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Roland Freisler während eines Prozesses am Volksgerichtshof 1944 Bildrechte: imago/ZUMA/Keystone

Roland Freisler: Vom Rechtsanwalt zum Blutrichter

17. Dezember 2021, 14:52 Uhr

Als einer der 15 Teilnehmer an der Wannseekonferenz gehörte Roland Freisler zu den maßgeblichen Verantwortlichen für die Organisation des Holocaust. Freisler, der "Blutrichter", stand beim Führer persönlich in hoher Gunst. "Der Freisler wird das schon machen", war Hitler sich sicher, als er die Attentäter um Stauffenberg vor den Volksgerichtshof stellen ließ.

Roland Freisler wird am 30. Oktober 1893 in Celle geboren. Sein Vater Julius stammt aus Klantendorf (heute Kujavy), Bezirk Neutitschein in Mähren, ist Diplom-Ingenieur und arbeitet an einer Hochschule. Seine aus Celle stammende Mutter Charlotte Schwertfeger arbeitet als Hausfrau. Die Freislers hatten noch einen zweiten, 1895 geborenen Sohn, Oswald. Roland Freislers Zeugnisse belegen: Als Schüler beträgt er sich stets tadellos, ist ehrgeizig und debattiert gern. Als Klassenbester besteht er das Abitur.

1912-1922: Jurastudium in Jena

Jena: Nach dem Abitur beginnt Freisler 1912 sein Jurastudium an der Universität Jena. Als zwei Jahre später der Erste Weltkrieg ausbricht, meldet er sich freiwillig. Erst 1920 kehrt er nach Jena zurück, wo er sein Jurastudium fortsetzt. Politisch hat er sich inzwischen wieder vom Kommunismus abgewandt. Er tritt in Kontakt zu nationalistischen Gruppierungen. Im Jahr 1922 promoviert er und erhält ein "Summa cum laude" für seine Dissertation.

1914-1920: I. Weltkrieg und Gefangenschaft in Sibirien

Sibirien: Zum Beginn des Ersten Weltkrieges wird Roland Freisler freiwillig Fahnenjunker beim 1. Oberelsässischen Infanterieregiment und verdient sich an der Front das Eiserne Kreuz.

Im sibirischen Gefangenenlager lernt er ab 1915 Russisch und beschäftigt sich mit dem Marxismus. Er schließt sich den Bolschewiken an und steigt zum Lagerkommissar auf. Nach dem Krieg bleibt Freisler freiwillig noch ein Jahr länger in Russland, bevor er an die Universität Jena zurückkehrt. Seine Zeit im kommunistischen Russland wird zum Makel, der Freisler während seiner NS-Karriere stets anhaftet.

Ab 1924: Anwaltskarriere in Kassel

Kassel: Nachdem Freisler bereits große Teile seiner Kindheit in Kassel verbracht und am Wilhelmsgymnasium sein Abitur im Jahr 1912 ablegt, kehrt er nach seinem Studium in Jena 1924 nach Kassel zurück, um gemeinsam mit seinem Bruder Oswald, der ebenfalls Jurist ist, eine Anwaltskanzlei zu eröffnen. Roland ist für Straf-, Oswald für Zivilrecht zuständig.

1925 tritt Roland Freisler der NSDAP bei und vertritt fortan als Verteidiger straffällig gewordene Angehörige der Partei. Zudem verteilt er Flugblätter auf der Straßen Kassels und im Gericht. In dieser Zeit freundet er sich auch mit Hitlers Rechtsanwalt, Hans Frank an. Am 24. März 1928 heiratet Freisler Marion Russegger. Für die NSDAP wird Freisler Stadtverordneter in Kassel.

1924-1935: Auftritte vor dem Leipziger Ehrengerichtshof

Leipzig: Roland Freisler reist beruflich immer wieder nach Leipzig. Viele Male steht er als Anwalt vor dem Leipziger Ehrengerichtshof. Er beleidigt und bedroht bei fast jedem Prozess Opfer, Kollegen oder Richter. Seine Anwaltslizenz wird ihm dennoch nie entzogen.

