Fernsehen wird nicht ernst genommen

Das Fernsehprogramm können anfangs nur die Einwohner Berlins empfangen. Erst einige Jahre später werden dann Leipzig, Nürnberg und Hamburg per Kabel an das Netz angeschlossen. Die Zuschauer verfolgen das Programm aber nicht in den eigenen Wohnzimmern, denn einen eigenen Fernsehapparat besitzt kaum jemand. Stolze 3.600 Reichsmark muss man damals für eine ordentliche Flimmerkiste hinblättern - ein utopischer Betrag für die allermeisten Deutschen. Und so versammeln sich die Fernseh-Enthusiasten allabendlich in den 14 öffentlichen Fernsehstuben Berlins, die jeweils 30 Personen gleichzeitig Platz bieten.

Die Erwartungen waren sehr hoch, nachdem das Fernsehen als eine Art mediale Wunderwaffe angekündigt wurde. Die Leute, die das Programm gesehen hatten, waren aber eher reserviert und meinten, es müsse noch viel Arbeit in das neue Medium investiert werden.

Joseph Hoppe, Deutsches Technikmuseum Berlin

Insgesamt sind es täglich etwa 600 Zuschauer, die das Programm verfolgen. Die Eintrittskarten gibt es kostenfrei an den Postschaltern der Stadt. Der Genuss ist jedoch nicht ungetrübt. Das Fernsehbild ist nicht größer als ein Schuhkarton, der Ton knarzt und fällt bisweilen ganz aus und die Schärfe des Bildes muss immer wieder von einem Postbeamten nachjustiert werden.

Olympia 1936: Eine Fernsehreportage aus dem Olympischen Dorf 1936 präsentiert dem Publikum lauter ausländische Sportler, die von dem Großereignis ausnahmslos begeistert sind. Bildrechte: Transit

Olympiade 1936 in Berlin

Ein gutes Jahr später, bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin, erlebt das Nazi-Fernsehen jedoch seine große Zeit. Die technischen Schwierigkeiten sind zu einem guten Teil überwunden. Mit einem Großaufgebot an Kameras wollen die nationalsozialistischen Machthaber eine möglichst flächendeckende Übertragung der Ereignisse gewährleisten. Inzwischen gibt es in Berlin rund 30 Fernsehstuben und zwei "Großbildtheater", in denen das Publikum die Sportberichte verfolgen kann.

Es war tatsächlich so etwas wie Public Viewing wie wir es heute kennen.

Joseph Hoppe, Deutsches Technikmuseum Berlin

Die Welt soll über die deutsche Ingenieurskunst staunen. Und so ist das Fernsehen bei der Eröffnung der Spiele dabei und sendet überdies etliche Reportagen aus dem olympischen Dorf, in denen Athleten aus aller Herren Länder immer wieder betonen, welch ausgezeichnete Stimmung in Berlin herrsche. Und natürlich werden später die Wettkämpfe übertragen - und zwar live! Täglich mehr als acht Stunden lang. Eine Sensation in der damaligen Zeit. Insgesamt verfolgen etwa 100.000 Menschen an den Bildschirmen das sportliche Großereignis.

Versteckte Kamera, Ballett und Kochen

Ab 1937 geht das Fernsehen dann täglich auf Sendung. Nach und nach werden neue und großzügige Studios eingerichtet. Und auch das Programm wird um etliche Innovationen erweitert. Es gibt nun Nachrichten, Musik- und Unterhaltungssendungen, das kleine Fernsehspiel, Dokumentationen, den täglichen Ratgeber sowie Sportübertragungen. Sogar eine "versteckte Kamera" kommt damals bereits zum Einsatz - etwa um die kleinen Sünden der Berliner im Straßenverkehr zu dokumentieren. "Wir sind mit unserer Kamera mitten hinein in das Berliner Verkehrsleben gegangen", raunt der Fernsehreporter. "Und wenn die Ampel jetzt zu Gelb wechselt, dann wollen wir uns einmal die Fußgänger ansehen, die jetzt sicherlich wie die Soldaten dort ausgerichtet stehen…" Doch weit gefehlt! Die Leute laufen unverdrossen weiter. "Etwa 60 Verkehrssünder auf einer Stelle", muss der verdutzte Reporter leider feststellen.

