Dauerausstellung in Ústí nad Labem: "Unsere Deutschen" Tschechien und die deutsche Minderheit in Böhmen, Mähren und Schlesien

17. November 2021, 05:00 Uhr

Die erste Dauerausstellung über die deutsche Minderheit in Böhmen, Mähren und Schlesien wird heute in Ústí nad Labem eröffnet. Seit 2006 gab es Bestrebungen, eine solche Ausstellung zu entwickeln. Doch das Projekt war nicht unumstritten und es brauchte lange. Inzwischen ist es ganz oben im Staat angebunden.

In 20 Räumen wird nun multimedial an die Geschichte und Kultur der Deutschen in der Region erinnert. Animationen, Projektionen und interaktive Landkarten sollen die Jahrhunderte alte Geschichte der Deutschen in der Region erlebbar machen. Unter den mehr als 500 Exponaten gibt es außerdem Urkunden, Briefe und handschriftliche Originale, unter anderem ein Bewerbungsschreiben von Franz Kafka auf Deutsch und Tschechisch. Die Ausstellung will die Geschichte der deutschsprachigen Minderheit vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert präsentieren. So reicht der Bogen im Museum vom böhmischen König und deutschen Kaiser Karl IV. bis hin zum 20. Jahrhundert mit der Annexion des Sudetenlandes durch Nazi-Deutschland, dem Holocaust und der Vertreibung der Deutschen nach Ende des Zweiten Weltkrieges.

Ausstellung widmet sich allen Deutschen in Böhmen und Mähren

Der Titel der Ausstellung "unsere Deutschen" - "naši Němci" geht übrigens auf Staatspräsident Tomáš Garrigue Masaryk zurück - er nannte die Deutsche Minderheit in einer Rede im Dezember 1918 so, liebevoll und auch fordernd, auf Integration hoffend. "Der Besucher bekommt aber nicht nur klassische Museumsexponate zu sehen, sondern kann auch in der Zeit reisen", erläutert der Kurator der Ausstellung und Leiter des Collegium Bohemicum, Petr Koura. "Er kann zum Beispiel die Replik eines Salons aus der Biedermeierzeit sehen, sich einer barocken Prozession zu Ehren des Hl. Johannes Nepomuk anschließen, durch ein Jugendstil-Hotel in Liberec schlendern oder sich ein Familienvideo in einer funktionalistischen Villa in Brünn anschauen." Prominente Deutsche wie Rainer Maria Rilke, Franz Kafka oder Berta von Suttner werden vorgestellt, Gemälde präsentiert ebenso wie mittelalterliche Handschriften in deutscher Sprache oder Propaganda-Plakate der Zwischenkriegs-Republik. Ausdrücklich widmet sich die Ausstellung allen Deutschen und nicht nur den Sudetendeutschen.

Ein internationales Experten-Team erarbeitete das Konzept

Nach langen Debatten über die Notwendigkeit, überhaupt eine solche Dauerausstellung ins Leben zu rufen, wurde Anfang der 2000er Jahre das Collegium Bohemicum als ein gemeinnütziger Verein gegründet. Was zuvor lokale und private Initiativen angeregt hatten, sollte das Collegium Bohemicum vorantreiben. Dem Verein gehören die Stadt Ústí nad Labem, die Universität in Ústí nad Labem, die Gesellschaft für Geschichte der Deutschen in Böhmen und das Kulturministerium der Tschechischen Republik an. Das Konzept der Ausstellung hat ein Team aus tschechischen, deutschen und österreichischen Historikern und Museumsarbeitern erarbeitet. Tatsächlich ist die Eröffnung des Museums ein historisches Ereignis, weil sich Tschechien erstmals offiziell der deutschen Vergangenheit des Landes stellt, die mit den Aussiedlungen nach 1945 endete.

Deutsche Staatsbürger, die ihr ganzes Leben in Prag gelebt haben, werden gewaltsam nach Deutschland zurückgeführt.
Deutsche Staatsbürger, die ihr ganzes Leben in Prag gelebt haben, werden im Mai 1945 gewaltsam nach Deutschland gebracht. Bildrechte: imago images/CTK Photo

Der Einfluss der Deutschen in Böhmen und Mähren

Insbesondere die Eroberung des Sudetenlandes und der "Anschluss" des Protektorates Böhmen-Mähren an Nazi-Deutschland prägen die jüngste Geschichte der beiden Nachbarländer. Verhaftungen, Verfolgungen, das Konzentrationslager Theresienstadt und die Verschickung der tschechischen Juden nach Auschwitz sind schweres Erbe in den Beziehungen. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges vertrieb Tschechien die Deutschen gemäß den Benesch-Dekreten. Die Ausstellung soll nun zeigen, welchen Einfluss Deutsche über die Jahrhunderte auf die Geschichte und Kultur in der Region Böhmen-Mähren hatten.

Corona-bedingt hatte sich die Eröffnung der Ausstellung vom Frühjahr auf den November 2021 verschoben. Ab dem 18. November ist sie für Besucherinnen und Besucher geöffnet und bietet deutsch- und tschechischsprachige Führungen an.

Dieses Thema im Programm: Die Vertreibung | 17. November 2020 | 22:50 Uhr