1933: Gründung der Akademie für Deutsches Recht

München: Im Oktober 1933 wird Freisler Mitglied der Akademie für Deutsches Recht, bei der er die Leitung der Strafrechtsabteilung übernimmt. Die Akademie für Deutsches Recht, die ein neues Volksgesetzbuch im nationalsozialistischen Sinne herausgeben will, ist die Zentralstelle für die Arbeit an der Umgestaltung und Fortbildung des deutschen Rechts im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung und Instrument der rechtswissenschaftlichen Gleichschaltung während der Zeit des Nationalsozialismus. Sie wird am 26. Juni 1933 in München gegründet und am 2. Oktober 1933 vom Reichskommissar für die Gleichschaltung der Justiz, Hans Frank, auf dem Deutschen Juristentag des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes in Leipzig proklamiert. Durch das Reichsgesetz vom 11. Juli 1934 wird sie zu einer öffentlichen Körperschaft mit Sitz in München.

An der nationalsozialistischen Strafrechtsreform, besonders der Formulierung der Tatbestände von Tötungsdelikten entsprechend der Tätertypenlehre, ist Freisler maßgeblich beteiligt.

1932-1945: Freislers Aufstieg in Berlin

Berlin: Im Jahr 1932 kandiert das langjährige NSDAP-Mitglied Roland Freisler für das preußische Abgeordnetenhaus. Damit beginnt seine politische Karriere in Berlin, die 1942 im Präsidentenamt des Reichsgerichtshofes gipfelt.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wird er im Februar 1933 zum Leiter der Personalabteilung im preußischen Justizministerium berufen. Noch bevor die "gesetzlichen Grundlage" dafür geschaffen ist, führt er in diesem Amt eine rigorose Säuberung der Justiz und der Anwaltschaft durch. Nach den Reichstagswahlen vom 5. März wird er Abgeordneter für die NSDAP. Es folgt die Berufung zum preußischen Staatsrat.

In seiner Villa in Berlin Dahlem wohnt Freisler mit seiner 18 Jahre jüngeren Frau Marion (geb. Rusegger) und seinen beiden Söhnen Harald und Roland. Über das Privatleben der Familie ist kaum etwas bekannt. Seine Frau Marion tritt öffentlich nicht in Erscheinung. Trotz des frühen Partei-Engagements ihres Mannes wird sie nicht Mitglied der NSDAP.

1933: Reichstagsbrandverordnung

Berlin: In der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 steht der Berliner Reichstag in Folge von Brandstiftung in Brand. Der Niederländer Marinus van der Lubbe wird am Tatort festgenommen, allerdings können die Umstände und vor allem die Täterschaft nicht einwandfrei geklärt werden; sie sind auch heute noch Gegenstand einer Kontroverse.

Bereits am 28. Februar 1933 wird die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat (Reichstagsbrandverordnung) erlassen. Damit werden die Grundrechte der Weimarer Verfassung praktisch außer Kraft gesetzt und der Weg freigeräumt für die legalisierte Verfolgung der politischen Gegner der NSDAP durch Polizei und SA - eine entscheidende Etappe in der Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur.

1934: Gründung des Volksgerichtshofes

Berlin: Nachdem der mutmaßliche Täter Marinus van der Lubbe im Reichstagsbrandprozess vor dem Reichsgericht zum Tode verurteilt, drei mitangeklagte Funktionäre der Kommunistischen Partei jedoch freigesprochen werden, beschließt Adolf Hitler, die Verhandlung politischer Straftaten der unabhängigen Justiz zu entziehen. Er ordnet die Bildung des von ihm so benannten Volksgerichtshofes an.

Der Volksgerichtshof wird daraufhin in Berlin zunächst als Sondergericht eingerichtet und nimmt am 1. August 1934 die Arbeit auf. In den Anfangsjahren besteht dessen Aufgabe noch in der Aburteilung von Landes- und Hochverrat, später wird die Zuständigkeit auf weitere Delikte ausgeweitet. Die Richter werden von Adolf Hitler persönlich ernannt. Als Richter wird nur berufen, wer als zuverlässig im nationalsozialistischen Sinne gilt.

1938: Lex Götze

Berlin: Entsprechend der NS-Rechtsauffassung missachtet Freisler zwangsläufig zentrale Grundsätze des Rechtsstaates. Dazu gehört das Prinzip "nulla poena sine lege" ("Keine Strafe ohne Gesetz"), das etwa im Strafprozess gegen das Berliner Brüderpaar Götze 1938 keine Rolle spielt. Es gilt als Grundpfeiler jeder rechtsstaatlichen Ordnung und besagt, dass niemand aufgrund eines Gesetzes abgeurteilt werden darf, das es zur Tatzeit noch nicht gegeben hat.