Kochsendung: Selbst beim Kochen von saurem Kürbis wird unterschwellig das Frauenbild der Nazis transportiert. Bildrechte: Transit

Klar auf nationalsozialistischem Kurs

Natürlich ist das Fernsehprogramm im Dritten Reich alles andere als unpolitisch. Ganz im Gegenteil: Es verfolgt einen klar nationalsozialistischen Kurs. Joseph Hoppe: "Das war jetzt keine offene Lobhudelei gegenüber dem Führer, aber es wurden die Ideale, Werte und Standards sowie die Organisationen und Einrichtungen des Nationalsozialismus in den schönsten Farben geschildert. Und alle Probleme, die es gab, blieben ausgeblendet."

Selbst in den Ratgebersendungen sind mehr oder weniger offensichtliche politische Botschaften eingewebt, indem etwa beim Einkochen von saurem Kürbis das Ideal der deutschen Hausfrau und Mutter gepriesen wird. Ganz zu schweigen von den ausufernden Berichten vom Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg. Dabei werden nicht nur Höhepunkte wie die Ankunft des "Führers" dokumentiert, die Reporter wagen auch einen Blick hinter die Kulissen - etwa in die riesige Feldküche auf dem Parteitagsgelände. Ein anderes Propaganda-Schmankerl: eine Reportage über die "Straßen des Führers" mit einem Besuch auf dem Reichsautobahn-Rasthof Magdeburger Börde.

Das Fernsehen führt ein Nischendasein

Das Fernsehen in Hitlers Reich ist freilich alles andere als ein Massenmedium. Das Radio, der "Großdeutsche Rundfunk", ist dem neuen Medium haushoch überlegen, auch weil die "Volksempfänger", im Volksmund "Goebbels-Schnauzen" genannt, relativ billig und in vielen Haushalten schon vorhanden sind. Die Nazi-Granden hegen gegenüber dem Fernsehen indes einiges Misstrauen. "Es ist nicht zu belegen, dass Hitler oder Goebbels jemals einen ausdrücklichen Fernsehauftritt gehabt hatten", schreibt der Historiker Konrad Dussel in seinem Buch "Deutsche Rundfunkgeschichte". Ein winziges und überdies unscharfes Fernsehbild scheint den Nazigrößen offenbar wenig geeignet, die Vision eines "tausendjährigen Reiches" augenfällig unters Volk zu bringen. Hinzu kommt, dass das Fernsehen noch viel zu wenige Menschen erreicht, um etwa die Aufmerksamkeit des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels auf sich zu ziehen - ganz anders als der Hörfunk.

Krieg vereitelt große Pläne

Doch es gibt große Pläne. 1939 will die Industrie die Massenproduktion von Fernsehern in Angriff nehmen. 10.000 Stück sollen umgehend hergestellt werden. Der Fernseher soll alsbald dem "Volksempfänger" Konkurrenz machen. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verhindert jedoch die Umsetzung des ehrgeizigen Vorhabens. Produktionsstätten, Arbeiter und Ingenieure werden nun dringend für die Herstellung von Rüstungsgütern benötigt.

Fernsehen für verwundete Soldaten

Der Sendebetrieb des Fernsehens wird trotz des Krieges zunächst aufrechterhalten. Das Programm besteht freilich nur noch aus eher belangloser Unterhaltung. Die öffentlichen Fernsehstuben werden 1942 geschlossen und die wenigen vorhandenen Fernsehgeräte stattdessen in Berliner Lazaretten aufgestellt, um verwundeten Soldaten die trostlosen Tage zu verkürzen. Aus heutiger Sicht kaum zu glauben, aber niemand vermisst das Fernsehen! Am allerwenigsten die nationalsozialistischen Machthaber selbst. Ihr Medium bleibt bis zum bitteren Ende das Radio, der "Großdeutsche Rundfunk". Im Juni 1944 wird der Sendebetrieb des Fernsehens schließlich in aller Stille eingestellt.

Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV:Die Spur der Ahnen: Für Goebbels an der Kamera | 10.01.2018 | 21:15 Uhr
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