Die Brüder Walter und Max Götze stehen vor Gericht, weil sie zwischen 1934 und 1938 durch eine Überfallserie Berlin und Umgebung unsicher gemacht haben. Dabei kommt es auch zu zwei Morden, die nachweislich nur Walter Götze begangen hat. Somit wäre Max Götze nach geltender Gesetzlage mit einer langjährigen Zuchthausstrafe davongekommen.

Freisler informiert Hitler, der verlangt, in diesem Fall die Todesstrafe zu verhängen. Freisler sorgt daraufhin in aller Eile mit dem Reichsjustizminister dafür, dass ein passendes Gesetz in zwei Tagen durchgebracht und im Reichsgesetzblatt vom 23. Juni 1938 mit Wirkung vom 1. Januar 1936 veröffentlicht wird. Am 24. Juni wird daher auch Max Götze aufgrund dieses Gesetzes in neun Fällen zum Tode verurteilt.

1940: Der Kreisauer Kreis

Kreisau: Etwa zehn Kilometer östlich des Ortes Świdnica im heutigen Polen liegt das Gut Kreisau des niederschlesischen Adligen Helmuth James Graf von Moltke. Hier treffen sich ab 1940 regelmäßig Mitglieder des nationalsozialistischen Wiederstandes. Sie suchen auch Kontakt zu den Verschwörern um Carl Goerdeler und Ludwig Beck. Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 verurteilt Roland Freisler viele der Anhänger des Kreisauer Kreises im Berliner Volksgerichtshof zum Tode.

Roland Freisler und Hermann Reinecke, 1944 Bildrechte: IMAGO / ZUMA/Keystone

20. Januar 1942: Wannsee-Konferenz

Berlin-Wannsee: Bis zu seiner Berufung zum Volksgerichtshof 1942 ist Roland Freisler im Reichsjustizministerium tätig und vertritt es u.a. in der Funktion als Staatssekretär bei der Wannsee-Konferenz. Dazu kommen am 20. Januar 1942 15 hochrangige Vertreter der nationalsozialistischen Reichsregierung und SS-Behörden zusammen, um unter Vorsitz von SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich die "Endlösung der Judenfrage" zu organisieren. Die Regie liegt bei Heydrich, den Hermann Göring am 31. Juli 1941 mit der Gesamtorganisation beauftragt hat.

Ziel ist die Organisation der Deportation der gesamten jüdischen Bevölkerung Europas zur Vernichtung in den Osten. Die Konferenz legt den zeitlichen Ablauf fest, grenzt die dafür vorgesehenen Opfergruppen genauer ein, die Teilnehmer einigen sich auf eine Zusammenarbeit unter der Leitung des Reichssicherheitshauptamts unter Heydrich.

1942: Ernennung zum Präsidenten des Volksgerichtshofs

Berlin: Am 20. August 1942 wird Roland Freisler zum Präsidenten des Volksgerichtshofs ernannt. Er führt seine Verhandlungen mit besonderem Fanatismus und demütigt die Angeklagten in besonderem Maße. Sein Senat verhängt besonders oft Todesurteile. Ungefähr 90 Prozent aller Verfahren enden mit einer oft bereits vor Prozessbeginn feststehenden Todesstrafe oder mit lebenslanger Haft. Zwischen 1942 und 1945 werden mehr als 5.000 Todesurteile gefällt, davon etwa 2.600 durch den von Freisler geführten Ersten Senat des Gerichts. Damit ist Freisler in den drei Jahren seines Wirkens am Volksgerichtshof für ebenso viele Todesurteile verantwortlich wie alle anderen Senate des Gerichts zusammen in der gesamten Zeit des Bestehens des Gerichts von 1934 bis 1945.


Daher haftet ihm schon bald der Ruf eines "Blutrichters" an. Unter Freisler verurteilt der Volksgerichtshof unter anderem Mitglieder der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" oder die am Attentat auf Hitler-Beteiligten um Oberst Graf Stauffenberg. Als Hitler nach dem Attentat entscheidet, dass die Beteiligten vor den Volksgerichtshof gestellt werden, geht es ihm auch darum, den Verschwörern "keine Zeit zu langen Reden" zu lassen: "Der Freisler wird das schon machen", so Hitlers Worte.

22. Februar 1943: Freisler richtet über die Geschwister Scholl

München: Die "Weiße Rose" gründet sich im Juni 1942 als christlich motivierte Widerstandsgruppe und besteht bis zum Februar 1943. Mitglieder waren die Geschwister Hans und Sophie Scholl, deren Kommilitonen Christoph Probst, Willi Graf und Alexander Schmorell sowie der Universitätsprofessor Kurt Huber. Sie verfassen, drucken und verteilen unter Lebensgefahr insgesamt sechs Flugblätter, in denen zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus aufgerufen wird. Bei der Verteilung des sechsten Flugblattes werden sie schließlich gestellt und verhaftet.

Im ersten Prozess gegen "Die Weiße Rose", zu dem die Mitglieder des Ersten Senats eigens von Berlin nach München reisen, werden die Geschwister Scholl und Christoph Probst von Roland Freisler am Volksgerichtshof zum Tode durch das Fallbeil verurteilt. Als Gründe für dieses Urteil, das am 22. Februar 1942 vollstreckt wird,  werden "Wehrkraftzersetzung", "Feindbegünstigung" und "Vorbereitung zum Hochverrat" aufgeführt. Kurz vor der Vollstreckung sehen die Geschwister Scholl ihre Eltern ein letztes Mal. Im zweiten Prozess gegen Mitglieder der "Weißen Rose" im April 1943 schreit Freisler gleich zur Eröffnung den Angeklagten entgegen, dass der Nationalsozialismus gegen solche "Verräter" überhaupt kein Strafgesetzbuch benötige. Er werde "ganz ohne Recht" kurzen Prozess machen. Freisler korrigiert sich und verbessert: "ganz ohne Gesetz". Als ihm ein Beisitzer dennoch wortlos das Strafgesetzbuch hinüberreicht, schleudert er es augenblicklich in Richtung der Anklagebank, wo sich die Angeklagten ducken, um nicht am Kopf getroffen zu werden.

20. Juli 1944: Attentat auf Adolf Hitler

Am 20. Juli 1944 geht bei einer Lagebesprechung in der "Wolfsschanze" Stauffenbergs Bombe hoch. Hitler kommt mit leichten Blessuren davon. Bildrechte: picture-alliance / dpa/dpaweb | Hoffmann

Rastenburg: Am 20. Juli 1944 kommt es zum bedeutendsten Umsturzversuch des militärischen Widerstandes in der Zeit des Nationalsozialismus: Eine Handvoll deutscher Offiziere versucht, Hitler durch einen Staatsstreich zu beseitigen. Geplant ist ein Sprengstoffanschlag während einer Besprechung in der Wolfsschanze, dem streng abgeriegelten Führerhauptquartier im ostpreußischen Rastenburg. Doch der Staatsstreich scheitert und Hitler wird nur leicht verletzt. Die Attentäter bezahlen die Tat dagegen mit ihrem Leben. Der Offizier Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der Mann, der gegen Hitler aufgestanden war, wird später zur Symbolfigur des deutschen Widerstands.

In einem beispiellosen Schauprozess werden die Männer des militärischen Widerstands vor dem Volksgerichtshof einzeln vorgeführt und des Hochverrats bezichtigt. Als oberster Richter fungiert Roland Freisler, der den Angeklagten die vorher festgelegten Todesurteile förmlich ins Gesicht schreit. Oft werden sie nur wenige Stunden nach der Verkündung vollstreckt. Hitler will die Männer "wie Schlachtvieh aufgehängt" sehen. In der Hinrichtungsstätte Plötzensee werden die Verschwörer und Mitglieder des Widerstands in Drahtschlingen langsam erhängt.

7. September 1944: Verurteilung von Carl Goerdeler

Berlin: Nach wochenlanger Haft unter unmenschlichen Bedingungen wird Carl Goerdeler vom Gestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße in das Berliner Kammergericht transportiert, wo ihm wegen seines Widerstandes gegen Hitler der Prozess gemacht wird. Wäre das Stauffenberg-Attentat gegen Hitler erfolgreich gewesen, hätte Goerdeler der neue Reichskanzler Deutschlands werden sollen. Deshalb verurteilt ihn der Präsident des Volksgerichtshofes Roland Freisler zum Tod, ebenso wie seine Mitangeklagten Wilhelm Leuschner, Josef Wirmer und Ulrich von Hassel.


Die Gestapo hält Goerdeler weitere fünf Monate gefangen, um ihn zu verhören. Erst am 2. Februar 1945, nur einige Monate vor Kriegsende, wird er auf Drängen des Reichsjustizministers Otto Georg Thierack schließlich in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Einen Tag später stirbt sein Richter Roland Freisler bei einem Bombenangriff, der das Gebäude des Volksgerichtshofes trifft.

Über dieses Thema berichtete der MDR im TV in "Geschichte Mitteldeutschlands"11.08.2013 | 21.00 Uhr